zum Hauptinhalt
Die Berliner Schrifststellerin und Weltreisende Ursula Ziebarth in ihrer Wohnung voller Sammlerstücke.

© Mike Wolff

Sammlerin und Autorin Ursula Ziebarth: Das Glück in Stücken

Zum Tode von Ursula Ziebarth (1921 - 2018) hier noch einmal unser Porträt der Berliner Schriftstellerin, Sammlerin und letzten Gefährtin Gottfried Benns.

Am 5. August 1954, einem Donnerstag, ruft eine junge Frau in Berlin an. Am anderen Ende der Leitung, Telefonnummer 71 20 97, hebt ein 68-jähriger Herr den Hörer ab. Eigentlich will sie ihn nur für eine Veranstaltung nach Bremen holen, aber er fragt sie: „Essen Sie gerne Eis?“ und lädt sie nach Berlin ein.

Sie isst gerne Eis, und die beiden treffen sich am Tag darauf im Restaurant „Fournes“ am Innsbrucker Platz. Es gibt Champignontoast, dann Eis. Am selben Tag schickt er ihr einen Strauß rosa Nelken und bedankt sich für die Zeit mit ihr. „Ich hoffe sehr, Sie wiederzusehen“, schließt er den kurzen Brief, den er beilegt, und unterschreibt als „Ihr sehr ergebener Benn“.

Von da an schreiben sich die junge Frau und Gottfried Benn fast täglich. Aus „sehr ergebener Benn“ wird „Dein G.“ und schließlich „Dein Pummi“. Aus „Fräulein Ziebarth“ wird „Urselchen“. Zwei Jahre dauert die Beziehung. Sie zieht aus Worpswede nach Berlin ins Bayerische Viertel, wo Benn als Arzt arbeitet, Haut- und Geschlechtskrankheiten. Sie begleitet ihn zu Lesungen in ganz Deutschland, die beiden gehen oft spazieren.

Als Benn 1956 stirbt, trauert die junge Frau in einer der hinteren Reihen. Benn war verheiratet gewesen.

Sieben Zeilen lang ist ihr Wiki-Eintrag, vier davon haben mit Benn zu tun

Und das soll jetzt die Geschichte sein? Der Dichter und die junge Frau, die er „Ponny“ nennt, seinen „liebsten Menschen“, eine Liebestragödie in Briefen?

Auf dem Weg zu einem ersten Treffen mit Ursula Ziebarth noch mal schnell rekapituliert, was man über sie weiß. Geliebte Gottfried Benns, 2003 hat sie seine Briefe als Buch veröffentlicht. Ihr Wikipedia-Eintrag besteht aus sieben Zeilen, vier davon haben mit Benn zu tun. Es wäre leicht, sie auf ihre Zeit als Muse des berühmten Dichters und notorischen Frauensammlers, als junge Frau im Schatten eines großen Mannes zu reduzieren – als eine von vielen.

Das hier ist nicht diese Geschichte.

Ursula Ziebarth liegt auf einem Diwan an der Stirnseite ihres kleinen Wohnzimmers, eine Hand hinter dem Kopf, mit der anderen stützt sie sich ab, antike Kaiserpose auf orangefarbenem Polster. Ihre hüftlangen schwarzen Haare, nur graumeliert bisher trotz ihres Alters, hat sie notdürftig zum Zopf gebändigt, um ihren Hals hängt eine Kette mit einem handtellergroßen, edelsteinbesetzten Goldanhänger. Sie trägt eine Jacke mit Landkarten-Print, an ihren Füßen gelbe Socken aus dicker Wolle.

Noch immer hat sie die Aufmüpfigkeit, die der Dichter an ihr schätzte

Ihr Gesicht hat selbst mit Mitte Neunzig noch dieselbe Aufmüpfigkeit, die Benn an ihr mochte, damals, als ihre Haare noch dunkler und kürzer waren und sie mit ihm sprach „wie mit einem Dorfjungen, der zum Militär eingezogen wird“. Ihr „rabaukiges“ Wesen hatte es dem 35 Jahre Älteren angetan, es zeigte ihm, wie sehr die Natur sie ausgestattet habe, „sich selbst als Maß aller Dinge zu betrachten“, wie er schrieb. Auf Benn hatte das eine „beruhigende“ Wirkung.

