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In Parkraumbewirtschaftungszonen dürfen Anwohner nur mit Vignetten parken.

© Kai-Uwe Heinrich

Pauschales Parkverbot in Prenzlauer Berg rechtswidrig?: Anwohner beklagt Strafzettel-Offensive vor Hauseinfahrten

Reicht ein Einfahrt-Schild am Tor fürs Parkverbot? Ja, sagt Pankows Ordnungsamt. Nein, sagt ein Anwohner in Prenzlauer Berg. Die Antwort ist viel komplizierter als gedacht.

Von Christian Hönicke

Wem gehören die Ausfahrten in Berlin? Das fragt sich Stefan Gehrke. Er ist auf zig Hektar rechtlich praktisch undefinierten Raums mitten in der deutschen Hauptstadt gestoßen. Und alles nur, weil er sein Auto geparkt hat – direkt vor der Haustür eines Altbaus im Bötzowviertel, in dem er selbst wohnt. Zwar sei darauf immer noch das Schild „Einfahrt freihalten“ angebracht. „Das ist längst überholt“, sagt Gehrke. „Das war früher mal eine Zufahrt, ist es aber seit vielen Jahren nicht mehr.“

Dennoch bekam Gehrke daraufhin einen Strafzettel vom Ordnungsamt: wegen Falschparkens in einer Ausfahrt. Gehrke legte Einspruch ein, doch der wurde zurückgewiesen. Er wird bezahlen, doch abfinden will er sich nicht mit der neuen Pankower Praxis, vermeintliche Ein- und Ausfahrten pauschal zu Parkverbotszonen zu erklären. „Allein bei uns im Viertel gibt es bestimmt 15 solche Einfahrten, die keine mehr sind“, sagt er. „Da können längst keine Autos mehr reinfahren – warum soll man da nicht parken dürfen?“

[Dieser Text stammt aus dem Pankow-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Pankow-Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

In der Tat stößt die Regelung in den Gründerzeitvierteln Berlins an ihre Grenzen. Die Zufahrten wurden einst deshalb angelegt, weil damit Kutschen und Feuerwehrwagen auch in die Hinterhöfe vordringen konnten. Dort befanden sich neben Wohnungen häufig auch Gewerbe und Fabriken, die auf Lieferfahrzeuge angewiesen waren.

Inzwischen haben die meisten Hoftore nur noch historischen Wert. Sie sind normale Hauseingänge, statt von Kutschen oder Autos sind die Höfe in der Regel von Grün und Wohnnutzung geprägt. Die angebrachten Schilder deuten zwar auf noch immer genutzte Ausfahrten hin. Doch meist sei die ursprüngliche Nutzung seit Jahren aufgegeben, sagt Gehrke: „Es sind keine Einfahrten für Autos mehr, sondern nur noch Hauseingänge.“

Das Ordnungsamt sah das lange ähnlich, nun hat es seine Meinung geändert. „Im § 12 Abs. 3 Nr. 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist das Halten und Parken geregelt, unter anderem auch, dass das ‚Parken vor Grundstücksein- und -ausfahrten‘ unzulässig ist“, teilte man dem Parksünder mit. Der Sinn dieses Paragrafen ist es, die Zufahrt zu Privatgrundstücken zu ermöglichen. Vor amtlich gekennzeichneten Feuerwehrzufahrten ist sogar das Halten verboten. „In der Vergangenheit ist die Ahndung dieses Verbotes im Bezirk Pankow nicht konsequent umgesetzt worden.“ Das solle sich nun ändern: „Es kam in der Vergangenheit in zunehmendem Maß zu Beschwerden von Hauseigentümern, Entsorgungsunternehmen und Rettungskräften, für die die ungehinderte Zufahrt zwingend erforderlich ist.“

„Lange wurde das Parken vor Einfahrten im Bezirk generell geduldet, weil das ja der Eigentümer sein könnte“, bestätigt Pankows Ordnungsstadtrat Daniel Krüger (für AfD). Hintergrund: Laut StVO dürfen der oder die „Hauseigentümer“ oder „verfügungsberechtigte Dritte“ (nach Auffassung der meisten Gerichte sind dies im Zweifel auch Mieter und Besucher) tatsächlich vor der Einfahrt zum eigenen Grundstück parken. „Damit hat man als Anwohner quasi einen Privatparkplatz im öffentlichen Raum“, gibt Gehrke zu.

