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Die von Paul Mebes entworfene Gartenstadt an der Berlepschstraße besticht vor allem durch ihre Mietergärten und Lauben direkt am Haus.

© Bernhard Wiens

Ein Architekturstreit, der Zehlendorf prägte: Flach oder nicht flach?

In den Zwanziger Jahren tobte ein „Dächerkrieg“, in dem die besten Architekten gegeneinander antraten. Vertreter eines gemäßigten Klassizismus trafen auf Anhänger der neuen Sachlichkeit. Tradition traf Moderne; Satteldach traf Flachdach. Zehlendorf war der Brennpunkt einer architektonischen Auseinandersetzung, die schnell internationales Format bekam.

1900 fing es ganz klein und ein wenig anarchistisch in einem Haus am Schlachtensee an. Die Gebrüder Hart gründeten die „Neue Gemeinschaft“, eine Keimzelle der Gartenstadtidee. Ganz groß ging es weiter mit der Gründung des Werkbundes 1907 und mit Hermann Muthesius, der zur Schlüsselfigur eines funktionalen und typisierenden Bauens wurde. Haus und Garten waren für ihn ein eng verschmolzenes Ganzes. Von diesem Zeitpunkt an war der Garten als „Wohnraumerweiterung“, zugeordnet den Funktionen der Zimmer, ein Teil der Moderne.

Muthesius hatte gründlich das englische Landhaus studiert: Das Prinzip offener Grundrisse und fließender Übergänge von innen und außen konnte er auf jedes Bauwerk von der Fabrik bis zum Gartenstadt-Kleinhaus übertragen. Er realisierte in (den Grenzen des späteren Bezirks) Zehlendorf bis zu 25 Landhäuser, von denen einige um die Rehwiese gruppiert sind - darunter sein eigenes.

Wechsel von Wohnsiedlungen und Einzelhausbebauung

Zehlendorf zeichnet sich noch heute durch den Wechsel von Wohnsiedlungen unterschiedlichen Typus' und Einzelhausbebauung aus - ein Spagat, den auch die Architekten machten, die sich ihr eigenes Landhaus bauten und zugleich für große Gesellschaften leitend im Siedlungsbau tätig waren, wie zum Beispiel Paul Mebes, der sich ein Haus in der Riemeisterstraße baute.

Zusammen mit seinem Partner Paul Emmerich entwickelte Mebes ab 1912 eine der ersten Gartenstädte Berlins an der Berlepschstraße. Genau genommen war es keine Gartenstadt aus Kleinhäusern, sondern eine von der Gartenstadtidee geprägte Siedlung, die vor Geschosswohnungsbau nicht Halt machte. Allerdings blieben die wichtigsten Merkmale gartenstädtischer Auflockerung wie gekrümmte Straßen, der Wechsel von Giebeln und Traufen und die halboffene Bauweise erhalten. Bis heute erfreuen sich die Bewohner der Berlepschstraße an den Mietergärten direkt am Haus oder in den Wohnhöfen. An die Häuser fest angebaute Lauben stehen wieder für die von Muthesius initiierte „Wohnraumerweiterung“.

Farbige Fassaden, Treppengiebel und Rundtürme

Für Treppengiebel, Rundtürme und Risaliten in der Gartenstadt diente das (Muster-)Buch „Um 1800“ als Vorlage, das Mebes selbst herausgegeben hatte. Darin plädiert er für die Rückkehr zu einem moderaten Klassizismus, um den überladenen Historismus zu überwinden. Mebes hatte jedoch - je größer der Kostendruck in den Zwanzigerjahren wurde - keinerlei Berührungsängste mit den Vertretern des Neuen Bauens und ihrer Vorliebe für Flachdächer. An dieser Stelle kommt Bruno Taut ins Spiel, der in seiner „Tuschkastensiedlung“ in Falkenberg im Bezirk Treptow-Köpenick schon vor dem Ersten Weltkrieg zudem die Fassaden farbig gestaltete, was Mebes nach dem Krieg für den Ausbau seiner Gartenstadt in Zehlendorf übernahm. Farbe wurde zum Ersatz für Ornamente.

Piet Mondrian inspirierte andere Künstler bei der Verwendung von Farbe. Er schuf konstruktivistisch-geometrische Gemälde wie hier das Bild "Komposition mit großer roter Fläche, Gelb Schwarz, Grau und Blau" aus dem Jahr 1921
Piet Mondrian inspirierte andere Künstler bei der Verwendung von Farbe. Er schuf konstruktivistisch-geometrische Gemälde wie hier das Bild "Komposition mit großer roter Fläche, Gelb Schwarz, Grau und Blau" aus dem Jahr 1921

© dpa/ picture alliance

Die Verwendung von Farbe wurde nicht nur durch den Expressionismus, sondern auch durch die 1917 in Holland gegründete Künstlergruppe „De Stijl“ vorangetrieben. Ihr prominentester Vertreter, Piet Mondrian, schuf konstruktivistisch-geometrische Gemälde; Raumbilder, bei denen die Bildfläche zur Wandfläche und die Wandfläche zur Dachfläche werden kann.

Aus Malerei wird Architektur. Die Formen werden kubisch – so verstand es auch das „Bauhaus“, das 1919 von Walter Gropius in Weimar als Kunstschule gegründet wurde.

