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Da geht's lang: Michael Müller (SPD) weist den Ländern in Verhandlungen mit dem Bund den Weg.

© Clemens Bilan

Bewährungsprobe für Müller: Berlins Regierender muss sich vor Angela Merkel als Krisenmanager beweisen

Michael Müller ist derzeit der mächtigste Länderchef. Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz erntet er Lob. Die schwerste Prüfung steht jetzt bevor.

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Auf ihn kommt es jetzt an. Michael Müller (SPD) muss als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) die Interessen aller Länder bündeln und bis zur nächsten Sitzung mit der Bundeskanzlerin am kommenden Mittwoch ein Gesamtkonzept vorlegen.

Eine politische Herausforderung. Denn auch der Co-Vorsitzende der MPK, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), sagte nach der letzten Sitzung der Länderchefs mit Angela Merkel (CDU) am Montag, nächste Woche werde „die Woche der Entscheidungen“.

Schafft Müller nach der nahezu ergebnislosen Runde von Montag eine weitgehend abgestimmte Länderlinie erfolgreich zu verhandeln? Wie sieht der Fahrplan bis zum nächsten Corona-Gipfel aus?

Müller ist derzeit ein Politiker mit Doppelfunktion. Als Regierender Bürgermeister muss er die rot-rot-grüne Koalition in die Beschlüsse mit einbinden. Als MPK-Vorsitzender hat er den direkten Auftrag der Kanzlerin erhalten, konkrete Vorschläge zu liefern. Seinen Anspruch hat Müller am Montag selbst formuliert: Er will Beschlussvorschläge vorlegen, die eine Planungssicherheit für Dezember und Januar garantieren.

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Die Augen vieler Länderchefs sind auf Berlin als Corona-Hotspot gerichtet. Müller weiß, dass er sich bundesweite Blamagen wie zu Beginn der Pandemie nicht mehr leisten kann, als er zögerte, Großveranstaltungen zu verbieten, während reihum die Länder Verbote verhängten. Und kurze Zeit später zog Berlin als letztes Bundesland mit der Einführung der Maskenpflicht nach.

Daraus hat man im Roten Rathaus gelernt: Seit Mai gibt es einen politischen Koordinierungsstab in der Senatskanzlei und regelmäßige Telefonkonferenzen zwischen Müller und den beiden Bürgermeistern Ramona Pop (Grüne) und Klaus Lederer (Linke). Das Klima in der Runde wird als konstruktiv und vertrauensvoll beschrieben. Die Beteiligten telefonieren miteinander, wenn es sein muss, auch spontan.

Müller verleiht dem Senat bundesweit Gewicht

Vonseiten der ansonsten kritischen Koalitionspartner Grüne und Linke heißt es, Müller habe sich als Krisenmanager durchaus bewährt. Corona-Beschlüssen in Berlin gehen keine Grundsatzdiskussionen mehr voran, es wird sachlich und vor allem zielorientiert miteinander geredet.

Auch Grüne und Linke wissen, dass sie im bevorstehenden Wahljahr ebenfalls daran gemessen werden, wie Berlin als Corona-Hotspot die Pandemie bekämpft hat. Und wie und ob die Koalition gemeinsam Einigkeit mit allen Bezirken hergestellt hat.

Darüber hinaus profitieren sie von der Sonderrolle, die der MPK-Vorsitz dem Berliner Senat insgesamt beschert.

In der Pandemie-Bekämpfung ist Müller alles andere als beratungsresistent: Er lädt regelmäßig Epidemiologen oder Wirtschaftswissenschaftler ein, telefoniert mit Experten und und lässt sich beraten. Müller hat als Wissenschaftssenator einen sehr engen Draht zum Charité-Vorstandschef Heyo Kroemer und dem Charité-Vorstand Krankenversorgung, Ulrich Frei.

Müllers Vertrauter in der Coronakrise: Der Chef der Senatskanzlei

Deren Einschätzungen nimmt er ernst. Ende September, als die zweite Welle in Berlin Fahrt aufnahm und die Infektionszahlen in die Höhe schnellten, zeigte sich Müller schwer besorgt, warnte eindringlich. Wenig später war es mit der Leichtigkeit des Sommers, wie Müller-Stellvertreterin Pop kurz darauf formulierte, vorbei. Anfang November schließlich kam der Lockdown light. Müllers dunkle Vorhersagen traten ein.