Damit ist in Pankow nun Schluss. Seit zwei Jahren schreibe man aufgrund erhöhter Beschwerden pauschal Strafzettel für alle Parkenden vor Hauseinfahrten, sagt Krüger. „Wir haben es jetzt mal umgedreht, und ahnden das grundsätzlich. Wir wollen alle gleich behandeln.“

Denn ob das Auto einem Eigentümer oder parkberechtigten Anwohner gehöre, schreibt das Ordnungsamt Gehrke, sei „im hoch verdichteten, urbanen Bereich allerdings nicht kontrollierbar.  (…). Daher sind die Überwachungskräfte angewiesen alle parkenden Fahrzeuge, vor Grundstückszufahrten die baulich hergestellt sind und an die der Eigentümer/ Verfügungsberechtigte nichtamtlicher Schilder angehängt hat wie ‚Einfahrt freihalten‘, zu ahnden.“

Das Problem an diesem Ansatz: Was nun genau eine freizuhaltende „Ein- und Ausfahrt“ kennzeichnet, ist nach Jahrzehnten noch immer höchst umstritten. Für Pankows Ordnungsamt ist die Zufahrtsfrage klar: „Grundstückszufahrten sind durch eine bauliche Gestaltung wie einer andersartigen Pflasterung der Gehwegüberfahrt und einem abgesenkten Bordstein erkennbar“, teilte das Amt Gehrke auf seinen Einspruch hin mit. Und mit einem „Einfahrt-freihalten“-Schild als „Willensbekundung“ zeige „der Eigentümer/ Verfügungsberechtigte zweifelsohne ein Interesse an der Freihaltung der Grundstückszufahrt“.

Schild am Tor + abgesenkter Bordschein = Parkverbot. Klingt logisch – doch so einfach ist es leider nicht. Der Auslegung des Pankower Ordnungsamts wurde vom Kammergericht Berlin bereits 1981 widersprochen. Es urteilte: Eine Einfahrt, die etwa als Einfahrt nicht mehr benutzbar ist, ist keine Einfahrt mehr – auch wenn ein Einfahrtsschild dranklebt. Damals war in einem Fall, in dem eine Einfahrt seit 13 Jahren tatsächlich nicht benutzt worden war, das Parkverbot für die Allgemeinheit aufgehoben worden. „Denn der Schutzzweck des Gesetzes, allen Berechtigten die Benutzung der Ein- und Ausfahrt zu gewährleisten, setzt die tatsächliche Benutzbarkeit voraus (…).“

Ein Einfahrt-Schild am Tor reicht also nicht – die Einfahrt muss auch tatsächlich befahrbar sein. Stadtrat Krüger räumt ein, dass es sich hier um „eine Auslegungssache“ handelt. Als Faustformel für die „Nutzbarkeit“ im Ordnungsamt gelte: „Wenn eine Hauseinfahrt breit genug für einen Pkw ist, werden wir das ahnden.“ Das sei „pragmatischer“ für seine Mitarbeitenden.

Tja, Sie ahnen es: Auch die Torbreite ist kein eindeutiges juristisches Kriterium. So hat das Oberlandesgericht Köln 1996 entschieden, dass eine "Bordsteinabsenkung" de facto nicht mehr vorliegt, wenn sie breiter als ein Pkw ist. Das Kammergericht Berlin urteilte dagegen 2015, dass auch ein auf längerer Strecke abgesenkter Bordstein ein Parkverbot nach sich ziehen kann.