Geschnitzte Figuren aus Polen.
Geschnitzte Figuren aus Polen drängen sich auf einer Kommode neben dem Diwan.

© Mike Wolff

Hinter Ziebarth hängen Lithografien und Zeichnungen, von Picasso, von Dix, von anderen. Die übrigen Wände des kleinen Wohnzimmers verschwinden hinter deckenhohen Regalen voller Bücher. Um das Sofa herum drängen sich, in mehreren Reihen, mit bunten Perlen besetzte Statuen aus Kamerun: eine Mutter, die ihre Kinder stillt, ein Krokodil, eine Frau, die eine Schale auf dem Kopf balanciert. Davor das Horn eines Narwals und ein fein ziselierter Elefantenstoßzahn aus der Zeit, als der Handel mit Elfenbein noch nicht verboten war. Ursula Ziebarth, das wird schnell klar, ist keine, die man sammelt. Sie sammelt selbst.

Auf einem kleinen Tisch vor dem Diwan stehen ihre Memoiren, sauber gestapelt im roten Einband, zehn Bände. Am elften schreibt sie gerade.

Dann fragen Sie mal, sagt die alte Dame und grinst.

Als Ziebarth 1921 in Berlin zur Welt kommt, sind die Folgen des Ersten Weltkriegs in der Stadt deutlich zu spüren. Insel der Flüchtlinge, Künstler und Arbeitssuchenden. Deutschland hat verloren, Friedrich Ebert ist Reichspräsident. Aber dass Europa, noch bevor Ursula Ziebarth die Volljährigkeit erreichen sollte, wieder brennen würde, ahnt zu diesem Zeitpunkt kaum jemand. Kindheit zwischen Tauentzien- und Wexstraße, Jugend zwischen den Kriegen. Ziebarth geht aufs Gymnasium, eine Herzmuskelentzündung bewahrt sie vor dem Bund Deutscher Mädel. Von 1940 bis 1945 studiert sie Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik, ohne Ziel, ohne einen Plan, was sie später damit anfangen will. Trotzdem rettet das Studium ihr Leben.

Das einsame Kind sucht sich Gesellschaft, es ergreift von der Welt, was es zu fassen bekommt

Jeden Sonntag besucht Ziebarth an der Humboldt-Universität eine Vorlesung über Platon. Auch am 3. Februar 1945, als die Stadt längst unter den Fliegerangriffen der Alliierten zerbröselt. Während sie im Auditorium sitzt, zieht eine weitere Angriffswelle der amerikanischen Air Force durch den Himmel, es ist der 288. Luftangriff auf Berlin, der schwerste. Über 2000 Tonnen Sprengstoff zerstören mehr als 22 000 Wohnungen in Kreuzberg und Mitte, das Stadtschloss brennt aus. Ziebarth bahnt sich ihren Weg durch die Verwüstung. Als sie zu Hause ankommt, ist ihre Mutter tot. "So bin ich übrig geblieben", sagt sie.

Foto von Gottfried Benn, mit dem Ursula Ziebarth kurz liiert war.
Am Bücherregal erinnert ein Bild von Gottfried Benn an die kurze Liaison der damals 33-Jährigen mit dem Dichter.

© Mike Wolff

Das einsame Kind weiß sich Gesellschaft zu verschaffen. Es ergreift von der Welt, was es zu fassen bekommt - und hält es fest. Als Erstes eine kleine Hochzeitskutsche aus Holz, so groß wie eine Streichholzschachtel, gekauft mit der Hälfte der 40 Mark, die ihr am Tag der Währungsreform, 20. Juni 1948, ausgezahlt werden. Jeder Haushalt bekommt das "Kopfgeld", ein Zwanziger, zwei Fünfmarkscheine, drei Zweimarkscheine, zwei Einmarkscheine und vier Halbmarkscheine. Das Geld ist eigentlich für das Nötigste gedacht.

Die Kutsche erinnert Ziebarth an das Spielzeug, mit dem sie als Kind gespielt hat und das am Tag, als ihre Mutter starb, verbrannte. Ein Stück zurückgeholte Kindheit, für sie das Nötigste. Heute bewahrt sie es in einem Setzkasten in ihrem Wohnzimmer auf.

Sind Dinge nicht ohnehin viel verlässlicher als Menschen?

