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An dieser Bushaltestelle ereignete sich der tödliche Unfall.

© Georg Moritz

Update

Berlin-Zehlendorf: Tödlicher Unfall mit BVG-Fahrgast: Flüchtiger Radler nach zwei Monaten gefasst

Ein 70-jähriger Mann steigt am Teltower Damm in Zehlendorf aus dem BVG-Bus aus, ein Radfahrer erfasst ihn. Der Rentner stirbt, der Radler - flüchtet. Jetzt wurde ein 17-Jähriger festgenommen. Und er zeigte sich bereits geständig, sagt die Polizei.

Die entscheidenden Hinweise kamen aus der Nachbarschaft: Zwei Monate nach einem tödlichen Verkehrsunfall ist ein 17-Jähriger festgenommen worden. Ihm wird fahrlässige Tötung und Unfallflucht vorgeworfen. Der Jugendliche soll am 23. Juni in Zehlendorf einen 70-Jährigen angefahren haben, der gerade aus dem 285er Bus stieg. Um auf den Gehweg zu kommen, musste er den Radweg queren. Direkt an der Haltestelle rammte der Radler den Rentner, er stürzte mit dem Kopf auf den Boden. Der Radfahrer fuhr davon – ohne zu wissen, dass eine automatische Videokamera ihn direkt nach dem Unfall zufällig aufnimmt.
Wenige Tage nach dem Unfall stirbt der Rentner in einer Klinik an seinen schweren Kopfverletzungen. Zu dieser Zeit hat die Polizei schon die Bilder aus der BVG-Kamera gesichert. Diese werden zwei Wochen später veröffentlicht. Sie zeigen einen Radfahrer mit einer auffallend gelben Hose, Rucksack und einem knallroten Rad ohne Schutzbleche.

Genau diese Kleidung und das Rad finden die Ermittler am Mittwoch früh bei einer Hausdurchsuchung und beschlagnahmen alles. Fortan sind es „Beweismittel“. Schon in der ersten Vernehmung „zeigte sich der 17-Jährige geständig“, wie die Polizei mitteilte.

Nur fünf Hinweise gingen, wie am Dienstag berichtet, bei der Polizei ein. Sie konzentrierten sich auf den 17-Jährigen, der in unmittelbarer Nähe zum Tatort bei seinen Eltern wohnt. Vor einigen Tagen beantragten die Ermittler einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, dieser wurde am Mittwoch vollstreckt. Nicht nur in Zeitungen und im Internet waren die drei Fotos des Radfahrers veröffentlicht worden. Rund um den Unfallort hatte die Polizei zahlreiche Fahndungsplakate aufgehängt. Mit Erfolg: Der entscheidende Tipp kam von jemanden, der das Plakat gelesen hatte. „Auch der 17-Jährige muss sich darauf gesehen haben“, hieß es im Präsidium. Um so unverständlicher sei, dass sich der 17-Jährige nicht selbst stellte. Dies dürfte im Gerichtsverfahren gegen ihn sprechen, sagen Polizisten. In diesem Jahr gab es schon einmal eine tödliche Unfallflucht. Der Autofahrer hatte sich Stunden nach Beginn der Öffentlichkeitsfahndung selbst gestellt.

Massenhaft Gefahr durch die alte Bauweise

Die Kreuzung, auf der der Unfall geschah, gehört zu den am stärksten befahren. Hier treffen Clayallee, Berliner Straße, Potsdamer Straße und Teltower Damm zusammen. Der 17-Jährige kam von der Clayallee und wollte Richtung Süden in den Teltower Damm. Der Radweg verläuft hier auf dem Gehweg, die typische Bauweise vor Jahrzehnten, als Radfahrer nicht auf die Straße sollten. Die Benutzungspflicht dort ist vor Jahren aufgehoben worden, wie bei etwa 80 Prozent aller Radwege. Radler dürften also auf die Straße, angesichts des meist sehr dichten Autoverkehrs wählen die meisten den alten Radweg. Dies ist zulässig. Der Radweg verläuft dann zwischen Haltestelle und Wartehäuschen hindurch – wie an vielen Stellen in der Stadt.

Eine Funkstreife im Einsatz.
Funkstreife im Einsatz.

© dpa

Tausendfach entsteht durch diese alte Bauweise Konfliktpotential: Denn jeder BVG-Fahrgast muss beim Ein- und Aussteigen den Radweg queren. In diesem Jahr starben bereits zwei Rentner, die an solchen Haltestellen von Radfahrern umgefahren wurden. Im April starb eine 91-Jährige, die am Tempelhofer Damm an einer Bushaltestelle wartete und „unvermittelt“ auf den Radweg trat. Auch dort führt der Radweg zwischen Haltestelle und Wartehäuschen bzw. Gehweg hindurch.

Es näherte sich gerade kein Bus

Eines unterscheidet beide Unfälle rechtlich: In Zehlendorf hat der Radfahrer – unabhängig von der Flucht – den Unfall verursacht, in Tempelhof war es die 91-Jährige. In Paragraf 20 der Straßenverkehrsordnung heißt es, dass an „Omnibussen, die an Haltestellen halten, nur vorsichtig vorbeigefahren werden darf“. Noch strenger sind die Anforderungen an Auto- und Radfahrer, „wenn Fahrgäste ein- oder aussteigen“. Dann nämlich darf nur mit Schrittgeschwindigkeit und mit einem solchen Abstand vorbeigefahren werden, dass eine „Gefährdung ausgeschlossen“ ist. In Zehlendorf stieg der 70-Jährige gerade aus dem Bus, in Tempelhof trat die Seniorin „unvermittelt“ und „ohne erkennbaren Grund“, so die Polizei, auf den Radweg. Denn es näherte sich gerade kein Bus. In solchen Fällen darf der Radler darauf vertrauen, dass keiner auf den Radweg läuft.

Der 17Jährige zeigte sich geständig

Mittlerweile wird besser gebaut. An der Bülowstraße in Schöneberg entsteht gerade kurzes Stück Zwei-Richtungs-Radweg in Höhe der Kirche. Die Bushaltestelle des M19 wird deshalb verlegt, um derartige Konflikte zu vermeiden. 2013 gab es in Berlin 426 Unfälle zwischen Fußgängern und Radlern. Dabei wurden 312 Fußgänger und 206 Radfahrer verletzt. Wieviele Unfälle an Haltestellen geschahen, wird nicht erfasst.

Der Autor ist Redakteur im Berlin-Teil des Tagesspiegels. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin aus dem Südwesten.

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