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Statt Rasenmäher kürzen Schafe den Rasen auf dem Dach des Shoppingcenters.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wilmersdorfer Arcaden: Warum Schafe auf dem Dach eines Einkaufcenters grasen

Sie heißen Puppi und Nella, und sie fressen oben auf den Wilmersdorfer Arcaden die Wildkräuter weg. Ein wichtiges Pilotprojekt, sagen die Macher.

Der Schäfer aus Wandlitz steht im Stau. Centermanager Peter Schönbrunn schaut auf die Uhr, telefoniert. Noch eine halbe Stunde bis zur Ankunft der biologischen Unkrautvernichter. Die Aktion wird seit einem halben Jahr akribisch vorbereitet. Veterinäramt und Bauaufsicht sind eingeschaltet. Die Testschafe dürfen auf keinen Fall vom begrünten Dach stürzen, das wäre ein PR-Gau für das Shoppingcenter Wilmersdorfer Arcaden an der gleichnamigen Straße.

Der Schäfer fährt in einem rostigen Kleintransporter vor. Kameras und Smartphones sind aktiviert. Ein beglückter Aufschrei bei den Damen von der Marketing-Agentur. „Er sieht wirklich aus wie ein Schäfer“. Schwarzer Mantel, gegerbtes Gesicht, Lederhut. Perfektes Outfit. Dann treten die Schafe Puppi und Nella auf, Vertreterinnen der Rasse Scottish Black Face. Sie schauen verängstigt, ein kurzes Blöken in Richtung Presse. Dann werden sie an der Leine ins Center geführt, um die erste Fahrstuhlfahrt ihres Lebens anzutreten.

Pilotprojekt gegen wuchernden Klee, Löwenzahn und Schachtelhalme

Puppi und Nella sind die ersten Berliner Dachschafe. Sie für Ordnung in der wild wuchernden Flachdach-Botanik sorgen. Dort verdrängen Klee, Löwenzahn und Schachtelhalme die Bepflanzung mit anspruchslosen Sedumgewächsen. Die Firma „Biologischer Pflanzenschutz“ hat sich die Beweidung ausgedacht – ein Pilotprojekt.

Schäfer Karl-Heinz Freitag und Christoph von Canstein von der Firma "Biologischer Pflanzenschutz" bringen die Schafe aufs Arkaden-Dach.
Schäfer Karl-Heinz Freitag und Christoph von Canstein von der Firma "Biologischer Pflanzenschutz" bringen die Schafe aufs Arkaden-Dach.

© Doris Spiekermann-Klaas

Für die Schafe ist ein Bereich mit hohen Bauzäunen abgesteckt. Zur behördlich verlangten Unfallprävention. Der Schäfer hatte zwar erklärt, seine Tiere würden nicht über das niedrigere Geländer dreißig Meter tief in den Tod springen. Aber die Bauaufsicht blieb hartnäckig. In der Eingewöhnungsphase werden die Schafe abends vom Schäfer wieder abgeholt. Wenn alles gut läuft, sollen drei Schafe regelmäßig auf der 10.000 Quadratmeter großen Flachdachfläche weiden.

Bienenstöcke gibt es schon auf vielen Dächern

Warum man nicht früher auf die naheliegende Idee kam, Schafe auf die Dachalm zu treiben, konnte niemand beantworten. Wahrscheinlich war die Zeit bisher nicht reif dafür. Bienen bevölkern inzwischen zu Millionen die Dächer der Stadt. Auch auf den Wilmersdorfer Arcaden leben seit kurzem vier Bienenvölker. Das Stadtgrün sei viel gesünder als die mit Insektiziden behandelten Monokulturen auf dem Land, sagt Schönbrunn. Bienen und Schafe fügen sich perfekt in den gefeierten Trend um Urban Gardening und Urban Farming.

Karl-Heinz Freitag, Schäfer seit 1965, hält sich von solchen Anglizismen fern. „Aus weidetechnischen Gründen brauche ich das hier nicht.“ Warum er trotzdem mitmacht, behält er lieber für sich. Einen kleinen Unterstand sollen die Schafe noch bekommen. Und eine automatische Wassertränke. Auf der neuen Weide machen sich die verdienten Mutterschafe sofort über den Klee her. Das Pilotprojekt beginnt vielversprechend.

Führungen für Kinder sind angedacht

Die Marketing-Damen sind hellauf begeistert von der Aktion. Da sei noch viel Potenzial zur Kundenbindung. Man könnte Schulklassen und Kitagruppen herumführen. Im nächsten Jahr will Schönbrunn seinen ersten Honig ernten, vielleicht ließen sich ja auch bald Wollpullover von den hauseigenen Schafen herstellen. Ein Biobauernhof direkt über der glitzernden Shoppingmall, ein Sinnbild für die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie.

Aber soweit ist man noch nicht. Erst mal müssen die Schafe über den Herbst kommen. Unfallfrei.

- Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt. Möchten Sie Themen anregen oder haben Sie Fragen? Senden Sie eine Mail an kudamm@tagesspiegel.de.

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