Bald nach dem Krieg verlässt Ziebarth die Trümmerstadt, um nach Worpswede zu ziehen. In der Künstlerkolonie unweit von Bremen will sie Kunstschaffende bei der Arbeit erleben und wird, durch Zufall, selbst eine.

Kamerunische Holzstatuen vor der Büchersammlung.
Ein Teil der Büchersammlung verschwindet hinter kamerunischen Holzstatuen.

© Mike Wolff

Während der Nazizeit waren Kinderbücher als Propagandawerkzeuge eingesetzt worden. Bücher wie "Der Giftpilz" und "Der Pudelmopsdackelpinscher" erzählten von Rasse und der "Lösung der Judenfrage" und sollten Kinder zu Nationalsozialisten erziehen, Soldaten für den deutschen Wahn rekrutieren.

Als dieser 1945 endet, braucht es Schulbücher, die nicht vom Hass, sondern vom Neuanfang erzählen. Ursula Ziebarth soll sie schreiben für das "Textbook and Curriculum Center" der Amerikaner. Und so denkt sie sich "Geschichten vom Nettsein" aus, einer ihrer Bestseller wird später so heißen. Es sind Geschichten, von denen sie glaubt, dass Kinder sie gerne lesen würden. Heute stehen die Bücher in ihrem Regal, dünne bunte Hefte mit Titeln wie "Von der Post", "Peter, Polly und der Polizist" und "Unser Dorf". Mehr als zehn Bücher schreibt sie zwischen 1950 und 1961, ihr damaliger Freund illustriert sie. Später schmuggelt sie auch Gottfried Benn in eine ihrer Fabeln, als "ganz abscheuliches altes Nashorn", wie er findet.

Garuda-Vogelfigur aus Bali.
Die Garuda-Vogelfigur stammt aus Bali.

© Mike Wolff

Ursula Ziebarth hätte in Worpswede sesshaft werden können. Doch nachdem Benn sie mehrfach dorthin begleitet hatte, war die Sache für ihn klar: "Du musst dein Leben ändern", forderte er. Eine Frau wie sie, umgeben von Nebel und Moor, das gehe nicht.

Was ist der passende Ort? Ziebarth reist durch die Welt, auf der Suche danach. "Ich sah die Stadt, mit der ich lebte, nicht an", schreibt sie in einem ihrer Bücher über Berlin, wo sie seit 1961 in derselben Wohnung in der Innsbrucker Straße lebt, "wechselte nur die nötigsten Worte mit ihr und floh, wann immer ich konnte, wandte Zärtlichkeit auf London und Amsterdam, verbrachte eine Woche mit Tournay, begann ein amouröses Verhältnis mit Antwerpen, behandelte Bremen wie eine unvergessene Liebschaft und gab mich jeder kleinen Stadt in Apulien hin."

Mögen andere es zu beschwerlich finden, Koffer zu packen und wieder auszupacken. Sie hat da ihre eigene Methode entwickelt. Ihre zwei Koffer sind beinahe leer, wenn sie aufbricht. Was sie mitnimmt, ist vor allem Platz. Platz für Kunst.

Große Stücke wie die zwei Throne aus Kamerun, die nicht in ihre Koffer passen, lässt sie sich nachschicken. Oft schmuggelt sie Sachen als Handgepäck an den Beförderungsbestimmungen der Fluggesellschaften vorbei. Ein hölzerner Dreimaster reist in der Flugzeugküche von Kuba nach Berlin, tibetanische Priesterroben trägt sie auf dem Flug von China unter ihrem Mantel. "Ich war der Schrecken jeder Stewardess", sagt sie und hat dabei etwas von einem alten Piratenkapitän, der in der Erinnerung an längst vergangene Kaperfahrten schwelgt. Sie erzählt, dass sie auf allen fünf Kontinenten gewesen sei, und es gelingt ihr, den Stolz darüber nicht zu verbergen. Kontinente sind ihre Berechnungsgröße, die Namen der Länder hat sie vergessen.

Die längste Liaison ihres Lebens ist die mit der Welt.

Dekoratives Geschirr in der Küche.
Das Geschirr in der Küche ist nicht für den Gebrauch gedacht.

