zum Hauptinhalt
Selbstporträt der Fotografin Gisèle Freund, Paris 1935.

© Stadtmuseum Berlin

Berlin - Stadt der Frauen: Sie wussten, was sie wollten

Die Ausstellung „Berlin - Stadt der Frauen“ erzählt Geschichten von der Emanzipation. Vom Lette-Verein, von Renée Sintenis oder Gisèle Freund.

Das Symbol der Ausstellung „Berlin – Stadt der Frauen“ empfängt die Besucher gleich am Eingang des ersten Saals. Es ist ein Mieder, gefertigt um 1900 und mit kostbaren weißen Spitzen besetzt. In einer Einzelvitrine von einem Punktscheinwerfer erhellt, ist es so inszeniert, als wäre es die Nofretete. Das Kleidungsstück wirkt tatsächlich archäologisch, wie ein Artefakt aus eine lange versunkenen Epoche. Dabei ist die Zeit, um die es hier geht, vom Kaiserreich bis zum Wiederaufbau, gerade erst Vergangenheit geworden, beinahe noch Gegenwart. In solche Mieder wurden nicht nur die Körper der Frauen gezwängt, sie stehen auch für eine von Männern geformte Ideologie, in der der Geist der Frauen sich ebenfalls nicht frei entfalten durfte.

Das Diktat des Mieders

Die Ausstellung im Ephraim-Palais ist zwanzig Frauen gewidmet, die zwischen 1829 und 1909 geboren wurden und allesamt auf ihre Art gegen das Diktat des Mieders angekämpft haben. Unter diesen Berlinerinnen sind einige berühmt, andere nahezu unbekannt. Eines eint sie, nämlich, dass sie die Welt so, wie sie sie vorfanden, nicht akzeptieren wollten. Von Käthe Kollwitz, wohl der bekanntesten Berliner Malerin, sind das Plakat „Nie wieder Krieg“, auf dem eine Frau ihren Arm aufmüpfig nach oben reckt, und die Bronzeplastik „Pietà“ zu sehen, die eine Mutter mit ihrem gefallenen Sohn zeigt. Es sind Ikonen von Trauer und Widerstand.

Modell des Flugzeugs Me Bf 108 „Taifun“ von Elly Beinhorn.
Modell des Flugzeugs Me Bf 108 „Taifun“ von Elly Beinhorn.

© Stadtmuseum Berlin, Privatbesitz Bernd Rosemeyer, München,

Ein paar Räume weiter hängen zwei Schreibmaschinenseiten mit einem „Tätigkeitsnachweis der Trümmerräumung“ an der Wand. Aus ihm geht hervor, dass Anni Mittelstädt vom 10. August 1945 bis zum 31. Dezember 1954 für fünf Firmen Baustellen enttrümmert hat, unter anderem an der Danziger Straße, der Kuglerstraße und am Lustgarten. Die Trümmerfrauen sind mythische Figuren der Berliner Zeitgeschichte, sie hielten, als die Männer gefallen oder in Gefangenschaft waren, den Alltag in der zerstörten Hauptstadt am Laufen. Von Anni Mittelstädt, die in der Ausstellung den Überlebenswillen ihrer Generation verkörpert, existieren außer der Bescheinigung nur wenige Dokumente.

Aber ein schönes Zitat von ihr ist überliefert: „Ich bin eine von vielen. 40.000 andere Berlinerinnen haben damals genauso wie ich mit der Nase im Dreck gelegen.“ Man könnte ihren Worten einen Satz von Käthe Kollwitz an die Seite stellen: „Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“ Er stammt von 1922, als die Deutschen noch mit den Nachwirkungen eines anderen Krieges beschäftigt waren. Die weibliche Tatkraft, so wie er sich in „Berlin – Stadt der Frauen“ präsentiert, richtet sich pragmatisch auf die unmittelbare Gegenwart. Es geht darum, Verbesserungen durchzusetzen, zu „wirken“ (Kollwitz), darum, wiederaufzustehen, wenn man „mit der Nase im Dreck“ liegt.

