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Der Kiez im Norden von Berlin-Neukölln ist migrantisch geprägt. Gerade für diese Frauen sei das Haus ein Rückzugsort, argumentiert der Migrantinnenverein. 

© imago images/Travel-Stock-Image

„Ein Ort von Empowerment“: Migrantinnenverein protestiert gegen Trägerwechsel bei Neuköllner Nachbarschaftshaus

Das Nachbarschaftshaus in der Karlsgartenstraße in Nord-Neukölln soll den Träger wechseln. 25 Initiativen fürchten ihre Verdrängung. 

Die Trägerschaft für das Nachbarschaftshaus in der Karlsgartenstraße 6 im Norden Neuköllns soll im kommenden Jahr vom Verein Vielfalt an die Volkshochschule übergehen. An den Plänen regt sich Kritik – einerseits, weil von Bezirksamtsseite zunächst zugesichert worden sein soll, dass die Trägerschaft an zwei Projekte im Haus übergehen kann (Pluralarts und die Schillerwerkstatt). 

Andererseits auch, weil die Räume, die künftig für die derzeit 25 Projekte im Haus zur Verfügung stehen sollen, lediglich einen Teil der bisher genutzten Flächen ausmachen. Einige Anwohner:innen und Nutzer:innen sehen darin eine Bevorteilung der Volkshochschule bei gleichzeitiger Verdrängung eh schon benachteiligter Bevölkerungsgruppen

Anwohnerin Anne Matthies schreibt uns: Das Haus sei „ein funktionierender Safe Space für Migrantinnen, die ich in meiner Blase wohl gar nicht kennenlernen würde. Täglich und tatsächlich wird dort für Empowerment und gegen Gewalt an Frauen gearbeitet, mit – den Begriff habe ich aus der BVV gelernt – „schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen“, um die das Bezirksamt sich angeblich so bemüht.“

Eine der Organisationen, die das Nachbarschaftshaus nutzen, ist der Migrantinnenverein. Für diesen schreibt uns Ayse Harman: „Wir als MigrantinnenVerein fühlen uns verantwortlich um unsere Räumlichkeiten, welche uns momentan entgleiten, zu kämpfen. 

Das Nachbarschaftshaus und insbesondere das geräumige Erdgeschoss und der anliegende Garten stellten für unseren Verein bisher einen elementaren Arbeitsbereich dar. Nun möchte das Bezirksamt diese Räumlichkeiten einschränken und würde damit die harte ehrenamtliche Arbeit und das Engagement unserer Frauen einschränken.“ 

[Dieser Text stammt aus dem Neukölln-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Der Verein nutze das Haus seit über acht Jahren, bis zu 200 Frauen kämen zu den verschiedenen Angeboten. „Das Haus ist für uns mehr als nur ein Ort, an dem wir zusammenkommen. Es ist ein Ort von Empowerment, wo Frauen aus der Isolation herauskommen sowie Zugänge und Teilhabe schaffen“, schreibt Harman weiter.

Der Verein organisiert etwa Musik-, Chor- und Theatergruppen, außerdem Koch- und Filmabende. Weiter gibt es ein Beratungsangebot. Für viele Frauen sei das Haus aber einfach ein Rückzugsort, den sie sonst nirgends haben. Viele Frauen seien von physischer oder auch psychischer Gewalt betroffen. 

Viele Frauen schöpfen in der Theatergruppe neues Selbstbewusstsein

Gerade das Erdgeschoss, das künftig von der Volkshochschule genutzt werden soll, sei wichtig: Dort fänden viele Treffen statt, pandemiebedingt häufig im Garten oder auf der Terrasse. Da der Verein keine Miete zahlen könne, sei er schlicht auf das kostenlose Angebot angewiesen.

„Das Nachbarschaftshaus ist der Ort, an dem die Frauen sich ein Stück verwirklichen können und sagen: „Wir waren immer Zuschauerinnen in der Gesellschaft, nun sind wir endlich Darstellerinnen, jetzt stehen wir auf der Bühne!“, schreibt Harman. Und das im wörtlichen Sinne: Viele Frauen würden etwa aus der Theatergruppe neues Selbstbewusstsein schöpfen. Das Nachbarschaftshaus sei „ein Ort, in dem Frauen Angebote annehmen, die sie ansonsten nicht wagen würden anzunehmen.“ 

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Ermöglicht würde das nur durch das ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder, die häufig schon sehr viel Arbeit darein stecken müssten, die Frauen überhaupt zu überzeugen, auf die Angebote einzugehen. „Es handelt sich hier um eine unvorstellbare ehrenamtliche Unterstützung zur Identitätsbildung und zum Selbstbewusstseinsprozess bei diesen Frauen.“

„Wir sind ein Teil der Gesellschaft“

Und Harman schließt: „Nun möchte das Bezirksamt diese unschätzbare Arbeit mit Frauen räumlich unverantwortlich einschränken. Sie möchte die bisherigen Räumlichkeiten der Volkshochschule übergeben und die Volkshochschule soll nach ihrem Gutdünken unangemessen kleine Räumlichkeiten dem Frauenverein überlassen.

Die Frauen werden hier wieder einmal ignoriert und es wird über ihre Köpfe hinweg entschieden, ohne mit Ihnen darüber zu verhandeln. Dies ist inakzeptabel und wird großen Widerstand seitens der Frauen oder der Migrantinnen verursachen. Es handelt sich hier eindeutig um intentionellen Sexismus.“ 

Das Motto sei: „Wir sind ein Teil der Gesellschaft, wir leisten großes für diese Gesellschaft und wollen bei der Verteilung von Ressourcen gerecht berücksichtigt werden! Wir holen, was uns gehört!“

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