zum Hauptinhalt
Die Industrie wächst in der Region zwar trotz der Pandemie – doch die Probleme im Lieferverkehr und die Materialknappheit bremsen den Erfolg.

© imago

Bilanz für die Region vorgestellt: Berliner Wirtschaft könnte um vier Prozent zulegen – Industrie kämpft mit Lieferproblemen

2021 boomten vor allem Digitalwirtschaft und Onlinehandel. Der Unternehmens-Spitzenverband fordert ein Neustart-Programm für Messen, Tourismus und Gastronomie.

Einfacher wird es nicht – aber es gibt Hoffnung für die Berliner Wirtschaft. So in etwas lässt sich der Jahresausblick der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) für das Wachstum im Jahr 2022 zusammenfassen.

UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck gibt zwar zu bedenken, dass die Erholung der Konjunktur in Berlin und Brandenburg leide, je länger die Pandemie uns alle beschäftigt, doch „wenn wir Corona in den Griff bekommen“, sagte er am Mittwoch beim traditionellen Ausblick zum Jahresbeginn, dann könne Berlin mit einem Wachstum von vier Prozent rechnen. In Brandenburg sieht der Verbandschef drei Prozent als realistisch.

Allerdings macht der Wirtschaft nicht nur die Pandemie mit all den Folgen zu schaffen, sondern auch der damit – teilweise – einhergehende Lieferketten-Engpass. Hier hätten vor allem die Industrieunternehmen große Sorgen, insbesondere der Fahrzeugbau, die Elektroindustrie und der Maschinenbau. „Acht von zehn Mitgliedsbetrieben berichten uns, dass sie Probleme mit dem Lieferverkehr haben“, sagt Amsinck.

Dabei steht insgesamt das verarbeitende Gewerbe momentan trotz der Pandemie gut da: Laut UVB-Zahlen konnte es gegenüber dem Coronajahr 2020 im vergangenen Jahr 3,7 Prozent Zuwachs verbuchen.

Noch mehr boomt die Digitalwirtschaft: Hier liegt der Umsatz im ersten Halbjahr 2021 bei 11,6 Prozent. Auch das Baugewerbe erholt sich nach Angaben der UVB, wenngleich auch noch immer ein Minus von 4,7 Prozent die Bilanz trübt.

Der Handel steht in der Bilanz zwar mit einem Plus von knapp 4,5 Prozent da, doch das ist vor allem dem Onlinehandel zu verdanken: Mit knapp 38 Prozent Umsatzsteigerung reißt er vieles heraus. Dem Einzelhandel hingegen geht es weiterhin schlecht: Ein Minus von rund 17 Prozent zum Vorjahr 2020 wird dort bilanziert.

Der Tourismus hat das größte Problem

Für Brandenburg sieht es ähnlich aus: In der Industrie geht es mit plus 7,5 Prozent bergauf, das Baugewerbe wuchs minimal um 0,1 Prozent, im Handel boomt ebenfalls der Onlinehandel (plus 47, 8 Prozent), während der Einzelhandel darbt (minus 6,4 Prozent).

In beiden Bundesländern hat der Tourismus und seine angrenzenden Branchen – Hotellerie, Gastronomie Kultur – das größte Problem. In Berlin verzeichnet er ein Minus von 5,8 Prozent bei den Übernachtungen und 5,2 Prozent weniger Flüge. Und auch Brandenburg mit seinen vielen Ausflugsgastronomien und Hotels in der Region steht mit einem Umsatzeinbruch von minus 7,2 Prozent schlecht da.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Dennoch lenkt der UVB-Chef die Aufmerksamkeit speziell auf die Chancen in Brandenburg. Hier könnte sich bald ein „Sondereffekt“ bemerkbar machen. Denn Tesla hat angekündigt, dass in diesem Jahr 60.000 Fahrzeuge produziert würden, das werde sich positiv auswirken. Die UVB sieht in diesem Jahr die Chance auf 11.000 neue Stellen in Brandenburg.

Auch die Energie-Region Lausitz, die mitten in einem Modernisierungsprozess ist, biete Potenzial, sagt Amsinck, denn nach dem Kohleausstieg muss sich die Lausitz neu orientieren.

Was die neue Koalition angeht, wurde ziemlich deutlich, dass sich der UVB-Chef mehr vom neuen Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für die SPD) verspricht als von dessen Vorgängerin Ramona Pop (Grüne).

Schwarz sei Unternehmer und war lange Präsident der Handwerkskammer, damit bestehe Hoffnung auf „die beste Wirtschaft“. Doch dafür müsse dringend einiges passieren, mahnte Amsinck und nannte fünf Punkte, die aus Sicht des Wirtschaftsverbandes jetzt Vorrang haben müssen.

Verband fordert Neustart-Programm, Wohnungsbau und Verwaltungsreform

Erstens müsse ein Neustart-Programm her. Und zwar für die von der Krise besonders betroffenen Branchen Tourismus, Messe und Gastronomie – sie sollten so schnell es geht unterstützt werden. Zudem müsse ein „Zukunftskonzept“ für die Messe- und Tourismuswirtschaft ausgearbeitet werden, „denn auch nach der Pandemie wird sich einiges verändern, man kann nicht einfach so wie vorher weitermachen“.

Außerdem müsse das Bauen bezahlbarer Wohnungen schneller vorangehen. Hilfreich könne dabei die Novellierung der Bauordnung wirken. „Wir brauchen mehr Tempo bei Planungen und Genehmigungen, mehr Flexibilität und weniger Vorschriften“, sagte der Hauptgeschäftsführer.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Ferner plädiert der UVB für ein „Sofortprogramm Brücken“. „Mehr als 40 Querungen in Berlin müssen dringend modernisiert werden. Nur für ein Drittel davon ist im Haushalt bereits Geld eingeplant“, mahnt Amsinck. Es bestehe die Gefahr, dass noch mehr Brücken für den Wirtschafts- und den Lieferverkehr gesperrt werden.

Zudem gilt es, dringend die Verwaltung zu reformieren. Berlin ist laut UVB bundesweit Schlusslicht bei den Behördendienstleistungen online. Spitzenreiter Nordrhein-Westfalen biete 344 Bürgerdienstleistungen digital an, in Berlin sind es nur 77.

Darüber hinaus fordert der UVB mehr Fokus auf die Qualität von Bildung und Schulen. Die neue Schulsenatorin Astrid-Sabine Busse „kommt aus der Praxis“, sagte Amsinck. Die Aussagen der ehemaligen Neuköllner Schulleitungen über den coronabedingten Rückstand der Schülerinnen und Schüler „macht uns große Sorgen“. Die Vorschläge der Expertenkommission um den Kieler Bildungsforscher Olaf Köller seien ja längst „auf dem Tisch“. Sie müssten nun „eins zu eins“ vom neuen Senat umgesetzt werden.

Was die UVB auf keinen Fall vom Senat umgesetzt wissen wollen: Eine Ausbildungsumlage. Sie belaste die Firmen nur mit noch mehr Bürokratie und „bestrafe“ besonders die Unternehmen, vor allem auch kleinere, die keine geeigneten Auszubildenden gefunden haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false