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Ben Jaimen in seiner Lieblingsecke im Café Quchnia

© Fabian Federl

Silvester am Brandenburger Tor in Berlin: Jaimen macht den Jackson

Der junge Zehlendorfer Ben Jaimen feilt seit zwei Jahren in Los Angeles an seiner Musikkarriere - auf den Spuren von Michael Jackson. Auf der Silvesterfeier am Brandenburger Tor wird er vor Millionenpublikum spielen. Ein Porträt.

Ein Café am verregneten Gendarmenmarkt. Durch die Tür, kurz links, dann rechts, ganz hinten in der Ecke unter einem mit Filmklassiker-DVDs gespickten Bücherregal sitzt ein schmaler, junger Mann, Strick-Jackett, drei-bis-fünf-Tage-Bart, Typ SoHo-Galerist im Kreuzkölln-Urlaub.

Ben Jaimen legt seine Lederaktentasche ab, sieht sich um. "Ich war schon eine Weile nicht mehr hier." Er lässt sich in einen schweren braunen Sessel sinken - Winchester-Imitat; trotzdem elegant. Seit Jahren schon komme er hier her - das letzte Mal habe er ein Unplugged-Konzert hier gespielt. Sein Lieblingscafé; er hat hier schon einige Lieder geschrieben, "Tokyo" zum Beispiel, den dritten Song seiner neuen EP "Through the Universe".
Jaimen ist in Zehlendorf geboren und aufgewachsen, hat in Israel und Argentinien gelebt, dann wieder in Berlin - vor etwa zwei Jahren ist er nach Los Angeles ausgewandert. Am 31. Dezember wird er bei einer der größten Shows Europas auftreten: Dem Silvesterfest am Brandenburger Tor.

In Berlin hat er seine Wurzeln

Jaimens Sätze unterwandern regelmäßig englische Worte und Wendungen. Literally every other sentence. "Eine Zeitung in LA hat mal geschrieben, man merke nicht, dass ich kein Amerikaner bin." Das nehme er natürlich als Kompliment - ganz falsch ist es ja auch nicht. Er habe schon immer das Gefühl gehabt, an vielen Orten, in vielen Sprachen, zuhause zu sein ("Ich liebe Sprachen, ich liebe Reisen"). Berlin hebe sich jedoch immer hervor: "In Berlin sind meine Wurzeln, meine Kindheit, meine Jugend." Auch professionell habe es hier angefangen.

Professionell - damit meint Jaimen die Musik. Seit jungen Jahren Musikunterricht, dann Musikstudium in London, erste Auftritte in England, Rückkehr nach Berlin - geplant ist ein kurzer Aufenthalt. Jaimen mietet ein kleines Studio-Apartment nahe Rosenthaler Platz, aus drei Monaten werden zwei Jahre. Er hat einen Manager gefunden, der sich um die Vermarktung und die Auftritte kümmert. "2010 bin ich dann an Silvester am Brandenburger Tor aufgetreten". Danach kamen die Bookings, die ersten Aufnahmen, noch mehr Auftritte. "Ich habe auch einen Walk-In-Song für Arthur Abraham geschrieben."

Die ganz großen Themen

Arthur Abraham, Boxer, mehrfacher Weltmeister im Supermittelgewicht; 38 Zentimeter Bizeps, 22 Schrauben im mehrfach zertrümmerten Kiefer, läuft zur Musik von Ben Jaimen in den Ring, dem 28-Jährigen Musiker und Pianisten, dem Michael Jackson Fan mit Hang zum Falsett, der sich an den ganz großen Themen mit honigsüßer Popmusik abarbeitet; sich nicht hinter Unterstatement und I-Don't-Care-Tenue verschanzt. Größer könnten die Themen kaum sein. Topos der EP: Das Universum. Das neueste Lied, das am Brandenburger Tor Video-Weltpremiere feiern wird, heißt "Seven Billion People", Thema: "Die Welt zusammenbringen". Jaimen hat das Lied geschrieben, während er mit Kindern gearbeitet hat. In der Non-Profit-Organisation "Spirituality for Kids", der die Kabbalah-Tradition des Judentums zugrunde liegt, diskutiert Jaimen an Schulen und in Kindergruppen die großen Fragen der Menschheit: "Was bedeutet das Leben?", "Was ist mein Potenzial und wie kann ich es nutzen?" Was hier befremdlich spirituell klingt, ist in den USA Mode. Ashton Kutcher, Madonna oder Britney Spears sind ebenfalls Kabbalisten - von traditionellen Kabbalah-Anhängern als "Hollywood-Kabbalah" verschrien.