© Mike Wolff

Eine Liaison, die Gefahren birgt. 1954 ist sie zu Gast bei einem befreundeten Arzt in Rom, dessen Sohn sie zu einer Spritztour zur Sommerresidenz des Papstes am Albaner See überredet. Als sie am Ufer ankommen, ist es Nacht. Von der Residenz ist kaum etwas zu sehen. Plötzlich beginnt der junge Mann, an ihr herumzutatschen. Panisch rennt sie ins flache Wasser des Sees, in der Hoffnung, dass er sich beruhigt. Als er ihr nachrennt, schubst sie ihn von sich, so hart, dass er ins knöcheltiefe Wasser fällt, durchnässt und wütend in sein Auto klettert und Ziebarth mitten in der Nacht stehen lässt. Heute würde man das als versuchte Vergewaltigung bezeichnen, Ziebarth selbst nennt es "was Männer offenbar manchmal machen". Der Italiener habe wohl angenommen, so etwas dürfe man bei einer jungen Frau, die allein reist.

Zurückhalten lässt sie sich jedenfalls nicht. Sie fährt mit dem Zug durch Indien, lebt einen Monat in Venedig, muss mit einer kleinen Propellermaschine in der Kalahari-Wüste notlanden. In jedem Urlaub, an jedem langen Wochenende reist sie, ist Backpackerin, lange bevor man das so nennt. Wann immer sie kann, schläft sie in Bed-and- Breakfast-Unterkünften, nur eine Wand entfernt vom Leben ihrer Gastgeber. Den Kindern schaut sie beim Hausaufgabenmachen zu, aus professionellem Interesse, sie will wissen, welche Bücher gelesen werden. Ihre Erlebnisse hält sie in dicken, rot eingebundenen Notizbüchern fest, 345 davon füllen heute mehrere Regalbretter in ihrer Wohnung. Enge Handschrift, die mit ein bisschen Fantasie an Keilschrift erinnert, wechselt sich darin ab mit Zeitungsausschnitten, Theaterprogrammen, Speisekarten und Preisschildchen. Allein die Ortsmarken sind entzifferbar: Frankfurt, Sidney, Neuseeland.

Mehr als Affären bleiben die Orte, die sie besucht, nie. Immer wieder zieht es sie zurück nach Berlin, zurück an den Ort, der mit jedem Stück, das sie aufliest, mehr zu ihrem Zuhause wird, wie ein Vogelnest.

Spülbecken, mit Statuen zugestellt plus Teekanne, die kein Ausstellungsstück ist.
Selbst das Spülbecken ist mit Statuen zugestellt, einzig die Teekanne ist kein Ausstellungsstück.

© Mike Wolff

Heute ist jede Schublade, jede Kommode in ihrer Wohnung voll davon, Pferdefiguren in der einen, in einer anderen Vögel aus verschiedenen Ländern. Die Tür zur Toilette schließt nicht, weil an ihr mehrere Marionetten hängen, über ihrer Garderobe starren zwei mexikanische Totenschädel in den Raum, groß wie Blumenkübel. Selbst die Schränke über dem Herd in ihrer kleinen Küche sind voller Objekte. Geschirr hat sie kaum. Das sei ja hier schließlich kein Restaurant, sagt Ursula Ziebarth.

Besuche in diesem ethnologischen Sammelsurium sind mehr Audienz als Begegnung. Die alte Dame empfängt - nie vor 15 Uhr - bei Kuchen und Ingwertee. Man darf sie alles fragen, nur nicht erwarten, auf alles eine Antwort zu bekommen. Sie ist da streng. "Eines Tages werden wir vor Gericht kommen, angeklagt, schweren Missbrauch mit Worten getrieben zu haben", schreibt sie in einem Buch, und so bewacht sie ihre Lebensgeschichte wie einen Schatz, der in den falschen Händen an Wert verlieren könnte.

Zwischen den Anekdoten, die sie präsentiert wie eine Sammlerin ihre schönsten Stücke, verschwinden oft Jahre, manchmal Jahrzehnte im Ungesagten. Sie springt zwischen Geschichten und Themen hin und her, assoziativ, als wären sie die Strophen eines avantgardistischen Gedichts. Von allem gibt es im Leben dieser Frau viel. Ein Übermaß an Jahren, Fundstücken, Geliebtem und Ungeliebtem, Gesagtem und Ungesagtem. Und sie im Mittelpunkt. Die meisten Menschen, von denen sie erzählt, sind lange tot.

