zum Hauptinhalt
Zwischen zwei "normal" großen Mietshäusern fügt sich das Haus in die 1860 bei der Neuparzellierung der Luisenstadt einfach übrig gebliebene Lücke.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kurios in Berlin: Kreuzbergs kleinstes Haus

48 Quadtratmeter Grundfläche, kein Hof, aber dafür beste SO36-Lage: Kreuzbergs kleinstes Haus steht in der Oranienstraße 46. Ein Rundgang durch das Haus mit Geschichte.

Nur fünf Meter ist das kleine Stadthaus in der Oranienstraße 46 breit. Einen Hof gibt es nicht, das Grundstück von 48 Quadratmetern ist komplett bebaut. Die Mülltonnen finden im Nachbarhof ihren Platz. Das unscheinbare Haus in einer der belebtesten Straßen des Kiezes ist Kreuzbergs kleinstes Haus. Dennoch ist es einfach so klein, dass der Fußgänger schnell daran vorbeigelaufen ist. Nur wenige bleiben stehen, schauen hoch und wundern sich über das schmale Haus.

Bei der Neuparzellierung der Luisenstadt (heute Kreuzberg) im Jahr 1864 war das kleine Grundstück inmitten der alten landwirtschaftlichen Flächen einfach übrig geblieben. Der Konditormeister Eduard Felix Kühn, der an dieser Stelle eine Schmalzkuchenbude betrieb, erwarb das Grundstück für 2000 Reichstaler. Mit einer Sondererlaubnis konnte er hier ein Stadthaus errichten. Der Maurermeister E. Freemark und der Zimmermeister Ullmann erbauten das Haus im Nachschinkelstil mit einer Nutzfläche von 140 Quadratmetern.

Bei den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs blieb das Haus unversehrt. Heute gehört es dem Diplom-Physiker Ralf Hemmen, der die Geschichte seines Hauses liebevoll in einem Aufsatz zusammentrug. Wer hat hier nicht alles schon sein Geschäft gehabt: Ab 1881 wird ein Restaurant betrieben, ab 1895 mietet ein Damenmäntelfabrikant das Haus. Es folgt 1899 eine Konfitürenhandlung, 1907 eine Huthändlerin und nach dem Krieg wird hier 1950 ein Füllfederhaltergeschäft eröffnet. Heute beherbergt Kreuzbergs kleinstes Haus eine Kunstgalerie und mehrere Büros.

Bei einer Zwangsversteigerung erwirbt Hemmen Kreuzbergs kleinstes Haus

Zwei Anläufe hat es gebraucht, ehe Ralf Hemmen das kleinste Haus Kreuzbergs sein Eigen nennen konnte. Bereits 1987 hatte er ein Auge auf das Objekt geworfen, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Damals schrieb Hemmen gerade an seiner Diplomarbeit und wohnte schräg gegenüber in einer Zweier-WG. Das Haus hatte es ihm irgendwie angetan. „Ich nahm Kontakt zu der Witwe auf, der das Haus damals gehörte“, sagt Hemmen am Telefon – denn mittlerweile lebt er in Montevideo, Uruguay. Die Bedingungen, zu denen die Witwe damals das Haus verkaufen wollte, konnte Hemmen jedoch nicht erfüllen, denn sie wollte, dass er die komplette Gemäldesammlung ihres Mannes übernähme.

Kurz darauf führte ihn sein Beruf weg aus Berlin. „Ich behielt aber immer einen Koffer in Berlin, schaute oft Richtung Kreuzberg“, sagt der heute 54-Jährige. Durch einen Zufall erfuhr er so im Jahr 2002, dass das Haus in der Oranienstraße zwangsversteigert würde. Am Tag der Versteigerung war er der einzige Bieter. Ein Glückstreffer.

Was die Wände des Hause so erzählen könnten

Zu dieser Zeit hatte die damalige PDS das Haus gemietet. Als der Mietvertrag 2004 auslief, zog Ralf Hemmen selbst ein. Das Haus war zwar zuletzt 1990 saniert worden, war jedoch in relativ gutem Zustand. Da es unter Denkmalschutz steht, musste er den Ausbau des Daches mit der Denkmalbehörde abstimmen. Er baute Dachfenster ein, im Giebel ließ er eine Galerie einbauen. Derzeit ist dort eine Ausstellung zu Flüchtlingen zu sehen.

Jedes der drei Stockwerke besteht nur aus einem Raum, etwa 32 Quadratmeter groß. Zusätzlich gibt es nur noch einen kleinen Verschlag, der je nach Stockwerk als Küche oder kleines Bad benutzt wird. Neben einer Werbeagentur gibt es noch zwei weitere Büros, die vermietet sind. Nur etwa zwei Jahre wohnte Hemmen in seinem Haus, dann zog er in das Haus ein, bei dem er als Student in einem Selbsthilfeprojekt mithalf. Sein Büro behielt der Physiker, der auf Gebäudeenergie spezialisiert ist.

Manchmal fragt sich Hemmen, was wohl die Wände so alles zu erzählen hätten. „Als das Dach offen gelegt wurde, fanden wir sogar noch einige Schmauchspuren, die aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges stammen könnten“, sagt er.

Das Haus mit der Nummer 46 ist für Hemmen Teil seiner Heimat, auch wenn ihn heute 26 Stunden Reiseweg und 12 500 Kilometer von der Oranienstraße trennen. Verkaufen, das steht für ihn fest, wird er das Haus nicht – auch wenn ihn schon einige Makler angesprochen haben.
Bis zum 6. Dezember ist in Kreuzbergs kleinstem Haus, Oranienstraße 46, die Ausstellung „On Water“ zu sehen, die die Flucht tausender Menschen über das Mittelmeer thematisiert. Mehr Infos finden Sie hier.

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false