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In Berlin drehen sich die Kräne für Neubauten - doch es könnten noch viel mehr sein.

© dpa/Jens Kalaene

Hebelt der Klimaschutz Berlins Baupläne aus?: Anwohnerbündnisse fordern „nachhaltige“ Stadtplanung

Immer mehr Anwohner schließen sich zusammen, um für Grün statt Beton in Berlin zu kämpfen. Am Wochenende demonstrieren sie dafür vorm Brandenburger Tor.

Von Christian Hönicke

Immer mehr Anwohner in Berlin schließen sich zusammen, um die Dimension geplanter Neubauprojekte in ihrer Nachbarschaft zu begrenzen. Allein im einwohnerstärksten Bezirk Pankow haben in den vergangenen Wochen mehrere Bündnisse ihren Widerstand gegen tausende geplante Wohnungen intensiviert. Sie eint die Forderung nach einer "nachhaltigen" Baupolitik, die den "Klimaschutz" in den Vordergrund stellt, Nachverdichtung "ortsverträglich" gestaltet und die Versiegelung von Grünflächen minimiert.

Der größte Zusammenschluss heißt "Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung" und hat sich vor kurzem gegründet. Ihm gehören insgesamt 17 Initiativen aus ganz Berlin an, die laut Eigendarstellung "für den Schutz und die Erhaltung von Bäumen, Grün- und Sozialflächen, für gesunde Wohn- und Lebensbedingungen und eine sinnvolle und an die Bedürfnisse der Menschen angepasste Infrastruktur in den Berliner Kiezen" kämpfen. Am Sonnabend um 11 Uhr will das Bündnis dafür vor dem Brandenburger Tor demonstrieren.

[Dieser Text stammt aus dem Pankow-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Pankow-Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Mit dabei sind auch zahlreiche Anwohnerinitiativen aus Pankow, darunter der "Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße", "Grüner Kiez Pankow", "Klimafreundliches Pankow", die Bürgerinitiative Jahnsportpark, die Anwohnerinitiative Ernst-Thälmann-Park und die Bürgerinitiative Vesaliuskiez.

Seinen Ursprung hat das neue Bündnis in den "Vereinigten Berliner Bürgerinitiativen für die Erhaltung von Grünflächen in bestehenden Wohnquartieren", das im vorigen Jahr entstand. Darin schlossen sich zwölf Initiativen zusammen, deren Wohnquartiere aus der Nachkriegszeit gemäß Stadtentwicklungsplan 2030 "nachverdichtet" werden sollen - etwa die Gesobau-Anlagen am Schlosspark Schönhausen und im Vesaliuskiez.

Im neuen Zusammenschluss sind all diese Initiativen auch dabei, "aber das Spektrum ist weiter gefasst", teilt Britta Krehl vom "Grünen Kiez Pankow" mit. "Es geht um nachhaltige, zukunftsfähige, gesunde Stadtentwicklung in allen Bereichen." Man wolle auch die Kleingärten und die "Freunde" und Unterstützer öffentlicher Parks und Grünflächen erreichen und zum Mitmachen einladen.

Das Bündnis räumt ein, dass Berlin dringend bezahlbaren Wohnraum benötigt. Doch es fehle an einer nachhaltigen Planung, stattdessen "wird derzeit nachverdichtet und versiegelt, wo bisher Grünoasen Frischluft für die Großstadt erzeugen und das Stadtklima sichern". Die betroffenen  Siedlungen und Wohnanlagen seien "mit sinnvoller, bedarfsgerechter Infrastruktur und umliegenden Grün- und Sozialflächen geplant worden", die nun weitgehend zerstört werden solle. "Wir fordern eine echte Bürgerbeteiligung auf Basis geänderter gesetzlicher Vorgaben und die Änderung der Berliner Bauvorschriften."

Es geht nicht um Verhinderung, sondern Reduzierung

Ebenfalls neu ist der Bürgerverein "Wir Für Karow". Der ist aus der "Bürgerinitiative Karow" entstanden. Anlass seien die geplanten Bauvorhaben für den Norden Pankows, die "auch weiterhin eine kritische Begleitung der Karower Bürgerschaft brauchen". Aus diesem Grund und um "den gesellschaftlichen Austausch und Zusammenhalt in Karow zu fördern", hat sich der Bürgerverein nach eigenen Angaben im Januar ins Vereinsregister eintragen lassen. "Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit ist bereits beantragt."