Zwischen den Büchern in ihrem Regal findet sich, immerhin, ganz klein, ein Hinweis auf den Mann, der sie als seine Muse betrachtete. Goldumrahmt hängt an ihrem Regal verloren zwischen den Büchern ein Porträt Gottfried Benns. Auf ihn angesprochen verzieht sie das Gesicht.

"Och, nö", sagt sie leise, aber endgültig.

Stehe doch alles in dem Buch.

Mit dem Buch meint sie "Hernach", Benns Briefe an sie, die sie nachträglich kommentiert hat. Als es 2003 veröffentlicht wurde, riefen die Feuilletons für Interviews bei ihr an. Ursula Ziebarth sagte meistens ab. Es nerve sie, sagt sie, auf diesen Abschnitt ihres Lebens, auf das passive Dasein als Muse reduziert zu werden. Was sind schon zwei Jahre von 95?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Außerdem habe sie ja auch danach noch "Liaisonen" gehabt, viele davon dauerten viel länger als die Zeit mit Benn und seien wie Ehen gewesen, wenn auch nicht so, "wie Sie das definieren, mit Ring und Schein vom Amt", sagt sie provokativ, weil es doch offensichtlich sein sollte, dass Leidenschaft solcher Dinge nicht bedarf.

Gerade sei sie in einer 13-jährigen Beziehung. Und das sei einer Ehe doch nicht so unähnlich.

Mit wem denn, Frau Ziebarth?

"Das wüssten Sie gerne, was? Ist in Ihren Augen auch wieder ein Prominenter. Geht Sie aber nichts an."

Viele der Namen, von denen sie an den Nachmittagen in ihrem Wohnzimmer berichtet, sind mehr Mythengestalten einer versunkenen Ära als Menschen. "Brecht wollte, dass ich Dramaturgin werde, aber darauf hatte ich keine Lust", sagt sie einmal, ein Satz, hingeworfen wie ein Pullover, den man gerade ausgezogen hat.

Wer ...?

"Brecht."

Sie kannten Bertolt Brecht?

"Was ist denn daran so besonders? Man kennt eben Leute."

Sie kommt aus einer Theaterfamilie, der Urgroßvater verkaufte sein Gut, um eine Bühne zu errichten

Als notorische Theatergängerin wird Ursula Ziebarth an den Berliner Bühnen respektiert. Auch darüber schreibt sie ein Buch, mit der Erfahrung derjenigen, die alles gesehen hat, was in den vergangenen Jahrzehnten Premiere hatte.

Ins Berliner Ensemble ging sie regelmäßig, dort habe sie Brecht kennengelernt, erzählt sie, man traf sich da. Sie zeigt auf einen Stuhl unter dem Fenster. Der habe ihm gehört, ein Freund hat ihn ihr vor einigen Jahren bei einer Auktion am Berliner Ensemble ersteigert. Mehr will sie darüber aber nicht sagen und lieber übers Theater an sich sprechen.

Sie fängt dann, man ist das inzwischen schon von ihr gewohnt, auch gleich mit einer Klatsche an. "Ich gehe besonders gerne zu Peymann", blitzt sie über den Kaffeetisch. "Den findet ihr, die ihr jung seid, ja alle furchtbar - weil ihr keine Ahnung habt."

Das Alter, findet sie, gibt ihr recht, sie hat sich Verdienste erworben, an die außer ihr kaum jemand heranreicht. Jung ist jeder unter 65.

Ziebarth kommt aus einer Theaterfamilie. Ihr Urgroßvater hatte im 19. Jahrhundert sein Landgut in der Altmark verkauft, um auf einem Grundstück in der Stadt Goldenberg ein Theater zu errichten. Als Kind verbrachte sie ihre Ferien dort. Bis 1945 war das Haus im Besitz ihrer Familie.

Der Einfluss dieses Hauses auf sie wirkt fort, bis heute geht sie zwei- bis dreimal pro Woche ins Theater. Den "Faust" am Berliner Ensemble hat sie zwölf Mal gesehen. Sie ist eine Institution am Peymann-Theater, regelmäßig bekommt sie Freikarten, nimmt Freunde und Bekannte mit.