Röngtenbild von der Hand von Marie Kundt, 1896.
Röngtenbild von der Hand von Marie Kundt, 1896.

© Geheimes Staatsarchiv PK

Bildung war der Motor

Die Ausstellung, sagt die Kuratorin Martina Weinland, folge „keinem feministischen Ansatz“. Sie solle „nur zeigen, dass jeder zweite Berliner eine Frau ist“. Das ist ein bisschen viel Understatement, denn natürlich erzählt „Berlin – Stadt der Frauen“, wenn auch in biografischen Kapiteln, von den Schlachten der Emanzipationsbewegung. Zu ihren Forderungen gehörte neben dem Recht auf Gleichberechtigung, dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Recht auf Arbeit auch das Recht auf Bildung. Noch bis 1977 konnte es Frauen in der Bundesrepublik verboten werden, zur Arbeit zu gehen. Zum Studium zugelassen wurden Frauen in Preußen 1908, die Kunsthochschulen öffneten sich für sie sogar erst 1918.

Der Weg zur Gleichberechtigung, so lautet die These der Ausstellung, führte über die Bildung. Schulen und Universitäten waren Emanzipationsmaschinen. Der Lette-Verein, vor 150 Jahren zur „Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts“ gegründet, ist deshalb ein idealer Kooperationspartner für „Berlin – Stadt der Frauen“. Generationen von Fotografinnen, Modegestalterinnen und Grafikerinnen durchliefen die Schule im Bayerischen Viertel, aktuelle Schülerinnen und Schüler haben die Ausstellung mitgestaltet.

Zu sehen sind rund 400 Objekte, doch anders als zuletzt bei den Ausstellungen zu West-Berlin und dem Berlin der zwanziger Jahre verspürt man kein Gefühl der Überfülle. Im Abschied vom Horror vacui dürfte sich bereits die Handschrift von Paul Spies zeigen, dem neuen Direktor der Stiftung Stadtmuseum. Klug sind in vielen Räumen die Protagonistinnen zu Paaren zusammengestellt. So blicken die Kleinplastiken der Bildhauerin Renée Sintenis, ein Bestiarium aus galoppierenden Fohlen und springenden Böcken, auf die halb abstrakten, an Picasso geschulten Gemälde von Jeanne Mammen, die eigentlich eher für ihr sozialkritisches Frühwerk bekannt ist. Vom Schreibtisch der SPD-Politikerin Louise Schröder, die 1947/48 West-Berlin regierte, führt eine Sichtachse zur lebensgroßen Nachbildung des Flusspferdbullen „Knautschke“, dem Lieblingstier der Nachkriegs-Zoodirektorin Katharina Heinroth.

Porträt von Fritzi Massary von leo von König.
Porträt von Fritzi Massary von leo von König.

© Stadtmuseum Berlin

Aufbruch in die Welt

Die berühmte Schauspielerin und Soubrette Fritzi Massary singt, knisternd von einer Hörstation wiedergegeben, „Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will“. Mary Wigman tanzt auf drei Leinwänden ihren „Hexentanz“. In den Zwischenkriegsjahren gibt es nichts, was Frauen sich nicht zutrauen. Ihr Aufbruch führt in die entlegensten Winkel der Welt. Eine Karte dokumentiert die Reisen der Fliegerin Elly Beinhorn, sie reichen von Berlin über New York nach Rio. Im Stockwerk darüber sind die Lebenswege der Fotografin Gisèle Freund nachgezeichnet, die alle Kontinente überspannen. Allerdings war sie nicht freiwillig unterwegs, als Jüdin wurde sie in die Emigration gezwungen.

Klugerweise verzichtet die Ausstellung auf das Klischee der „starken Frauen“. Denn erfolgreich waren die Frauen, weil sie gerade nicht die männlichen Konzepte von „Stärke“, „Härte“ und „Unbeugsamkeit“ kopierten. Die Schriftstellerin Marie von Bunsen brach oft allein zu wochenlangen Fahrten in ihrem Ruderboot auf. Sie sagte: „Lächelnd ruderte ich davon.“

Zur Startseite