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Symbol des linksautonomen Berlins: das Haus Rigaer Straße 94 im Friedrichshainer Nordkiez.

© Paul Zinken/dpa

Bezirk verhinderte Gefahrenabwehr in der Rigaer 94: Landes-Bauaufsicht widerspricht Schmidt und Herrmann in Brandschutz-Affäre

Jahrelang wurden Baumängel nicht behoben und Rettungswege nicht entrümpelt - auf Weisung des Bezirksamts. Kreuzbergs Führung gerät nun zunehmend unter Druck. 

Kommt es in der Rigaer Straße 94 zum Notfall, könnte es Menschenleben kosten. Zu diesem Schluss kommt Berlins Oberste Bauaufsicht. Sie widerspricht damit in der Brandschutz-Affäre um das teilbesetzte Haus der Führung des Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Bürgermeisterin Monika Herrmann und Baustadtrat Florian Schmidt (beide Grüne).

Vielmehr kam die Behörde bei ihrer Prüfung der Zustände in dem Haus zum selben Schluss, wie die Bauaufsicht des Bezirks – nämlich, dass es beim Brandschutz erhebliche Mängel gibt.

Die Senatsbauverwaltung erklärte auf Tagesspiegel-Anfrage: „Anhand der Aktenlage waren im Wesentlichen Risiken im Gefahrenfall in Bezug auf die uneingeschränkte Funktion der Rettungswege für die hindernisfreie Selbstrettung der Bewohner aus dem Gebäude beziehungsweise für einen hindernisfreien Einsatz von Feuerwehr oder Rettungsdiensten erkennbar.“

Beauftragt hatte das Gutachten die Bezirksaufsicht in der Innenverwaltung, die prüft, ob der Umgang des Bezirks mit der Situation in der Rigaer Straße 94 rechtmäßig ist. Denn Bezirksbürgermeisterin Herrmann und Baustadtrat Schmidt wird vorgeworfen jahrelang beim Brandschutz im Autonomen-Haus weggesehen zu haben.

Die Bauaufsicht des Bezirks wollte seit Jahren einschreiten und den Eigentümer dazu bringen, die Probleme zu beheben – doch das durfte sie auf Weisung von Herrmann und Schmidt bislang nicht.

Keine Stellungnahme aus dem Bezirksamt

Sollte der Bezirk gegen Rechtsvorschriften verstoßen und „gebotene Maßnahmen der Gefahrenabwehr“ unterlassen, „kommen Bezirksaufsichtsmaßnahmen in Betracht“, heißt es aus der Innenverwaltung. Eine erste, bis Freitag gesetzte Frist für eine Stellungnahme zu den Ergebnissen hat Herrmann den Angaben zufolge verstreichen lassen. 

„Bezirksbürgermeisterin Herrmann wurde zur Stellungnahme bis zum 4. Dezember 2020 aufgefordert. Bisher ist eine Stellungnahme hier nicht eingegangen“, sagte einer Sprecher der Innenverwaltung am Freitag. „Die weiteren Schritte hängen maßgeblich von dem Inhalt der angeforderten Stellungnahme ab.“ 

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Wenn Anfang der Woche „keine Stellungnahme des Bezirksamts eingehen sollte, wird das Bezirksamt zur umgehenden Übersendung aufgefordert“. Schmidt verhandelte derweil mit dem Anwalt der Bewohner der Rigaer 94 in der Sache. Nach der Durchsuchung der Rigaer 94 im Juli hatte die Bauaufsicht anhand einer Fotodokumentation der Polizei erneut „Anhaltspunkte für bauliche Mängel“ festgestellt. 

Auch der Hausverwalter des Eigentümers, der bei der Durchsuchung dabei war, stellte Mängel fest: Wanddurchbrüche, angezapfte Stromleitungen, Müll in Kellergängen und auf dem Dachdoden, unzulässige Einbauten und Türen. Das Bezirksamt sah jedoch „keine Umstände“, die „ein Eingreifen zwingend zur Folge hätten“. 

Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) hinderte Beamte der bezirklichen Bauaufsicht daran, gegen Baumängel in dem teilbesetzten Haus Rigaer Straße 34 in Friedrichshain einzuschreiten.
Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) hinderte Beamte der bezirklichen Bauaufsicht daran, gegen Baumängel in dem teilbesetzten Haus Rigaer Straße 34 in Friedrichshain einzuschreiten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Am 6. Oktober sind die Hausbewohner dann von Schmidt aufgefordert worden, „Brandlasten aus Treppenhaus und Hof“ und eine „Konstruktion in einer Wohnung“ zu entfernen. Dem sollen sie angeblich nachgekommen sein.

Anwalt und Bewohner ließen in Schmidts Auftrag auch ein Brandschutzgutachten erstellen, um die Vorwürfe der Bauaufsicht zu entkräften. Das Gutachten soll seit einigen Tagen vorliegen. Mehrfach soll Schmidt dem Anwalt eine Fristverlängerung für das Gutachten gewährt haben. 

In der letzten Novemberwoche durften auch die Rigaer 94-Bewohner Stellung zum Gutachten nehmen. Überprüfen kann die Bauaufsicht das alles ohnehin nicht, denn dafür wäre zum Schutz der Mitarbeiter ein größerer Polizeieinsatz nötig. Derlei ist politisch aber nicht gewollt.

Bauaufsicht wurde mehrfach in gebremst

Die Bezirksbürgermeisterin und der Baustadtrat hatten die Bauaufsicht im Bezirksamt mehrfach und über Jahre dabei ausgebremst, deutlichen Hinweisen auf Brandschutzmängel nachzugehen. Die kamen von der Polizei nach Hausdurchsuchungen, Mitarbeitern der Bauaufsicht, Hausverwalter und Eigentümeranwalt: 2016, 2018 und zuletzt im Sommer 2020. 

Herrmann und Schmidt haben die Bauaufsicht aber mehrfach daran gehindert, den Hinweisen nachzugehen und ein bauordnungsrechtliches Verfahren einzuleiten. Die gesetzlichen Regelungen sehen vor, dass nur der Eigentümer dafür herangezogen werden kann, den Brandschutz umzusetzen – und nicht die Mieter und Bewohner an fremdem Eigentum. Das bestätigte auch die Senatsbauverwaltung in ihrer Stellungnahme an die Innenverwaltung. 

Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann hatte sich bereits Anfang Oktober für den Einsatz der Bundeswehr im Bezirk ausgesprochen.
Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann hatte sich bereits Anfang Oktober für den Einsatz der Bundeswehr im Bezirk ausgesprochen.

© Christoph Soeder/dpa

Zugleich machte die Bauverwaltung deutlich, dass die Mitarbeiter der Bauaufsicht von der politischen Führung des Bezirks nicht einfach ausgebremst werden dürfen. Die Bauverwaltung habe „auf die Verantwortlichkeiten der Gebäudeeigentümerin sowie auf die weisungsfreie Zuständigkeit und alleinige Ermessenshoheit der bezirklichen Bauaufsichtsbehörde hingewiesen“, sagte eine Sprecherin. Dagegen erklärte das Bezirksamt, „dass sich die Verwaltungsspitze“ bei der Rigaer 94 „vorbehält, jeweils im Einzelfall eine Abwägungsentscheidung (…) zu treffen“.

In dem Fall geht es auch um die Frage, ob Herrmann und Schmidt nicht nur die Bedenken der Bauaufsicht heruntergespielt, sondern über Jahre auch die Innenverwaltung über deren Erkenntnisse getäuscht haben. Auch deshalb hatte Geisel das Verfahren bei der Bezirksaufsicht in der Innenverwaltung im Frühjahr 2020 eingeleitet.

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