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Hübsch – aber auch funktionstüchtig? Auch im Rathaus Lichtenberg arbeitet eine bezirkliche Allparteienverwaltung – womöglich mit suboptimalen Ergebnissen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bezirke und Senat: Ist die zweistufige Berliner Verwaltung reformbedürftig?

Bezirke und Stadtregierung führen vielen Jahren eine schwierige Beziehung. Reformen sind nötig, werden aber bis heute verschleppt.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Sind die Bezirke noch in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen? Seitdem die Bürgerämter vor dem Kollaps stehen und bezirkliche Jugend-, Bildungs- und Sozialeinrichtungen nur noch eingeschränkt leistungsfähig sind, wird diese Frage immer öfter gestellt. Trotzdem drücken sich die Parteien, die zwölf Bürgermeister und 48 Stadträte stellen, vor einer Grundsatzdebatte, ob die zweistufige Berliner Verwaltung nicht dringend reformbedürftig ist.

Schon im Oktober 1920, als sieben Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke zur Einheitsgemeinde Groß-Berlin fusioniert wurden, fragte das Berliner Tageblatt in einem Leitartikel, ob zwischen zentraler Steuerung und kommunaler Selbstverwaltung „der richtige Mittelweg gefunden worden ist“. Die Zeitung sprach von einer „originalen Schöpfung“, die kein direktes Vorbild habe und die Spuren zahlreicher Kompromisse zeige. Die neue Organisation der Millionenstadt Berlin sei „ein Sprung ins Dunkle“. Eine weitsichtige Analyse.

Verhältnis ist spannungsreich

Denn bis heute blieb das Verhältnis zwischen den Bezirken und dem Senat (früher Magistrat) äußerst spannungsreich. Immer ging es um dieselben Themen: Geld, Personal und Kompetenzen. Stets klagten Bezirkspolitiker über mangelnde Ressourcen und zu geringen Einfluss auf die Stadtentwicklung. Aber nur während des NS-Regimes und zu DDR-Zeiten (in Ost-Berlin) wurden die Bezirke wirklich entmachtet. Eine Abschaffung der zweistufigen Verwaltung stand in Berlin seit 95 Jahren nie ernsthaft zur Debatte.

Im Gegenteil: Nach dem Mauerfall wurde die Stellung der Bezirke im Zuge einer Verfassungsreform deutlich gestärkt. Sie sind, mit Ausnahme der „Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung“ für die gesamte kommunale Verwaltung zuständig. Sie stellen ihre Haushalte selbstständig auf und haben eigene politische Organe. Dass sie unter der Dienst- und Fachaufsicht der Landesregierung stehen, haben sie mit den Städten und Gemeinden in anderen Bundesländern gemeinsam. Rechtlich eigenständige Gebietskörperschaften sind sie aber nicht, denn sonst wäre Berlin keine Einheitsgemeinde mehr, sondern ein Konglomerat aus zwölf Städten, vielleicht vergleichbar mit dem Ruhrgebiet.

7000 neue Mitarbeiter

Soweit die Theorie. In der Praxis leiden die Bezirke immer noch an den Folgen der drastischen Sparpolitik, nachdem Klaus Wowereit als Regierungschef und Thilo Sarrazin (beide SPD) als Finanzsenator das Ruder übernahmen. Während die Zahl der Beschäftigten in den Senatsverwaltungen in den letzten 15 Jahren nur um zwölf Prozent sank, verringerte sich das Personal in den Bezirksämtern um 56 Prozent. Erst seit einem Jahr gibt es wieder mehr Stellen für die kommunalen Dienstleistungsbehörden, weil die Stadt so schnell wächst.

Ob es aber gelingt, genügend qualifizierten Nachwuchs für die Bezirke zu rekrutieren, ist eine andere Frage. Denn in den nächsten fünf Jahren scheidet fast ein Drittel des Personals altersbedingt aus, bis 2021 müssen 7 000 neue Mitarbeiter eingestellt werden, um den ohnehin knappen Personalbestand in den Bezirksämtern halten zu können. Es ist kaum auszudenken, was passiert, wenn diese Kraftanstrengung fehlschlagen sollte. Ein Lösungsansatz wäre, die Produktivität der Behörden durch eine moderne, flächendeckende IT-Ausstattung deutlich zu erhöhen. Momentan sind viele Mitarbeiter aber schon froh, wenn der PC während der täglichen Arbeit nicht mehrfach abstürzt, weil Hard- und Software hoffnungslos überaltert sind.

Ein anderes großes Problem der Bezirke ist das politische Führungspersonal. Denn die Organisation der Berliner Parteien hat sich dem Modell der zweistufigen Verwaltung seit fast einem Jahrhundert nahtlos angepasst. Die Landesverbände von SPD und CDU, Grünen und Linken, FDP oder Piraten müssen auf die Interessen und Befindlichkeiten ihrer Bezirksorganisationen große Rücksicht nehmen. Vor allem Christ- und Sozialdemokraten legen großen Wert darauf, ihre Kandidaten für das Abgeordnetenhaus auf Bezirkslisten zu nominieren.

Alle fünf Jahre Wettlauf um Posten

Außerdem gibt es alle fünf Jahre einen Wettlauf um die Bürgermeister- und Stadtratsposten. Die innerparteiliche Konkurrenz hat noch zugenommen, seitdem jedes Bezirksamt nur noch aus fünf Mitgliedern bestehen darf. Folgerichtig einigten sich SPD, CDU und Linke 2009 auf eine Änderung der Landesverfassung, um das System des Parteienproporzes in den „Bezirksregierungen“ zu retten, das seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts existiert.

Dieses System sieht vor, dass die Parteien entsprechend ihrer Stärke in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) in den Bezirksämtern personell vertreten sind. Nur die Bezirksbürgermeister dürfen durch politische Mehrheiten (sogenannte Zählgemeinschaften) in der jeweiligen BVV gewählt werden. Eine Sonderregelung, die Anfang der neunziger Jahre darauf zielte, Vertreter der damaligen PDS, heute Linke, als Bürgermeister zu verhindern. Der Versuch schlug fehl. Verfassungsrechtlich wäre es möglich gewesen, ab 2010 auch die Stadträte durch politische Koalitionen im Bezirk wählen zu lassen. Doch völlig überraschend verzichteten SPD und Linke auf die Installation solcher „politischer Bezirksämter“ und zementierten stattdessen die Proporzregelung in der Landesverfassung.

Notwendige Reform

Der Vorwurf der Grünen, auf diese Weise wollten die anderen Parteien ihre personellen Pfründe in den Bezirksämtern retten, wurde damals von der Konkurrenz empört zurückgewiesen. Inzwischen hört man nachdenklichere Töne. Es reift die Erkenntnis, dass die bezirkliche Allparteien-Verwaltung die kollektive Verantwortungslosigkeit fördert und auch nicht geeignet ist, die Versorgungsmentalität der Parteien, die ihre Funktionäre unterbringen wollen, zu brechen.

Dazu passt, dass in jedem zweiten Bezirk ein Stadtrat für die Bürgerämter zuständig ist, der zur „bezirklichen Opposition“ gehört. Der dringend notwendigen Reform dieser Ämter, so hört man, sei dies nicht zuträglich, weil die Verantwortlichen ausgebremst würden oder sich politisch nicht zuständig fühlten.

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