zum Hauptinhalt
Spritzen im Gebüsch. Am Stuttgarter Platz sind die Hinterlassenschaften der Junkies nicht zu übersehen.

© Mike Wolff

Berlin-Charlottenburg: Der Stuttgarter Platz - Härter als der Görlitzer Park

Im Görli in Kreuzberg wird nun aufgeräumt, heißt es. Mehr Polizei, vielleicht Coffeeshops, die Hecken sind schon gestutzt. Und der Stuttgarter Platz? Hier in Charlottenburg werden noch gefährlichere Drogen gedealt. Die Anwohner sind ebenso genervt.

Auf den ersten Blick ist am Stuttgarter Platz in Charlottenburg nicht viel zu erkennen. Ein Donnerstagvormittag im Frühwinter, kaum Menschen in dem schmalen Parkstreifen zwischen S-Bahntrasse und Straßen. Warum sollte da auch jemand sein, gibt schließlich bessere Jahreszeiten, um auf Parkbänken zu sitzen. Es ist weniger offensichtlich als im Görlitzer Park, über den nun wieder alle reden. Dass der Stuttgarter Platz Berlins wichtigster Handelsplatz für harte Drogen ist, sieht man erst, wenn man sich genauer umschaut. Dabei ist der Stuttgarter Platz eigentlich gar kein richtiger Platz. Eher ein lang gezogener Grünstreifen, unterbrochen von den Straßen, die die S-Bahntrasse unterqueren. Direkt an der Bahntrasse verläuft ein Trampelpfad zwischen Gebüschen und Mauer, eigentlich eine Feuerwehrzufahrt, sagen die, die sich hier auskennen.

Ein vielleicht 200 Meter langer Weg, auf dem die Hinterlassenschaften der Junkies nicht zu übersehen sind: leere Spritzenpackungen, die aufgerissenen Tütchen von Desinfektionsmittel, Taschentücher mit schmierigen Resten irgendwelcher Flüssigkeiten. Und benutzte Spritzen, vielleicht ein gutes Dutzend an diesem Donnerstag. Am Stuttgarter Platz kreuzen sich S-Bahn und die U 7. Ein Knotenpunkt, ideal zur schnellen An- und Abreise von Dealern und Junkies.

Und zumindest Letztere bleiben mitunter gleich hier, verkrümeln sich im Gebüsch und setzen sich einen Schuss. Zum Leidwesen einiger Anwohner. Stephan Noë lebt seit rund 30 Jahren in einem Haus in der Kantstraße, nur einen Häuserblock vom Stuttgarter Platz entfernt. Nach den Beobachtungen des 57-Jährigen ist vor allem bei den Gewerbetreibenden im Umfeld ein Wandel erkennbar: immer mehr Wettbüros, Spätkäufe, Sportbars. Sie dienen als Anlaufstellen für Drogenkonsumenten, sagt Noë. Der Handel werde zwar nicht vor Ort abgewickelt, aber die Akteure des Drogenhandels griffen auf die neu entstandene Infrastruktur zurück.

Mehr Stress für die Dealer

Käufer kommt in Laden, Vermittler sieht Käufer, Vermittler schickt Boten, Bote liefert, Käufer zahlt – so in etwa lässt sich das von Noë beobachtete Modell beschreiben. Dazu kämen die Begleiterscheinungen: vom Platzhirschverhalten mutmaßlicher Hintermänner, die in ihren Autos extra laut durch die Kantstraße ballern, bis hin zu Anwohnern, die aus Angst die Straßenseite wechselten, wenn ihnen mutmaßliche Kriminelle entgegenkommen. „Das subjektive Sicherheitsgefühl der Leute ist im Eimer“, sagt Noë. Und natürlich seien viele es leid, Fixerbestecke aus den Treppenhäusern zu entfernen.

Was also tun? Der Bezirk soll seinen Ermessensspielraum stärker ausschöpfen, sagt Anwohner Noë. Mehr Kontrollen, mehr Ordnungsamt, mehr Stress für die Dealer. Zumindest bei den Spielhallen will auch Baustadtrat Marc Schulte (SPD) reagieren. 2016 laufe die Übergangsfrist aus, sagt er, „dann wird es eine Reduzierung der Spielhallen geben“. Um die Sauberkeit am Stuttgarter Platz will er sich noch in diesem Jahr kümmern: „Momentan wird da der schwarze Peter hin und her geschoben, das kann so nicht bleiben.“ Grünflächenamt, Ordnungsamt sowie BSR und BVG sollen gemeinsam eine Lösung für die mitunter gefährlichen Hinterlassenschaften der Suchtkranken finden.

Dabei spielen auch die Sozialarbeiter vom Fixpunkt eine Rolle, die sechsmal wöchentlich mit zwei Autos am Platz parken: ein Bus zum Drogenkonsum in sauberer Umgebung und ein Wohnwagen zur Beratung und Unterstützung der Süchtigen. „Die meisten, die zu uns kommen, sind schon relativ lange in der Szene“, sagt Matthias Frötschl, 43, Mitarbeiter bei Fixpunkt. Viele Süchtige hätten schon früh die Erfahrungen gemacht, die dazu führen können, dass Menschen sich verloren gehen: Gewalt, Missbrauch, Verrohung. Kann passieren, dass sie dann irgendwann hier ankommen. Bei Frötschl und seinen Kollegen: zwei im Beratungsbus, zwei im Konsumbus. Keine Fotos, natürlich nicht.

Zu günstige Verkehrsanbindung

Rund 20 Menschen konsumierten täglich bei ihnen im Bus Drogen, rund 50 kämen zu dem Wohnwagen, der auch Spritzbestecke, Kaffee und Snacks bereithält. Natürlich ist auch für den Laien erkennbar, dass der Stuttgarter Platz ein Drogenproblem hat, wenn die Wagen von Fixpunkt dort halten, sagt Frötschl. Aber so ist halt der Job: Sie kommen zu den Junkies, nicht andersherum. Wäre es so, sie stünden längst auf einem Platz, an dem sich kein Unbeteiligter stören könnte.

Scheinbar unbeteiligt geben sich auch die Beamten in Zivil, die die Polizei für Ermittlungen einsetzt – zusätzlich zu den Personenkontrollen mit Platzverweisen. 100 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz haben die Beamten im vergangenen Jahr festgestellt. Direkt am Stuttgarter Platz und in der angrenzenden Umgebung. Allein mit polizeilichen Mitteln werden sie das Problem aber nicht lösen können, sagen sie. Und auch Baustadtrat Schulte glaubt nicht, dass sich die Szene vom Stuttgarter Platz ohne Weiteres entfernen lässt. Dafür sei die Verkehrsanbindung zu günstig. Schultes Ziel ist anders: Nötig sei ein fester Raum für Drogenkonsum. Dadurch – so die Erwartung – würden am Ende auch weniger Junkies mit ihren Problemen in den Büschen am Bahndamm verschwinden.

Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false