zum Hauptinhalt
Herbstlicher Grunewald nahe Krumme Lanke

© Lothar Beckmann

Geschichte des Grunewalds - Berlins grüner Lunge: Vom Wald zum Forst zum Wald

Warum zeigt das Zehlendorfer Wappen die Kiefer - und warum wären die Grunewaldseen beinahe ausgetrocknet? Ein Bericht, der anregen möchte, im Zehlendorfer Teil des Grunewaldes nach den Spuren der Geschichte zu suchen.

Seit dem Ende des Mittelalters vergnügten sich die Landesherren in der „Heide über dem Teltow“, auch „Spandauer Heide“ und jetzt Grunewald genannt. Jagdschilderungen, Gemälde und seit etwa 200 Jahren wissenschaftliche Untersuchungen machten den Grunewald zu einem der beliebtesten, am besten untersuchten, aber auch sehr stark gefährdeten Waldgebiete. Auf Druck der Berliner schrieb die Stadtverwaltung vor über 120 Jahren: „...daß es bei der zunehmenden Bebauung der Umgebung von Berlin aus Gründen der öffentlichen Gesundheitspflege notwendig ist, größere Gelände in unseren Gemeindebesitz zu bringen, um so der wachsenden Bevölkerung der Reichshauptstadt für die ferne Zukunft die Gelegenheit der Erholung und Erfrischung im Freien und im Walde zu sichern...“. (...)

Und so wurde im Jahr 1915 der Dauerwaldvertrag zur Verhinderung weiterer Bebauung abgeschlossen. Zum 100-jährigen Jubiläum verlieh der Bund Deutscher Forstleute (BDF) dem Grunewald den Titel „Waldgebiet des Jahres“.

Vor 800 Jahren kamen Einwanderer aus dem Westen und gründeten Dörfer, die anfangs wie kleine Inseln in den Wäldern lagen. Das änderte sich schnell. Bald waren nur noch Waldinseln in sandiger, märkischer Landschaft zu sehen. Nach dem „Kolonisieren“ oder „Urbarmachen“ zur Anlage von Äckern war der Sandboden schnell erschöpft. Hungersnöte und Seuchen folgten. Energie- und Holzmangel führte zu Verteilungskriegen, welche die Restwälder durch Raubbau weiter reduzierten. Das ärgerte die Landesherren: Waldgebiete versprachen ihnen höchsten Lustgewinn.

„Naherholung“ vor 400 Jahren

Jagdfieber überfiel die Fürsten, wenn sie an Ablenkung vom Alltag dachten. Wie wir heute benötigten sie damals aufwendige Vergnügungsstätten, meist mehrere Jagdschlösser. Den Grundstein für sein Jagdschloss auf heutigem Zehlendorfer Gebiet legte Joachim II. (1505-1571), Kurfürst von Brandenburg, am 7. März 1542. Teile der Inschrift über dem Eingang des Jagdschlosses Grunewald sind mit Ergänzungen erhalten und lauten:

„MDXXXXII• ... • HAT • ... JOACHIM DER II. • ... DIS • HAUS • ZUBAUEN ANGEFANGEN • UND • DEN • VII MÄRZ • DEN • ERSTEN • STEIN • GELEGT • UND • ZUM • GRUENEN • WALD • GENENT •“

 

Bienenbeuten auf der frei gehaltenen Fläche des ehemaligen Schießplatzes (Bild vom Juli 2015)
Bienenbeuten auf der frei gehaltenen Fläche des ehemaligen Schießplatzes (Bild vom Juli 2015)

© Achim Förster

Auf der Karte von Ortelius ist bereits 1588 der „Grunewald“ und bei Köpenick die „Grune heyde“ eingetragen, wo seit etwa 1558 das Jagdschloss Köpenick steht. Auf dem Schulenburg-Schmettauschen Kartenwerk von 1774/75, zur Zeit Friedrichs des Großen (1712–1786), findet man die „Königliche Grünewaldsche Heyde“ und den „Grünewaldschen See“. Die Dörfer, aus denen später Berlin hervorging, sind in sandig-gelber, waldfreier Landschaft eingezeichnet. Flugsand drohte, die Ernten zu vernichten. Trotzdem wurden noch um 1740 die Havelhänge kahl geschlagen, um die Eichen nach England zu verkaufen, wo ebenfalls Holzmangel herrschte. Die dafür an der Havelchaussee angelegten Holzablagen bestanden bis in die 1960er-Jahre und zeichnen sich heute noch am Havelufer ab.