Amerikanischer Pop, mit allen seinen Vor- und Nachteilen

Im Café am weihnachtsdekorierten Gendarmenmarkt liegt die Zohar - die kabbalistische Grundschrift auf Jaimens Tisch, daneben Adventskerzen. "Was darf's sein?" fragt die Bedienung - "Einmal Kaffee aus der French Press. Am besten den aus Brasilien." - "Den haben wir schon lang nicht mehr." Siehst du; so lang war ich schon nicht mehr hier! "Was ist denn der kräftigste, den Sie haben?" - "Kenia". "Dann den bitte!" Jaimen ist höflich und interessiert, erinnert an das, was man sich unter einem US-Westküstler vorstellt. Seine Musik ist amerikanischer Pop. Mit all den Vor- und Nachteilen, die das Genre bringt, all den Zu- und Beschreibungen, die drauf passen. "Das ist das, was bei mir rauskommt, sagt Jaimen. Es gebe Menschen, die gerne werten; die normativ über Anspruch und Komplexität sprächen. "Ich halte mich von Wertungen über Kunst fern. Als Künstler weiß ich, wie viel Herzblut da drin steckt", auch wenn es dann den Ohren einiger Hörer nicht anspruchsvoll genug sei. Das passe nach LA aber auch besser als nach Berlin, wo die Leute die Avantgarde feiern, wo das Alternative lebt, das Experimentelle. "Meine künstlerischen Wurzeln liegen bei den Gestaltern des amerikanischen Pop, allen voran bei Michael Jackson."

Mit Michael Jackson auf der Bühne

Ben Jaimen und der King of Pop kennen sich sogar. Nicht so richtig, aber fast: Als 11-jähriger war Jaimen - wie so viele andere Kinder - großer Jackson-Fan. 1997 nahm Ben an einer Ausschreibung teil: Fans sollten ein Fan-Paket schicken. Briefe, Fan-Fotos und so weiter. Ben gewann und durfte zusammen mit etwa 30 weiteren Kindern zusammen mit Jackson auf der Bühne stehen - und "Heal the World" mitsingen. Jaimen steht jetzt selbst auf der Bühne. Und wird beim diesjährigen Silvesterfest am Brandenburger Tor selbst zu Michael Jackson. Er hat einen Aufruf auf seiner Facebook-Seite gestartet. Kinder auf der ganzen Welt sollen Videos schicken, auf denen sie eine einfache Choreographie zu "Seven Billion People" performen. Am 31. sollen dann sämtliche Videos in einem gigantischen Mosaik auf dem Bildschirm am Pariser Platz laufen - und in alle Welt übertragen werden. "Virtual Kids Choir" nennt Jaimen das Projekt.

"Es ist nicht ganz Jackson, aber er hat mich natürlich inspiriert." Ein großer Unterschied sei die Herangehensweise. Jacksons Weltverbesserer-Lieder seien nachdenklich, langsam, bedacht. "Seven Billion People" ist "upbeat", "positiv", soll "mitziehen".

Vorbereitung für die Silvesterparty am Brandenburger Tor

Die nächsten Tage muss das Projekt noch fertig gemacht werden. Die Vorbereitungen sind aber fast abgeschlossen. Es sei im Grunde genommen ja auch egal, vor wie vielen Leuten man auftritt, sagt Jaimen. "Hier und da gibt es mal mehr, mal weniger Vorbereitung, mal mehr Choreografie oder kompliziertere Technik." Das Konzert am Brandenburger Tor ist etwas speziell, da er nur 15 Minuten auftrete, auf seinem letzten Konzert spielte er eineinhalb Stunden. Da müsse man sich natürlich umstellen. "Aber am Ende ist ein Auftritt ein Auftritt."

Wann der Auftritt genau stattfindet, wird erst in den nächsten Tagen bekannt gegeben. Bis dahin verbringt Jaimen die Zeit in Berlin mit seiner Familie. Im Januar geht es schon wieder zurück. Nach der EP soll ein Album folgen, davor noch eine Tour durch den Westen der USA. "Das Keybord in den Kofferraum, rein in's Auto und losfahren." Er spiele "wahnsinnig gerne" Live-Shows - und die wiederum seien in den USA viel häufiger und besser besucht als hier.

Utopisch, dass es eine Show geben wird, die besser besucht ist, als Silvester auf der Festmeile in Mitte. Etwa 1.000.000 Menschen werden dort dieses Jahr erwartet. Das Line-Up darf man getrost als skurril bezeichnen: Tokio Hotel und Howard Carpendale, Roland Kaiser und Anett Louisan, die Davids Hasselhoff und Garrett. Der Beliebtheit - vor allem bei Touristen - tut das keinen Abbruch: Jedes Jahr werden es mehr Besucher.

Der Kaffee ist leer, die Touristen verlassen langsam das Café am Gendarmenmarkt: Der Regen hat aufgehört. In der Leere ist es gemütlich hier drin - man vergisst fast, dass man sich in der sterilen Mitte der Hauptstadt befindet. Ben Jaimen sieht das auch so: Laptop ausgepackt: E-Mails müssen beantwortet werden. Hier - in einem lederbraun bestuhlten Café, bei Jazz und kenianischem Hochlandkaffee - sieht der Musiker aus, wie das Feuilleton einen 28-jährigen Berlin-Mitte-Bewohner stereotypisieren würde. Trotz L.A., Pop und Auftritten vor Millionenpublikum.

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