„Offensichtlich unbenutzbar“ ist jedoch auch eine ausreichend breite Einfahrt nach Auffassung des Kammergerichts Berlin von 1981, wenn zum Beispiel Fahrräder oder Kinderwagen dauerhaft im Hausflur (der ehemaligen Einfahrt stehen) und den Weg versperren. „Bei unserem Haus liegt dort sogar Teppich“, sagt Gehrke. Das Gericht befand außerdem: Wer „als Mieter des Hauses mit den tatsächlichen Gegebenheiten“ vertraut sei und wisse, dass die Einfahrt nicht mehr solche benutzt werde, der dürfe dort im Zweifel auch parken.

Geht es noch komplizierter? Klar. Wenn vor einer Einfahrt ein Gehweg verläuft und der Bordstein abgesenkt ist (wie in der Innenstadt üblich), dürfen selbst Eigentümer oder „verfügungsberechtigte Dritte“ dort eigentlich nicht parken. So soll Rollstuhlfahrern und Personen mit Kinderwagen die Auf- und Abfahrt auf den Gehweg erleichtert werden. „Es haben sich auch schon Fahrradfahrer beschwert, dass abgesenkte Bordsteine zugeparkt wurden“, sagt Krüger. „Aber ein abgesenkter Bordstein ist nicht gleichzusetzen mit einer Fußgängerfurt und deshalb nicht grundsätzlich freizuhalten.“

Nach vorherrschender Rechtsmeinung sollen die Ordnungsbehörden hier vielmehr „Großzügigkeit“ gegenüber den Parkenden walten lassen. Ein Strafzettel soll nur geschrieben werden, wenn rund um den abgesenkten Bordstein von einem hohen Aufkommen von Rollstühlen oder Kinderwagen ausgegangen werden muss und es keine anderen Querungsmöglichkeiten in der unmittelbaren Nähe gibt.

Dass das alles in einer Millionenmetropole wie Berlin, die dicht mit Multiparteienhäusern bebaut ist und in der um jeden Zentimeter öffentlichen Raum gerungen wird, nicht mehr zeitgemäß ist, liegt auf der Hand. Wie erkennt das Ordnungsamt, ob eine mutmaßliche Einfahrt nun „offensichtlich unbenutzbar“ ist, weil etwa Kinderwagen im Flur stehen? Woher weiß das Amt, wer EigentümerIn ist und welche Autos er oder sie fährt? Wie überprüft es, ob eine Zufahrt seit Jahren nicht mehr als solche benutzt wurde? Wie misst das Amt zudem, ob ein hohes Rollstuhl- oder Kinderwagenaufkommen vorliegt? „Gar nicht, also wird pauschal auf Verdacht aufgeschrieben“, sagt Gehrke.

Damit aber begebe sich das Amt auf einen Holzweg, meint der Anwohner: „Das hält rechtlich nicht Stand.“ Er vermutet, dass vor allem die Müllentsorgungsunternehmen hinter der neuen Ordnungsamts-Offensive stecken. Dies bestätigt Stadtrat Krüger. Je nach Tarif würden die Müllentsorger die Tonnen nur weniger Meter schieben. „Einige Eigentümer haben die geringsten Tarife abgeschlossen, da wollen die Entsorger dann eine freie Einfahrt. Deshalb gab es Beschwerden von Eigentümern.“ Zur Abholung der meist in den Höfen befindlichen Mülltonnen sind die breiten Tore samt der abgesenkten Bordsteine in der Tat praktisch.

Das Freihalten solcher „Mülltonnen-Einfahrten“ ist in der StVO allerdings so nicht vorgesehen. Die Entsorger und Hauseigentümer hätten rechtlich keinen Anspruch auf eine freie Müll-Ausfahrt, ist sich auch Gehrke sicher: „Da müssen die Tonnen im Zweifel dann halt über den Gehweg geschoben werden.“ Das Ordnungsamt will dennoch an seinem pragmatischen Ansatz festhalten, sagt Krüger: „Wer sich zu Unrecht belangt fühlt, kann sich beschweren, und dann wird das Verfahren eingestellt.“

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