 Vom Wald zum Forst

Von der Not gezwungen wurden an den Havelhängen Baumsamen ausgebracht und 1752 wird der Erhalt des Gemeindewäldchens in Zehlendorf-Mitte durchgesetzt. Die geregelte Forstwirtschaft begann, die erst nach 1800 ihre Wirkung zeigen konnte. Wenige Kiefern aus dieser Zeit stehen noch (!) an den Hängen bei Heckeshorn. Sie werden aber immer häufiger aus Sicherheitsgründen gefällt. Die letzten, eigentlich langlebigeren Zeitzeugen, die Alteichen im Grunewald, erliegen bald der Konkurrenz durch jüngere Nachbarbäume. Landwirtschaftsreformen und neue Düngungsmethoden milderten die Hungersnöte unter anderem durch bessere Kartoffelernten. Dadurch stand unfruchtbares Land zur Aufforstung zur Verfügung. Kiefern konnten auf fast reinem Sand wachsen. Deshalb baute man sie mit den gleichen Methoden wie Feldfrüchte an. Der Grunewald wurde zum Forst, kritisch „Holzacker“ genannt, und sogar kurzzeitig größer.

Auf dem „Urmeßtischblatt“ von 1844 sind die neuen Schonungen am Südrand der Seenkette eingetragen. Ihre Lage ist heute noch an den Altkiefern in Nikolassee und Schlachtensee sowie in den von Kiefern geprägten Siedlungen bei Onkel-Toms-Hütte zu erkennen. Die Gärten von Zehlendorf-Süd wurden hingegen auf bewirtschafteten Feldern angelegt, dort gibt es deshalb kaum Altkiefern.

Das Zehlendorfer Wappen ehrt die Kiefer. Leider ist der Baum, der in Preußen den Holzmangel besiegte, in Verruf geraten. Nach dem Hinweis vom Autor dieses Beitrags, dass der Wappenbaum nach Überalterung bald ausstirbt, regte der damalige Bezirksbürgermeister Klaus Eichstädt 1998 an, 100 Kiefern pro Jahr in Zehlendorfer Grünanlagen nachzupflanzen. Privatleute lassen jetzt wieder Kiefern in ihren Gärten heranwachsen. Das ist kostenlos und optimal im Sinne der biologischen Vielfalt. (...)

 Der Grunewald gestern

Um 1900 entstanden die Gemälde von Walter Leistikow (1865-1908) mit den Grunewaldseen, deren Ufer frischgrün dargestellt sind. Dieses Grün stammt von Pflanzen, die trocken gefallene Ufer besiedeln. Das weist auf die drohende Umweltkatastrophe hin. Wegen der Wasserentnahme durch das Wasserwerk Beelitzhof ab 1888 und eventuell auch durch den Bau des Teltowkanals 1906, wären die Grunewaldseen fast ausgetrocknet. Weil Wissenschaftler und Anwohner dagegen protestierten, wurde seit 1913 Havelwasser, seit 1981 phosphatfrei, zum künstlichen Erhalt der Seen hineingepumpt. Nicht nur den Seen, sondern auch dem Grunewald ging es in den letzten 100 Jahren sehr schlecht. Klagen wegen rücksichtsloser Erholungsnutzung und Holzdiebstahl waren an der Tagesordnung. Erste Stadtplaner forderten um 1910 eine weitsichtige Bebauung unter Erhalt durchgehender Grünverbindungen zum Umland.

Unter diesen Rosskastanien saßen die Restaurantgäste am Uferweg der Krummen Lanke
Unter diesen Rosskastanien saßen die Restaurantgäste am Uferweg der Krummen Lanke

© Achim Förster

Das ist auch eine aktuelle Forderung des Berliner Senats, deren Bedeutung leider immer noch nicht in unserem Bezirk hinreichend erkannt wird. Schon der bekannte Botaniker Kurt Hueck (1897-1965) aus Zehlendorf beklagte das inzwischen fast vollkommen eingetretene Aussterben seltener Pflanzen, besonders in den austrocknenden Grunewaldmooren.

 West-Berlin ohne Grunewald?

Nach 1945 entstanden große Kahlschläge. Munitionssuche und Wasserverschlechterung vernichteten die Schilfgürtel der Seen. Der Grunewald wurde zum US-amerikanischen Manövergebiet.