Einer seiner derzeit wichtigsten Unterstützer: Christian Gaebler, Chef der Senatskanzlei. Der SPD-Politiker und Müller-Vertraute spricht sich mit Staatsrätin Karolina Gernbauer, Bevollmächtigte des Freistaates Bayern beim Bund, ab. Sie hat die Aufgabe, die Interessen der von CSU und CDU regierten B-Länder zusammenzubringen, Gaebler die der SPD-regierten A-Länder.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Michael Müller und Markus Söder.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Michael Müller und Markus Söder.

© Odd Andersen/AFP/POOL/dpa

Noch gibt es keinen Entwurf einer Beschlussvorlage, sondern nur Textbausteine. Ab Freitagabend sollen die A- und B-Texte zusammengeführt und in die Schlussabstimmungen gehen, eine Runde der Ministerpräsidenten ist geplant. Auch danach erwartet Müller ein arbeitsreiches Wochenende, ehe die „geeinte“ Beschlussvorlage am Montag vorliegen und auch mit Kanzleramtschef Helge Braun besprochen werden soll.

Müller muss die Fäden zusammenhalten

Die Uhr tickt. Bei der Vorbereitung ist von allen Verhandlern und Ministerpräsidenten Nachgeben und Konsensbereitschaft verlangt. Müller will es besser machen als der Bund mit seinem unabgestimmten Vorpreschen am Montag.

Es ist ein Prozess mit umgedrehtem Spieß: Nach der nahezu ergebnislosen Runde von Montag hat Merkel Müller den Auftrag mitgegeben, jetzt bitteschön einen Ländervorschlag zu präsentieren. Denn der Bund gab am Montag Linien wie die Kontaktbeschränkung auf nur noch eine feste Bezugsperson vor, die von den Ländern abgelehnt wird.

Eher unwahrscheinlich ist, dass die Gastronomie wieder öffnen darf, bevor der Grenzwert von 50 Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner nicht erreicht wird – selbst wenn Müller zu Wochenbeginn Hoffnungen geweckt hatte. Öffnungen von geschlossenen Einrichtungen im Dienstleistungsbereich dagegen könnten wieder möglich sein, wenn es ein elektronisches Anmeldesystem gibt.

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Die Situation an den Schulen wiederum wird in der kommenden Woche das wesentliche Thema sein. Eine Kompromisslinie zu finden, wird nicht einfach – auch im Senat. Ein Teil der Länder fühlt sich an den Beschluss von Ende Oktober gebunden, die Schulen über den Winter möglichst nicht komplett zu schließen.

So sieht es zwar auch Merkel, aber ohne strengere Maßnahmen an den Schulen lässt sich, so die Meinung auf Bundesseite, die Infektionszahl nicht deutlich drücken. Im Hintergrund aber blockten die Kultusminister Maßnahmen wie halbierte Klassen oder Homeschooling für ältere Jahrgänge ab.

Nicht zuletzt Berlin sperrte sich gegen die von Merkel aufgelisteten Maßnahmen. Eine Halbierung der Klassen ist wohl schon vom Tisch, weil es schlicht zu wenig Klassenräume für den Unterricht gibt. Müller wusste am Montag eine Mehrheit der Länder hinter sich. Nun kommt es darauf an, alle einzubinden. Alles steht unter dem Vorbehalt der täglichen Meldungen des Robert-Koch-Instituts zu den Infektionszahlen. Steigen sie weiter, werden die Länder um weitere Beschränkungen nicht herumkommen.

Lob aus den Ländern - Distanz zum Bund

Müller jedenfalls hat in seinem letzten Amtsjahr Spaß am Regieren und sieht seine Position in der MPK als ernste Herausforderung. Er will sich als Krisenmanager der Pandemie auf Bundesebene beweisen und erntet für seine bisherige Arbeit – im Bund wie im Senat – Anerkennung. Am Montag betonte Müller, dass er gemeinsam mit den Ländern die Papiere erarbeiten und eine „gemeinsame Sitzung“ abhalten wolle. Der Seitenhieb auf den Bund war schon bewusst gesetzt.

Seiner exponierten Rolle ist sich Müller durchaus bewusst, wenn er am Mittwoch erneut als MPK-Vorsitzender mit Merkel im Videoraum des Bundeskanzleramts mit den anderen Ministerpräsidenten verhandelt. Markus Söder verfolgt die Schalte als Vize-Vorsitzender der MPK ein paar Stockwerke höher im Kanzleramt in der Bibliothek. Müller ist mittendrin, sein Amtskollege nur dabei.

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