Sie genießt es, dass die Menschen sie erkennen, wenn sie, Krücke in der einen Hand, auf ihre Begleiter gestützt, langsam über den Hof des Theaters schreitet. Nach der Vorstellung sitzt sie in der Kantine, isst Käse und Oliven am Stammtisch, und manchmal kommt jemand vorbei, um sich eines ihrer Bücher signieren zu lassen, die heute nur mehr antiquarisch zu bekommen sind. Das macht sie gern, auch wenn sie ein wenig grimmig dabei schaut.

Mit dem Dramaturgen Hermann Beil ist sie seit Jahren befreundet. Die Korrespondenz mit ihm hat sie in einem ihrer rot eingebundenen Bücher zusammengefasst. Zu ihrem 95. Geburtstag las Beil aus einem ihrer Bücher vor, sie saß währenddessen auf dem Sessel, auf dem immer der Regisseur George Tabori gesessen hatte, mitten auf der Bühne. Die Flyer dieses Abends liegen noch heute, ein Jahr später, griffbereit auf dem Tisch neben ihrem Diwan.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Seit sie sich vor einigen Jahren zweimal die Hüfte gebrochen hat, kann sie nicht mehr reisen. Was bleibt, ist, bei Kuchen und Tee, der sichtbare Teil ihrer Lebensleistung und der Blick in den Innenhof, in dem es langsam Frühling wird. Ihre Erinnerungen haben sich um sie herum materialisiert. Über 40 000 Objekte hat sie in der Welt zusammengetragen.

Es wäre allerdings ein Irrtum anzunehmen, dass die Sammlerin, nur weil sie vieles von einer Sache besitzt, die einzelnen Stücke weniger schätzen würde. Jedes davon nummeriert sie und trägt es in eine Liste ein: wann gekauft, wo gekauft, wie viel dafür bezahlt. Fünf Bände umfasst ihr persönlicher Katalog.

Acht Kellerräume hat sie für ihre Sammlung angemietet, sie bräuchte einen neunten, findet aber keinen

Ihre Wohnung ist für ihre Sammlung längst zu klein geworden. Schon in den 60er Jahren begann sie deshalb, Kellerräume in der Nachbarschaft anzumieten. Acht sind es bislang, nach Themen und Ländern geordnet. Meterhohe Szopkas, polnische Weihnachtskrippen aus glitzerndem Bonbonpapier stehen dort neben mexikanischen Dioramen von boxenden Mäusen in Streichholzschachteln. Ein Schrank voller russischer Matrjoschkas drängt sich neben Porzellanhähnen aus Portugal, eine indische Elefantenstatue neben einem blutigen Jesusbild aus Bayern.

Die Gänge in ihren Untergrundarchiven sind so eng, dass man sich nur seitwärts durch sie hindurchzwängen kann. Alle Stücke anzusehen, das würde Monate dauern. Sie bräuchte eigentlich einen neunten Keller, sagt Ziebarth, sie findet nur keinen.

So schlimm sei das aber am Ende nicht, meint sie. Viel größer werde ihre Sammlung wohl nicht mehr werden. Nach ihrem Tod, das hat sie schon vereinbart, soll sie in einem Museum in Worpswede ausgestellt werden.

Der Tod ist ein Thema für Ursula Ziebarth, zwangsläufig. "Hadeskassiber" heißt eines der Bücher der letzten Jahre. Es ist der Versuch, Kontakt aufzunehmen mit denen, die sie überlebt hat. In einem Gedicht darin schreibt sie:

Acheronnacht, Allerseelen -

Grüß mit der Hand -

Auch dich soll der Tod nicht verfehlen.

Dass er irgendwann kommt, weiß sie. Klar. Vorerst aber, sagt sie auf dem Sofa ihres Wohnzimmers, habe sie noch keine Lust darauf. Und Leben ist wie Sammeln - eine Leidenschaft, das lernt man irgendwann.

Warum sammeln Sie, Frau Ziebarth?

Sie stöhnt.

"Warum nicht?"

Was ist Ihr Lieblingsstück, Frau Ziebarth?

"Nein!", sagt sie empört. "Furchtbar!"

Es ist die falsche Frage. Ein Ding aus allen Dingen herausheben? Eines zum Maßstab aller anderen machen? Wie ungerecht.

Ursula Ziebarth starb am 20. März 2018 im Alter von 96 Jahren. Ihr Grab ist auf dem Friedhof in der Stubenrauchstraße.

Zur Startseite