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Der Gasometer in Berlin-Schöneberg soll ausgebaut werden. Die Baugrube wird bereits ausgehoben.

© Sigrid Kneist

Bezirksverordnete sollen Unterlagen lesen können: Noch keine Entscheidung über Gasometer-Ausbau in Berlin-Schöneberg

Der Grünen-Baustadtrat von Tempelhof-Schöneberg befürwortet den Ausbau des Gasometers. Seine Fraktion will aber keine schnelle Abstimmung. Warum?

Stundenlang debattierte der Stadtentwicklungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Tempelhof-Schöneberg am Mittwochabend in einer Videokonferenz über den Bebauungsplan für den Euref-Campus und den umstrittenen Ausbau des Schöneberger Gasometers. Eine Beschlussempfehlung für die BVV, die in zwei Wochen stattfindet, wurde dennoch nicht getroffen.

Vor allem die Grünen wünschten sich mehr Zeit, um den Bebauungsplanentwurf und die Abwägung der Bürgerbeteiligung durchzuarbeiten. Diesen hatte der ebenfalls den Grünen angehörende Baustadtrat Jörn Oltmann vorgelegt .

Euref-Chef Reinhard Müller plant, den Gasometer so weit auszubauen, dass nur noch ein Feld der transparenten Stahlkonstruktion sichtbar bleibt. Dagegen gibt es vor allem bei den Anwohnern und bei Denkmalschützern starke Bedenken. Das Landesdenkmalamt hält lediglich eine Bebauung für vereinbar mit dem Denkmalschutz, die zwei Felder frei lässt.

Da das Bezirksamt die Vorlage für die nächste Sitzung der BVV am 23. Juni eingereicht hat, ist dann das Plenum der Bezirksverordneten gefragt. Auch dieser Termin ist der Grünen-Fraktion zu früh. Sie wird eine Vertagung bis nach der Sommerpause beantragen. Anders die Sozialdemokraten: Sie wollen auf jeden Fall abstimmen und sind sich sicher, eine Mehrheit zu finden. Denn auch CDU und FDP sind für den Ausbau des Gasometers. Die Linke lehnt den Plan ab.

Sollten die Grünen dann nicht zustimmen können, ist dem stadtentwicklungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Rauchfuß, wichtig, "dass es eine Mehrheit ohne die AfD gibt". Diese haben SPD, CDU und FDP in der BVV. Die Grünen wollen auf ihrer nächsten Fraktionssitzung klären, wie sie sich verhalten werden.

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"Wir wollen bei diesem B-Plan auf jeden Fall vermeiden, dass der Eindruck entsteht, hier würde etwas durchgewunken", sagte der Grünen-Bezirksverordnete Bertram von Boxberg am Rande der Sitzung.

1400 Seiten mit Argumenten von Kritikern und Befürwortern

Die Bürgerbeteiligung sei für die Grünen ein wichtiges Argument für einen Bebauungsplan gewesen. Die Bezirksverordneten haben die Unterlagen erst vor einer Woche erhalten. Sie umfassen unter anderem gut 1400 Seiten, auf denen die Argumente der Kritiker und der Befürworter aufgeführt und in ihrer Bedeutung abgewägt werden. Hinzu kommen noch einmal 250 Seiten mit Details des Bebauungsplans.

Der Sozialdemokrat Rauchfuß hat für eine weitere Verzögerung kein Verständnis. Die SPD sei der Auffassung, "dass jetzt wirklich lange genug alle Aspekte diskutiert und abgewogen wurden". Baustadtrat Oltmann hingegen sieht in dem Vertagungswunsch seiner Fraktion kein Problem. Sie stehe zu den wichtigen Punkten im Bebauungsplan. Dazu gehören neben dem höheren Ausbau des Gasometers der Verzicht auf eine einst geplante Verbindungsstraße zum Sachsendamm und eine geringere Verdichtung auf dem Gelände.

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Bei der Abwägung der Einwendungen kamen die Stadtplaner des Bezirks zu dem Ergebnis, dass Denkmalschutzbelange gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Entwicklung des Standorts und der Schaffung vieler Arbeitsplatze nicht vorrangig seien. Auch andere angesprochene Bedenken wie Verschattung der Nachbarschaft, Fragen des Tier- und Artenschutzes oder der Lichtverschmutzung seien nicht gravierend.

Dem widersprach Johannes Zerger von der Bürgerinitiative "Gasometer retten". Das Verfahren des Bezirksamtes verdiene den Namen Abwägungsprozess nicht: "Alle Einwände sind in Bausch und Bogen verworfen worden." Mit Biegen und Brechen wolle man ein überdimensioniertes Projekt des Investors durchwinken. Ein in Europa einzigartiges Industriedenkmal werde zerstört.

Am Vortag war der Senat auf dem Campus

Der Euref-Campus ist ein Prestigeobjekt für den Bezirk, aber auch für Berlin. Noch am Vortag waren vier Senatsmitglieder im Rahmen ihrer Bezirkstour durch Tempelhof-Schöneberg auf dem Campus: der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), Kultursenator Klaus Lederer und Bausenator Sebastian Scheel (Linke). Müller sagte, dass das Areal noch vor 15 Jahren eine einzige Brache mitten in der Stadt gewesen sei.

Nun sei es ein Ort, an dem stets etwas Neues entstehe und Wichtiges für die Klima- und Verkehrspolitik der Zukunft erarbeitet werde. In den ausgebauten Gasometer wird die Deutsche Bahn mit ihrer Sparte "digitale Schiene" einziehen. 2000 Mitarbeiter sollen dann dort arbeiten. 800 Arbeitsplätze werden dabei neu entstehen, wie Bahn-Vorstand Ronald Pofalla am Dienstag sagte.

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