Drei Richtfunk-Antennen versorgten West-Berlin mit den ersten Fernsehsendungen und prägten von 1950 bis 1974 das Bild von Nikolassee. Ihre Fundamente im Grunewald beim Wannseebadweg werden noch lange erhalten bleiben. In den 1960er-Jahren boten noch kahle Havelberge freien Blick ins Stadtzentrum und wurden zum Üben von Landeanflügen für US-Hubschrauber genutzt. Bis weit in die 1980er-Jahre rollten Panzer auf ihrer Fahrt zum Grunewald durch Zehlendorf-Mitte. Bald hörte man auch nachts Schüsse von Gefechtsübungen aus dem gesamten Waldgebiet. Schüsse vom Schießstand Keerans Range an der Avus gehörten zur täglichen Geräuschkulisse. Schulkinder sammelten Patronen in „Kampfpausen“. Wer sich an die richtigen Stellen erinnert, findet noch heute die zersetzten Reste von Provianttüten und Konservendosen, von denen man manchmal eine geschenkt bekam.

Jagdschloss Grunewald im Winter
Jagdschloss Grunewald im Winter

© Lothar Beckmann

Inzwischen abgeflachte Gruben, in denen die Soldaten Deckung suchten, bleiben noch lange sichtbar. Die einst immensen Manöverschäden erkennt man nur noch, wenn man sich genau an die breiten Panzer-Wege und Aufmarschplätze im Wald erinnert. Sie sind zugewachsen. An Sonn- und Feiertagen amüsierten sich die Berliner in dem dann manöverfreien Grunewald. Ohne dieses oft völlig überfüllte Naherholungsgebiet wäre es wahrscheinlich den Berlinern zu eng geworden und die US-Amerikaner hätten kein, aus jeder Sicht beliebtes Manövergebiet gehabt.

 Der Grunewald heute

Fortschrittliche Waldbaurichtlinien verabschiedeten die Berliner Forsten 1991. In den „Informationen aus der Berliner Landschaft 42, Nov. 1991“ fällt der Satz auf: „Die Forsten haben in einem intensiv genutzten Ballungsraum wie Berlin eine ,Arche-Noah-

Funktion‘...“. Auf zahlreichen Fotos wird der heute kaum noch zu sehende Einsatz von Pferden bei der Waldarbeit gezeigt. Mitte der 1990er-Jahre stand eine Waldzertifizierung an. Naturschutzgruppen trafen sich zu Beratungen bei Greenpeace. Nach Abstimmung mit der Berliner Forstverwaltung kam es 2002 zur Zertifizierung durch den Naturland-Verband, der die Naturschutzvorgaben streng beachtet und international dem Forest Stewardship Council angegliedert ist. Dennoch kritisieren Waldbesucher in den letzten Jahren immer häufiger die verstärkte Holzentnahme und dass nach dem Einsatz schwerer Geräte, sogenannter Harvester, der Wald teilweise wieder wie nach längeren Militärmanövern

Folgen des Umbaus vom Forst zum Naturwald
Folgen des Umbaus vom Forst zum Naturwald

© Achim Förster

aussieht. Naturland fordert 2014: „Das Vorrücken mit Pferden ist anzustreben“. Der Bund Deutscher Forstleute (BDF) schreibt zum Wald des Jahres 2015: „Die Holzernte wird in den Berliner Wäldern so schonend wie möglich durchgeführt. Im Vordergrund steht vor allem der Schutz des Waldbodens. Häufig kommen deshalb Rückepferde zum Einsatz...“

Vieles ist also noch Zukunftsmusik und erfordert jede Menge Umdenken bei den Verantwortlichen. Trotzdem geht es dem Grunewald besser als in den vergangenen Jahrhunderten. Strenge Schutzmaßnahmen für Wildtiere und seltene Pflanzen in den Naturschutz und den europäischen Schutzgebieten (FFH- und SPA-Gebieten) werden dem gestressten Naherholungsgebiet in Zukunft hoffentlich die dringend nötige Erholung ermöglichen. Ob der eilig betriebene Rückbau vom Forst zum Wald zum Erfolg führt, werden die nächsten Jahrhunderte entscheiden.

Dr. Achim Förster ist Chemiker in Rente, mit Arbeitsschwerpunkten in Organisationen wie dem Botanischen Verein von Berlin und Brandenburg, im Förderverein Landschaftsschutzgebiet Buschgraben-Bäketal (Kleinmachnow) und im Museumsdorf Düppel.

Den vollständigen Text finden Sie im Zehlendorf Jahrbuch 2016. Zum Nachlesen weiterer Grunewald-Geschichten lädt die kleine Bibliothek mit der Kartensammlung im Heimatmuseum Zehlendorf ein.

Der Text erscheint auf Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Südwesten. Folgen Sie der Redaktion Steglitz-Zehlendorf gerne auch auf Twitter.

Achim Förster

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false