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Die meisten verhalten sich ganz normal. Problematisch sind aber Partyboote und Raser, die keine Rücksicht nehmen in der Natur.

© Imago

Krach auf der Berliner Havel: Techno, Raser, Remmidemmi

Alle sind vom Lärm genervt: Aber wer ist auf dem Wasser eigentlich zuständig? Minister und Senator werden hellhörig - doch da taucht ein Problem auf.

Idyll? Iwo. Die Havel zwischen Scharfer Lanke und Wannsee war in diesem Jahr eher eine schwimmende Kirmes. Techno, Raser, Remmidemmi. Aber der Reihe nach: der Sommer war rasant und laut genug in Berlin-Spandau.

„Es ist nicht mehr auszuhalten“, klagten Anwohner im Tagesspiegel und berichteten, dass der Lärm enorm zugenommen habe. Kaum waren die Worte draußen, brach eine Welle los. Leserbriefe ohne Ende trafen in der Newsletter-Redaktion ein: Pfarrer, Nachbarn, Ruderer, Motorbootfahrer - sie alle klagten über die Lautsstärke, die im Coronasommer 2020 enorm zugenommen habe.

Die Politik zuckte erst müde mit den Schulter. Tenor: altbekanntes Problem, war schon immer so, nächstes Thema.

Doch als sich auch die Berliner Wasserschutzpolizei mit klaren Worten in die Newsletter-Debatte einmischte und klare Regeln der Politik einforderte, wurde klar: Da gibt es wirklich ein Problem im Berliner Südwesten. 

Im Mittelpunkt: Erstens die Technoschiffe, die jeder mieten kann und deren Gewummer kilometerweit vom Wasser zu hören ist. Das zweite Problem wiederum sind die Motorboot-Angeber, die am Nachmittag zur immer gleichen Zeit übers Wasser lärmen. Immer nur drei, vier Boote - immer Rööööhr. „Da kann ich mich mit dem Klappstuhl auch an die Autobahn setzen“, schnaufte eine Bürgerin in Wannsee.

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Der Sommer ist längst vorbei, doch diskutiert wird noch immer – das zeigen Briefe, das zeigen Smalltalks am Hafen. Der Spandauer Bundestagsabgeordnete Swen Schulz, SPD, hob das Thema im Herbst auf die Politagenda. „Ich hörte vom Problem der Bürgerinnen und Bürger, ich las die Stellungnahme der Berliner Polizei im Spandau-Newsletter. Also wollte ich dazu die Sicht des Verkehrsministers hören. Schließlich muss eine Problemlösung her, nicht wahr?“

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Also schrieb Swen Schulz an Verkehrsminister Andy Scheuer, CSU - und der ließ prompt antworten: „Betreff: Lärmbelästigung auf Bundeswasserstraßen in Berlin.“ Das steht ganz oben auf dem Antwortbrief. „Herr Bundesminister Andreas Scheuer dankt für Ihr Schreiben und hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.“

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So beginnt der zweiseitige Brief von Staatssekretär Enak Ferlemann, CDU, an SPD-Mann Schulz. Ja, die Lärmproblematik auf dem Wasser in Ballungsgebieten wie Berlin sei dem Ministerium bekannt. Allerdings müsse man bei den Lärmquellen unterscheiden: „Lärm, der nicht auf den Schiffsbetrieb zurückzuführen ist, wie zum Beispiel zu laute Musik an Bord der Sportboote oder Partylärm, fällt in die Zuständigkeit der kommunalen Ordnungsbehörden.“

Die Antriebsmotoren hingegen haben feste Geräuschemissionsgrenzen; die Hersteller müssten das bescheinigen. Allerdings gebe es Ausnahmen („…ausschließlich für Rennen gebaute Wasserfahrzeuge, Eigenbauten, Tragflügelboote müssen die genannten Werte nicht erfüllen“).

Das Fahrgeräusch dürfe beispielsweise 25 Meter von der Bordwand entfernt bei 75 Dezibel liegen – das ist in etwa der Krach einer Waschmaschine im Schleudergang. Keine Ahnung, wie laut Ihre Waschmaschine ist, aber meine hört man nicht 3000 Meter von der Havel entfernt. So weit weg vom Ufer sind die Boote nämlich zu hören.

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„Ich finde die Antwort enttäuschend und auch ärgerlich“, sagte schließlich Swen Schulz. „Zur Problemlösung kam leider kein Impuls vom Ministerium und es gibt offenbar auch keine Handlungsbereitschaft. Okay, die Partyboote sind kein Bundes-Thema, das verstehe ich. Okay, die Lage ist kompliziert. Aber das Gesamtproblem mit dem Lärm bleibt doch. Die Zuständigkeiten kollidieren offenbar auf den Ebenen.“ Die Ordnungsämter haben keine Boote und Bezirksgrenzen auf dem Wasser sind auch nicht gerade leicht ersichtlich.

Als nächsten Schritt nahm Schulz also Kontakt auf zu Innensenator Andreas Geisel, SPD. Und auch der wollte jetzt an der Newsletter-Debatte teilnehmen. „Geschwindigkeitsüberschreitungen durch Speedboote stellen auch für die Berliner Polizei ein bekanntes Problem dar“, schreibt der Innensenator an den Bundestagsabgeordneten Swen Schulz. Zum Lärm der Partyschiffe äußerte er sich nicht. Aber zu Rasern („setzen Lasergeräte und Zivilstreifenboote ein“) und deren Krach. Allerdings: „Sportmotorboote unterliegen im Betrieb keinen immisionsrechtlichen Vorschriften“, sagt Geisel – und sagt damit das Gegenteil vom Verkehrsminister.

Das Problem ist also nicht nur konkret, sondern auch kompliziert. Die Havel ist eine Bundeswasserstraße, unterliegt also dem Verkehrsministerium, so der Innensenator. „Die Bootsfahrenden handeln auch bei sehr lauten Motoren nicht rechtswidrig, da sie im Betrieb als Sportfahrzeug gelten und somit aus dem Schutzbereich des Landes-Immisionsschutzgesetzes fallen.“ Aber ja, das sei „problematisch“ für die Strafverfolgung.

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Anwohner Max Weithmann hat genug im Newsletter gelesen: Er sammelt jetzt Unterschriften und reicht die an den Spandauer Abgeordneten Peter Trapp, CDU, weiter. „Es kann nicht sein, dass über Jahre Regeln, die für das Zusammenleben einer Gemeinschaft gesetzt wurden, nicht eingehalten und auch nicht sanktioniert werden“, schreibt Leser Weithmann. „Wir, ein Mitstreiter und ich, haben schon weit mehr als 100 Unterschriften gesammelt. Gleichzeitig habe ich auch die Fraktionen in der BVV angeschrieben mit der Bitte, uns bei der Aktion zu unterstützen und eigene Maßnahmen gegen die hohen Geräuschemissionen einzuleiten. Unser Bemühen ist es, den Druck im Kessel aufrecht zu erhalten, um endlich im nächsten Jahr etwas mehr Ruhe zu finden.“ 2021 wird spannend. Auch leiser?

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