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Ein paar Schritte weiter an der Ecke Waldemarstraße/Leuschnerdamm - und diesmal in Farbe.

© Wilfried Grunert

Der Stadtteil im Wandel: Kreuzberg war früher "der Arsch von Berlin"

Im Interview spricht Erik Steffen vom Friedrichshain-Kreuzberg Museum über die Schattenseiten des Szenebezirks: Der Krake aus Kreativen und Gastronomen, die ein ganzes Stadtviertel umarmen - zum Leidwesen der Alteingesessenen.

Erik Steffen arbeitet am Friedrichshain-Kreuzberg Museum an der Aktualisierung der Ausstellung „Geschichte wird gemacht“ über die Entwicklung des Bezirks. Im Museum und in der legendären Kiezkneipe „Zum goldenen Hahn“ veranstaltet er regelmäßig Lesungen. Für das soeben erschienene Fotobuch „Signale des Aufbruchs“ von Siebrand Rehberg über das Berlin der frühen 70er Jahre hat er die Texte geschrieben.

Die aktuelle Ausstellung im Museum ist zwölf Jahre alt. Wie hat sich Kreuzberg in dieser Zeit verändert?

Es ist ein Lehrstück für Verdrängung. Die soziale Durchmischung ist dabei, umzukippen. Besserverdienende ziehen in den Kiez, die Alteingesessenen müssen weichen – oder sich wehren. Klassisches Beispiel sind die Betonburgen des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus am Kottbusser Tor. Für die eigentliche Klientel sind diese Wohnungen nicht mehr zu halten, die Miete liegt inzwischen bei zehn Euro pro Quadratmeter. Das ist höher als der Mietspiegel, der sich in den vergangenen vier Jahren auch fast verdoppelt hat.

Soeben hat der Bundestag eine Mietpreisbremse beschlossen, es gibt das Verbot von Luxussanierungen. Wird das helfen?

Diese Instrumente kommen sehr spät. Die Verhältnisse lassen sich nicht zurückdrehen. Relativ günstige Mieten gibt es nur noch in den ehemaligen besetzten Häusern von Genossenschaften wie der Luisenstadt. Sie hat jetzt dem „Goldenen Hahn“ wieder einen Fünfjahresvertrag gegeben. Kreuzberg war früher „der Arsch von Berlin“. Heute zeigt sich das klassische Phänomen eines Innenstadtbezirks in einer Metropole. Allerdings ist Kreuzberg immer noch wesentlich günstiger als Innenstadtbezirke in anderen Metropolen.

Deshalb kommen junge Menschen aus aller Welt. Statt der Subkultur blüht die Kreativwirtschaft. Kein guter Ersatz?

Es ist ein Problem, wenn Kreativwirtschaft und Gastronomie ein ganzes Stadtviertel wie eine Krake umarmen. Das sind die Schattenseiten eines Szenebezirks. Altes Gewerbe und Einzelhandel bleiben auf der Strecke. Internationale Investoren kaufen Häuser oder Häuserzeilen zur Profitmaximierung. Wir haben hier an Gewerbeansiedlung auf der Oranienstraße unglaublich viel Kreativwirtschaft: Crowdfundingberater, Werbeagenturen, Internet Start-ups et cetera. Die sind stark überrepräsentiert und verdrängen das alte Gewerbe wie Tischlereien, Copyläden, Buchverlage, Fachgeschäfte, Theaterwerkstätten und Künstler, die sich ihre Ateliers nicht mehr leisten können.

Kreuzberg, wie es mal war, ist verloren?

Das Kreuzberg, das die Menschen aufgebaut haben, die jetzt gehen müssen, existiert nur noch als Schemen in touristischen Führern. Dort ist es so exakt abgebildet, dass alle glauben, sie würden es auch finden. Aber das alte Kreuzberg im eigentlichen Sinne ist Geschichte.

Das Interview führte Susanne Ehlerding

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