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Blick ins Klassenzummer.

© dpa

Zu wenig Plätze für Siebtklässler: Einmal quer durch Berlin zum Unterricht

1800 künftige Siebtklässler bekamen keinen Platz auf ihrer Wunschschule. Manche sind verzweifelt und sollen etwa von Pankow bis Marzahn fahren.

Beim Losen hatte Marius* kein Glück: Hätte die Mitarbeiterin des Schulamtes anders in die Losschüssel gegriffen, würde er nach den Sommerferien von seiner Grundschule auf die Marienfelder Gustav-Heinemann-Schule wechseln. Er hätte morgens nur über die Straße gehen müssen und seine Eltern wären nicht in Sorge gewesen, dass er nach Schulschluss irgendwo weit weg von zu Hause abhängt.
Aber Marius und seine Eltern hatten kein Glück. Überhaupt keins. Denn auch seine Zweit- und Drittwunschschule waren voll. Da ging es ihm so wie weiteren 1800 Schülern in Berlin. Jetzt hat ihm das Schulamt eine Tempelhofer Schule zugewiesen, deren Namen er und seine Eltern noch nie gehört haben. Morgens muss er den Bus um 7.02 Uhr erwischen, wenn er einigermaßen pünktlich kommen will. Seine Eltern haben Widerspruch eingelegt.
Weit werden sie damit wohl nicht kommen. „Das Rechtsamt achtet tunlichst darauf, dass alle Vorschriften eingehalten werden“, betont Katharina Chmielecki, Referentin von Tempelhof-Schönebergs Bildungsstadträtin Jutta Kaddatz (CDU). Beim Losverfahren ist darum neben dem Schul- und Rechtsamt auch die Leitung der entsprechenden Schule zugegen. Alle Schüler, die im Losverfahren sind, bekommen eine Nummer zugeordnet, die dann in der Losschüssel verschwindet. „Jeder Zettel wird nach der Ziehung sofort aufgeklebt, und die ganze Seite wird dann laminiert, damit die Reihenfolge nicht durcheinanderkommt“, erläutert Chmielecki. Das ist wichtig, falls ein Rechtsanwalt Akteneinsicht nimmt.
Der Bezirk ist auf alles gefasst: Wegen der vielen besonders beliebten Sekundarschulen gibt es immer Klagen von abgewiesenen Schülern. 2015 gab es 86 Widersprüche, dieses Jahr sind es mindestens 95. Der Anstieg ist leicht erklärbar durch den Schülerzuwachs: 150 Siebtklässler zusätzlich waren es allein hier, in ganz Berlin über 1000, was dazu führte, dass es doppelt so viele Kinder gibt, die auf keiner der drei Wunschschulen landeten: 1800 statt rund 900. Zwar sollen ihnen möglichst Ersatzschulen im Heimatbezirk angeboten werden, aber in großflächigen Bezirken kann dies dennoch 50-minütige Schulwege bedeuten.

Eine besondere Lage gibt es in Pankow: Wegen des Kinderreichtums gelingt es hier nicht einmal, den Schülern im eigenen Bezirk eine Alternative zu bieten: Von den Sechstklässlern mit Gymnasialwunsch wurden 13 Schülern Plätze in Reinickendorf, 18 in Marzahn-Hellersdorf und zehn in Mitte angeboten. Für 15 Grundschüler, die auf eine Sekundarschule wollen, gab es nur Plätze in Friedrichshain.

Obwohl die Widerspruchsfrist fast abgelaufen ist (30. Juni), waren vergangene Woche erst 35 Widersprüche eingegangen, berichtet Pankows Bildungsstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), das seien so wenige wie seit Jahren nicht. Da der Hauptschwung immer am Anfang der Frist komme, sei in den letzten Tagen „nicht mehr viel zu erwarten“. Auch das Verwaltungsgericht wurde nicht öfter als sonst bemüht: „Im Bereich der Oberschulen gibt es aktuell 14 Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und vier Klagen“, so ein Sprecher. Wie lang der maximal zumutbare Schulweg sein darf, ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Es gibt allerdings Gerichtsbeschlüsse, aus denen hervorgeht, dass Siebtklässlern Wege über 40 Minuten zumutbar sind, teilte die Sprecherin der Bildungsverwaltung auf Anfrage mit.

Auch die Qualität der Schule ist wichtig

Oftmals geht es den Eltern weniger um die Schulweglänge als um die Qualität der Schule, die ihnen angeboten wird, oder um das soziale Umfeld. Familien, die etwa im gutbürgerlichen Prenzlauer Berg wohnen, können sich schlicht nicht vorstellen, ihr Kind in den sozialen Brennpunkt nach Gesundbrunnen zu schicken. Manche haben auch die Befürchtung, dass ihr Kind bei einem Migrantenanteil von über 90 Prozent in eine Minderheitenrolle gerät. Diese Eltern sind es dann, die Widerspruch einlegen, sofern sie sich eine freie Schule mit besserer sozialer Mischung nicht leisten können.
Manche Familien kommen auf die Idee, noch im Nachhinein die Geschwisterregelung für sich zu reklamieren. Dazu ist es jetzt allerdings zu spät: Wer sein jüngeres Kind auf die gleiche Schule bringen will wie die älteren Geschwister, muss dies schon bei der Anmeldung angeben. Im Nachhinein kann man dies nicht mehr als Härtefall geltend machen.
In anderen Fällen kann es sich sehr wohl lohnen, sich bei der Bildungsverwaltung oder bei einem Rechtsanwalt kundig zu machen. Dann nämlich, wenn Schulen die Vorschriften falsch auslegen. So hatte das Zweitwunschgymnasium einer Mutter erklärt, dass ihr Kind nicht die Wunschsprache Spanisch lernen darf, weil die Spanischklassen schon mit Erstwunschkindern belegt seien. Dies aber ist laut Bildungsverwaltung unzulässig: Die knappen Plätze müssen gleichmäßig verteilt werden. Notfalls per Los.
*Name geändert

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