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Schafzüchter und Bauern schauen genau darauf, wie viele Weidetiere von den in Brandenburg lebenden Wölfen gerissen werden.

© Patrick Pleul/dpa

Bilanz für 2019: Wölfe reißen weniger Weidetiere

In Brandenburg hat die Zahl der von Wölfen getöteten Weidetiere abgenommen. Über die Gründe und den Schutz der Herden gibt es Streit.

Von Sandra Dassler

Am Mittwoch wollen hessische Weidetierhalter in ihrer Landeshauptstadt Wiesbaden zum großen Protest auflaufen. Sie haben Angst vor der Rückkehr der Wölfe, die im vergangenen Jahr ungefähr zehn Schafe und Kälber in ihrem Bundesland gerissen hätten. Über solche Meldungen können die Tierhalter in Brandenburg nur müde lächeln. Hier werden jährlich mindestens zehnmal so viele Nutztiere durch Wölfe getötet.

„Die hessischen Tierhalter sind jetzt an einem Punkt, wo wir vor einem Jahrzehnt waren“, sagte der Geschäftsführer des Bauernbunds Brandenburg, Reinhard Jung, am Sonntag dem Tagesspiegel: „Einige von ihnen haben sich schon ratsuchend an uns gewandt, aber ich kann ihnen wenig Mut machen.“

Daran ändere auch eine aktuelle Meldung der Deutschen Presse-Agentur nichts, wonach die Zahl der Wolfsrisse in Brandenburg zurückgegangen sei. Danach wurden von Januar bis Ende September 2019 nach Angaben des Agrarministeriums 291 Schafe und Rinder getötet. 2018 seien es noch rund 400 Tiere gewesen.

Die Agentur zitiert den Vorsitzenden des Schafzuchtverbands Berlin-Brandenburg, Knut Kucznik mit den Worten: „Das macht mich richtig stolz.“ Das sei ein Erfolg der konsequenten Herdenschutzmaßnahmen seiner Berufskollegen. In den vergangenen zwei Jahren habe kein Wolf diesen Schutz überwunden und getötet werden müssen. „Die Förderung von Präventionsmaßnahmen durch das Land hat sich gelohnt“, sagte Kucznik.

Werden Wölfe illegal geschossen?

Bauernbund-Geschäftsführer Jung ärgert sich über solche Aussagen: „Herr Kucznik verdient einen Teil seines Einkommens mit der Züchtung und dem Verkauf von Herdenschutzhunden“, sagt er. Und bezweifelt nicht nur die Risszahlen: „Mal abgesehen davon, dass da ja noch die letzten drei Monate für 2019 fehlen, sind die Risse aus einem ganz anderen Grund zurückgegangen. Ich vermute jedenfalls stark, dass inzwischen immer mehr Wölfe illegal geschossen und entsorgt werden.“ In den Wolfsgebieten des Landes höre man jedenfalls immer mal wieder entsprechende Andeutungen, sagt Jung.

In Brandenburg gab es nach Abschluss des Monitoringjahres 2018/19 offiziell 49 Wolfsterritorien mit 41 Wolfsrudeln, acht Paaren und einigen Einzelgängern. Damit hat die Mark das Nachbarland Sachsen mit 22 Wolfsrudeln weit hinter sich gelassen. Da einem Rudel zwischen drei und elf Tiere zugerechnet werden, muss man in Brandenburg mit rund 130 bis rund 500 Wölfen rechnen.

Der deutsche Jagdverband kritisiert, dass sich hier und auch in Deutschland insgesamt ein Wolfsbestand etabliert habe, der weit über das hinausgeht, was in anderen Ländern zugelassen ist. So sei etwa in Frankreich eine Obergrenze von 500 Wölfen festgelegt.

Elektrozäune sollen Weidetiere schützen

Im Dezember hatte der Bundestag den strengen Schutzstatus gelockert. Wölfe, die Weidetiere anfallen, können künftig mit entsprechenden Einzelgenehmigungen „entnommen“, sprich: geschossen werden. Brandenburgs zuständige Behörden weisen aber darauf hin, dass dies erst geschehen wird, wenn alle anderen Schutzmaßnahmen ausgeschöpft sind. Das Land habe im vergangenen Jahr fast eine Million Euro an Fördergeldern für den Herdenschutz ausgegeben. Meist handelt es sich um Elektrozäune, die freilaufende Tiere schützen sollen.

Viele Landwirte kritisieren, dass Wölfe sehr lernfähig seien und man den Schutz immer wieder erneuern müsse. Bislang werde aber nur die Anschaffung, und nicht die aufwendige Instandhaltung dieser Zäune gefördert. Darauf weist auch Schäfer Kucznik hin, der gar nicht bestreitet, dass er wie seine Kollegen aus der gleichnamigen Arbeitsgemeinschaft Herdenschutzhunde züchtet. Im Gegenteil: „Es sind die besten in Deutschland und sie stellen zudem keine Gefahr für Menschen dar“, sagt er: „Nur dann bekommen wir Fördergelder.“

Wölfe wandern 80 Kilometer in einer Nacht

Allerdings sei die Unterhaltung der Herdenschutzhunde für viele Schäfer eine große Belastung. Für Futter und ärztliche Betreuung fielen etwa 5000 Euro im Jahr an. Pro Hund wohlgemerkt. Allein ein Schäfer in Jüterbog benötige für seine 2000 Schafe 36 Hunde. Trotzdem sei der Ausbau des Herdenschutzes seiner Ansicht nach die einzige sinnvolle Reaktion auf die Rückkehr der Wölfe, sagt Knut Kucznik: „Selbst wenn man zwei oder drei von ihnen abschießt, ändert das nichts an der Situation. Ein Wolf kann 80 Kilometer in einer Nacht zurücklegen - so lange es nur noch einen einzigen gibt, sind alle Weidetiere in der Umgebung in Gefahr.“

Deshalb kann Kucznik den hessischen Tierhaltern nur raten, sich jetzt schnell um den Herdenschutz und die Förderung der entsprechenden Maßnahmen durch ihre Landesregierung zu kümmern. Brandenburgs Bauernbund-Chef Jung nennt dies den Anfang eines „Wettrüstens ohne Ende“.

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