Hintergrund ist die beabsichtigte Bebauung der Gebiete "Am Teichberg", "Karow Süd" sowie "Straße 52". Dort will der Bezirk ab 2025 insgesamt 3000 neue Wohnungen errichten. Die Bürgerinitiative sah darin eine "Zerstörung Karows" und forderte eine deutliche Reduzierung der Wohnungszahl. Auch die Pankower Bezirksverordnetenversammlung setzte sich per Beschluss dafür ein.

Man wolle eine Bebauung nicht komplett verhindern, teilt der Verein nun mit. "Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Karow weiterwachsen soll und möchten mit unserem Verein dazu beitragen, den Zusammenhalt und das Miteinander aller heutigen und zukünftigen Karower zu stärken sowie eine nachhaltige Entwicklung unseres schönen Ortsteils zu erreichen", sagt Elke Großmann, eine der Vorstandsvorsitzenden des neuen Vereins.

Allerdings sei eine "starke Vertretung der Bürgerschaft" notwendig. Dies habe der jüngste Versuch des Bezirksamts gezeigt, "den BVV-Beschluss zu den Bebauungsplänen in Karow zu ignorieren und die ursprünglich geplante massive Bebauung ohne vorherige Verbesserung der bereits heute überlasteten Verkehrsinfrastruktur weiter voranzutreiben".

"Ortsverträglichkeit" und "Nachhaltigkeit" zählen auch zu den Hauptargumenten der "Initiative Am Sandhaus Buch". Sie hat in einem offenen Brief an Bausenator Sebastian Scheel (Linke) gegen die Baupläne des neuen Stadtquartiers protestiert. Dort soll ab 2024 ein neues Stadtquartier entstehen, mit 2500 bis 3000 Wohnungen. In dem Brief wird der Senat dazu aufgefordert, die Bebauung den Gegebenheiten vor Ort anzupassen. "Dazu zählen unter anderem die Erhaltung der Jugendprojekte Moorwiese, Naturerfahrungsraum und Waldkita am Standort, ein Verzicht auf die Bebauung zwischen Moorwiese und Moorlinse, eine deutliche Reduzierung von Bauhöhe, Baudichte und Gesamtzahl der Wohneinheiten, ein Verzicht auf weitere Bodenversiegelung sowie ein tragfähiges ÖPNV-Konzept für den Berliner Nordosten", so die Initiative.

Die Bürgerbeteiligung wird als "Feigenblatt" kritisiert

Man verschließe sich angesichts der aktuellen Wohnungsknappheit in Berlin nicht dem neuen Stadtquartier, erklärt die Initiative. "Aber wir fordern ein, dass ein wirklich nachhaltiges und soziales Quartier geplant wird." Die Senats-Planungsvorgabe von 2.700 neuen Wohnungen und auch die jüngste genannte Zahl von 2.200 sei in jedem Fall "deutlich zu hoch". 

Die Anwohner hätten sich "sehr deutlich" für den Entwurf des Büros Machleidt, Studio RW und SHP Ingenieure mit einer Reduzierung auf 1.700 Wohnungen und einem Bildungscampus zwischen S-Bahn, Moorlinse, Grundschule Am Sandhaus und Straße Am Sandhaus ausgesprochen. Dies sei der einzige Entwurf, der die Einwände der Anwohner aufgreife und "als Schritt in die richtige Richtung weiterentwickelt werden sollte“. Der Senat bestehe jedoch weiterhin auf einer Mindestanzahl von 2.200 Wohneinheiten – dies sei „als alternativlose Vorbedingung" festgelegt worden. 

Die Initiative kritisiert im Brief an Scheel auch "die mangelnde Bereitschaft“ der Senatsverwaltung im Beteiligungsverfahren, "auf die Bürgeranliegen einzugehen". Leider habe man zunehmend den Eindruck, "dass unser Engagement von den Verantwortlichen vor allem als partizipatives Feigenblatt willkommen geheißen wird“. Echte Beteiligung sei nicht nur die Information darüber, was geplant sei, sondern die Menschen vor Ort ernst zu nehmen "und die vorgebrachten Argumente tatsächlich in der Planung zu berücksichtigen. Dies vermissen wir bisher." 

Die Initiative will nun ihrerseits einen "verträglichen" Alternativ-Bebauungsplan ausarbeiten. Man sei dabei, "ausgehend von den örtlichen sozialen, baulichen und naturräumlichen Gegebenheiten, einen eigenen Planungsentwurf zu erstellen, der Ende Mai vorliegen wird". Wir sind gespannt.

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