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Berlins Erstklässler haben nur 20 Pflichtstunden, Hamburgs Erstklässler hingegen 25.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Bildung in der Hauptstadt: Was kann Berlin von Hamburgs Schulen lernen?

An Berlins Schulen fehlen Lehrer. Dennoch sollen sie besser werden. Senatorin Scheeres plant eine Offensive für mehr Qualität. Hamburg war schneller.

Es wird zurzeit viel geraunt in der Schulverwaltung. Etwas Größeres sei in Planung, ist zu hören. Eine neue „Qualitätsstrategie“ solle noch im November verkündet werden. Bildungssenatorin Sandra Scheeres könnte damit dem Eindruck entgegenwirken, dass das ungeheure Ausmaß des Lehrermangels ihr Haus paralysiert, lautet die Erwartung.

Die Sozialdemokratin ist doppelt herausgefordert. Zum einen sinkt kontinuierlich der Anteil der gelernten Grundschulpädagogen und Fachlehrer an Oberschulen. Zum Anderen hat Hamburg vorgemacht, dass Stadtstaaten mit ihrem besonders hohen Anteil an Erstklässlern ohne Deutschkenntnisse nicht automatisch auf den letzten Plätzen im Länderranking landen müssen. Die Hansestadt hat Berlin hinter sich gelassen. Was macht Hamburg besser?

MEHR UNTERRICHTSSTUNDEN

Besonders auffällig ist, dass Berlins Erstklässler nur 20 Pflichtstunden haben, Hamburgs aber 25. Zwar scheint der eklatante Mangel an Grundschullehrern dagegen zu sprechen, dass Berlin seine Stundentafel ausweiten kann. Andererseits hat Berlin rein zahlenmäßig Reserven im System: in Form der Sprachförderstunden. Daher fragt sich mancher, warum diese Reserve nicht für zusätzliche reguläre Deutschstunden genutzt wird.

VERSTÄRKTE KONTROLLE

In Hamburg wird ständig der Leistungsstand jedes einzelnen Schülers getestet: „Kompetenzen ermitteln“ („Kermit“) nennt sich das Verfahren, das seit 2012 in fast jeder Klassenstufe angewandt wird. Dadurch lässt sich die Leistungsentwicklung sehr genau ablesen. Darüber hinaus schreibt der Hamburger Senat vor, dass die Schulaufsicht die Befunde mit den Schulen besprechen muss. In Berlin ist zwar kein „Kermit“-System geplant, aber die Schulaufsicht wird gerade ausgebaut, um die Schulen ebenfalls enger zu begleiten. Statt der jährlichen Testergebnisse wie in Hamburg sollen dann die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten in Klasse 3 und in Klasse 8 herangezogen werden. Zusätzlich sollen Daten zu Schwänzern, Schulabbrechern und zur Gewaltentwicklung berücksichtigt werden. Das gehört zur "kriterienbasierten Schulentwicklung", die Scheeres bereits vor einem Jahr ankündigte.

MATHEMATIK IM BLICK

Hamburg hat zwar Fortschritte in Deutsch und Englisch erzielt, nicht aber in Mathematik. Darum hat Bildungssenator Ties Rabe (SPD) eine Expertenkommission ins Leben gerufen, die von Olaf Köller geleitet wird, dem renommierten Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel. Auf die Frage, ob Berlin Ähnliches plant, teilte Scheeres’ Sprecher Thorsten Metter mit, die Behörde habe „bereits Initiativen für das Fach Mathematik ergriffen“ und werde „weitere Maßnahmen“ auf den Weg bringen; das sei aber „noch nicht spruchreif“.

HERKUNFTSSPRACHEN

Die rot-rot-grüne Koalition hatte sich im Herbst 2016 vorgenommen, den Herkunftssprachlichen Unterricht (HSU) stärker zu fördern – unabhängig von Hamburg. Der deutlichste Fortschritt besteht bisher darin, dass Türkisch-AGs ins Leben gerufen wurden. Zudem gab es in den Schulen Umfragen, um zu erfahren, welche weiteren HSU-Sprachen die Eltern sich wünschen. Dem Vernehmen nach soll jetzt mit wissenschaftlicher Expertise ein Konzept für die HSU-Umsetzung erarbeitet werden.

STRUKTUREN

Hamburgs Verwaltungsstruktur gilt im Schulbereich als vorbildlich. So wurde schon 2007 das Hamburger Landesinstitut für Berufliche Bildung gegründet. Zwar liebäugelte auch Berlin damit, schaffte den Schritt aber nicht. Stattdessen wurde das gesamte Berufsschulwesen von einem viel zu kleinen Referat geleitet – bis Scheeres sich jetzt zum 1.November durchrang, zumindest eine eigene Abteilung dafür zu schaffen. Damit hinkt Berlin nicht nur acht Jahre hinter Hamburg zurück, sondern hat nicht im Entferntesten eine vergleichbar schlagkräftige Struktur.

Ähnliches gilt für die Immobilien: Bereits 2010 wurde der Landesbetrieb „Schulbau Hamburg“ gegründet, der sich um Neubau, Unterhaltung und Sanierung kümmert, während Berlin noch im Anfangsstadium seiner Umstrukturierung des Schulbaus steckt. In diesem Bereich hat sich das Hamburger Beispiel als kaum übertragbar erwiesen, weil Berlins Bezirke traditionell eigenständiger sind.

EFFIZIENTE VERWALTUNG

Aus der Berliner Bildungsverwaltung gibt es immer wieder schlechte Nachrichten. Bis heute gelang es nicht, die seit weit über zehn Jahren geplante und millionenschwere Schülerdatei zu realisieren. Zudem ist die Personalstelle derart unterbesetzt, dass mitunter Referendare, Lehrer oder die neuen Verwaltungsleitungen wochen- oder monatelang auf ihr korrektes Gehalt warten müssen. Besonders peinlich war zuletzt der Verzug bei den Bescheiden für die freien Schulen: Sie erfuhren erst kürzlich, mit welcher konkreten Summe sie 2018 rechnen können. Erläuternd hieß es, „im Zug der Digitalisierung“ hätten „komplexe fachspezifische wie rechtliche Anforderungen“ erfüllt werden müssen. Die Hamburger Verwaltung gilt als wesentlich effizienter.

LEHRERVERSORGUNG

Anders als Berlin hat Hamburg konsequent für Pädagogennachwuchs gesorgt. Daher gehören die Hamburger Lehrer bundesweit zu den jüngsten. Ein Beispiel: Unter den Hamburger Berufschullehrern sind 44 Prozent über 50 Jahre, unter den Berlinern 56 Prozent, wie gerade eine Bertelsmann-Studie zeigte. Berlin hat zu spät angefangen, mehr Lehrer auszubilden und verbeamtet sie nicht: Ein Wettbewerbsnachteil, den Berlin mit guter Bezahlung nur teilweise kompensieren kann, denn die Löcher sind schon zu groß geworden: Während Hamburg nur in bestimmten Mangelfächern Quereinsteiger sucht, hat Berlin so große Lücken, dass die auf dem Markt befindlichen Quereinsteiger nicht mehr reichen.

Die neueste Notmaßnahme: Berlins Schulen dürfen nicht nur Sprachassistenten oder Sozialarbeiter einstellen, um Lehrerlücken zu stopfen, sondern sogar Verwaltungsleiter, wie der Tagesspiegel erfuhr. Die Lehrerstellen werden entsprechend umgewandelt – bis zu dem Tag, an dem es wieder genug Lehrer gibt. Aber erstmal kommt die „Qualitätsstrategie“.

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