Flachdach versus Satteldach

Kubische Formen findet man auch bei Bruno Taut, dessen „Papageiensiedlung“, wie der Volksmund sie aufgrund der bunten Häuser nannte, zwischen 1926 und 1932 bei Onkel Toms Hütte entstand. Taut rationalisierte das Bauen, um es für „kleine Leute“ erschwinglich zu machen. Als seine im Team mit Hugo Häring und Otto R. Salvisberg konzipierte Siedlung halbwegs fertig war, wurde es der konservativen Zehlendorfer Klientel des Flachdachs zu viel und sie setzte ihm 1928 die „Versuchssiedlung“ für mittelständisches Wohnen aus lauter Steildächern vor die Nase, eine Trutzburg, welche den Fischtalpark als Grünzug abriegelte. Die Wohnungsbaugesellschaft GAGFAH hatte 16 Architekten engagiert, darunter Paul Schmitthenner, Hans Poelzig und Heinrich Tessenow, um das Flachdach durch die Kraft des Beispiels altbewährter Dachformen wie der des Steildachs zu widerlegen.

Der hier ausgefochtene „Dächerkrieg“ kann als Symbol für den Kampf der Konservativen gegen den allgemeinen sozialen Wandel gewertet werden. Heute wirkt der Kontrast zwischen der links- und rechtsseitigen Bebauung (Steil- und Flachdach) der Straße Am Fischtal sehr anregend. Die landschaftliche und gärtnerische Gestaltung des Wohngebiets vermittelt in dem Konflikt.

Bruno Taut war für die Verwendung von Farbe beim Gestalten der Fassade bekannt - nicht nur in Berlin, sondern auch anderswo wie hier in einer Wohnsiedlung in Magdeburg.
Bruno Taut war für die Verwendung von Farbe beim Gestalten der Fassade bekannt - nicht nur in Berlin, sondern auch anderswo wie hier in einer Wohnsiedlung in Magdeburg.

© dpa

Der "Dächerkrieg" brachte Widersprüche hervor: Die Verfechter des Flachdaches können in ihrer Berufsbiographie durchaus geneigte Satteldächer vorweisen – so auch Bruno Taut. Umgekehrt war Poelzig, der zur konservativen Siedlung der Steildächer beitrug, mit Flachdächern vertraut. Mebes, der Pragmatiker, wirkte ebenfall auf der „konservativen Seite“ mit, obwohl er sich zuvor schon an kubischen Baukörpern und Stahlskelettbauweise ausprobiert hatte. Heinrich Tessenow, der die Riege der 16 Architekten der GAGFAH anführte, hatte schon vor 1914 seinen traditionell-klassizistischen Stil so weit abstrahiert, dass er als ein Wegbereiter der Moderne gelten kann. Zu allem Überfluss steuerte der strikte Modernisierer Walter Gropius zur Steildach-Siedlung den Ausstellungspavillon bei.

Ideologische Gegensätze in der ausgeführten Architektur verliefen selten rein, sondern vielmehr asymmetrisch.

Broschüren im Heimatmuseum über bedeutende Architekten und Baumeister, die in Zehlendorf wirkten

Der Stadtplaner Frank Rattay hat Biographien und Werke von bedeutenden Architekten und Baumeistern zusammengetragen, die in Zehlendorf im 20. Jahrhundert wirkten. Mit ca. 40 Namen ist die Liste, auf der unter anderem Peter Behrens, Mies van der Rohe, Walter Gropius und Hans Scharoun stehen, noch lange nicht komplett. Die "Newcomer der Nachkriegsmoderne" (seit 1945) wurden zudem gar nicht mitgezählt.

Das Wohnhaus in "Sommerfelds Aue", eine von vier flachgedeckten, kubischen Villen, bezeichnete Erich Mendelsohn selbst als eine der ersten modernen Villen in Berlin.
Das Wohnhaus in "Sommerfelds Aue", eine von vier flachgedeckten, kubischen Villen, bezeichnete Erich Mendelsohn selbst als eine der ersten modernen Villen in Berlin.

© Bernhard Wiens

Einen eigenen Aufsatz widmet Rattay den verfolgten jüdischen Architekten wie zum Beispiel Erich Mendelsohn, der 1927/28 das Haus Bejach in Steinstücken entwarf. Das Haus besticht durch seine klare horizontale Struktur und die Pergolen, berankte Laubengänge. In „Sommerfelds Aue“, einem Villen-Ensemble in der Onkel-Tom-Straße, das aus vier kubischen, flachgedeckten Villen besteht, hatte Mendelsohn 1923/24 seinem Mitarbeiter, dem Architekten Richard Neutra, den Vortritt gelassen. Neben der farbigen Innengestaltung der vier Einzelhäuser waren große Drehbühnen die Attraktion. Sie waren in drei Segmente unterteilt, durch die der Wohnraum verwandelt werden konnte.

Die Broschüren von Rattay sind im Heimatmuseum erhältlich. Ich empfehle die Lektüre, weil sie ihrerseits eine Empfehlung zum Flanieren durch Zehlendorfer Kieze der Moderne, der Anti-Moderne und der gemäßigten Moderne ist. Die Zehlendorfer Stadtlandschaft erschließt sich – wenn auch zunehmend gestört durch dahin gewürfelte „Investorenarchitektur“ – am besten mittels Spaziergängen. Denn wie wusste schon Walter Benjamin? „Wer eine Stadt betritt, fühlt sich wie in einem Traumgewebe, wo einem Geschehnis von heute das vergangenste sich angliedert.“ Trotz ihrer Steinschwere sind Städte „empfindlich wie eine Äolsharfe für die lebendigen historischen Luftschwingungen.“

Bernhard Wiens, Anwohner am Laehr'schen Jagdweg.
Bernhard Wiens, Anwohner am Laehr'schen Jagdweg.

© privat

Der Autor wohnt in Zehlendorf und ist Dozent an der Beuth Hochschule Berlin und Wissenschaftsjournalist. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

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