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Die Wohnungsnot in Berlin verschärft sich drastisch.

© dpa

Bevölkerung und Wohnungsnot: Berlin hat so viele Bewohner wie seit Jahrzehnten nicht mehr

Erstmals seit Jahrzehnten leben mehr als 3,5 Millionen Menschen in Berlin. Aber der Wohnungsbestand wächst zu langsam.

Erstmals seit Jahrzehnten ist die Bevölkerung von Berlin auf mehr als 3,5 Millionen Einwohner gestiegen. Dies geht aus einem aktuellen Bericht des Statistischen Amtes Berlin-Brandenburg hervor, der an diesem Donnerstag erscheint. Demnach wuchs die Bevölkerung allein innerhalb der letzten zwölf Monaten um mehr als 50.000 Einwohner auf 3.520.031. Damit verschärft sich die Wohnungsnot in der Stadt drastisch, denn der Bestand an Wohnungen wächst gemessen am Einwohnerzuwachs nur schleppend – längst gibt es viel weniger Wohnungen als Haushalte in Berlin.

Denn nach aktuellen Zahlen des Statistikamtes nahm der Bestand an Wohnungen im vergangenen Jahr um gerade mal 0,6 Prozent zu: 10.877 Wohnungen wurden Ende 2015 mehr gezählt als ein Jahr zuvor. Theoretisch müssten sich also fünf Neuberliner jede der neu entstandenen Wohnungen teilen, damit sich die Wohnungskrise in der Stadt nicht noch zusätzlich verschärft. Die Realität sieht aber anders aus: In der deutschen Hauptstadt der Singles besteht ein Haushalt im Durchschnitt aus nicht mal zwei Personen (statistisch: 1,8). Gemessen daran fehlten also allein im vergangenen Jahr mehr als 15.000 Wohnungen, um allein jenen Teil der Nachfrage zu decken, der durch das Bevölkerungswachstum zusätzlich entstanden ist.

Fünf mal mehr Menschen kamen als Wohnungen entstanden

Noch schwerer wiegt das baupolitische Versäumnis bei einem Blick auf die vergangenen fünf Jahre. In diesem Zeitraum wuchs Berlins Bevölkerung um 241.685 Einwohner oder 7,4 Prozent. Dem kräftigen Zuzug steht aber gerade mal ein Plus von 1,9 Prozent beim Wohnungsbestand gegenüber: 35.002 zusätzliche Wohnungen entstanden. Einfach ausgedrückt: Fünf mal mehr Menschen kamen neu in die Stadt als Wohnungen in diesem Zeitraum entstanden.

Bereits bevor die neuen Bevölkerungszahlen erschienen sind, zählte eine Postbank-Studie Berlin neben Hamburg, München und Stuttgart zu den Städten mit dem „größten Bedarf an Wohnungen“ bundesweit. Demnach fehlten bereits vor der jüngsten nun statistisch erfassten Zuwanderungswelle enorm viele Wohnungen in Berlin: Für jeweils 100 Haushalte standen nur 94 Wohnungen zur Verfügung. Dieser Mangel hat sich durch das nun bekannt gewordene zusätzliche Wachstum weiter verschärft.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung setzt ihre Hoffnungen auf die Zukunft: „Wir rechnen für 2016 mit 16.000 fertig gestellten Wohnungen“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Und weiter: „Mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung rechnen wir mit einem jährlichen Bedarf von 15.000 bis 20.000 Wohnungen“. Aber auch das würde bei weitem nicht reichen, wenn auch künftig 50.000 Menschen jährlich in die Stadt ziehen.

Hinzu kommt: Die Berechnungen der Bauverwaltung beruhen auf der Zahl der neu gebauten Wohnungen, der Bestand an Wohnungen insgesamt steigt meistens nicht so schnell, weil durch Abriss und Zusammenlegung kleiner Mietwohnungen zu großen Eigentumswohnungen wiederum Wohnungen vom Markt verschwinden.

Wahrscheinlich leben in Berlin noch mehr Menschen als die 3,5 Millionen

Besonders drastisch sind die Folgen für die Geflüchteten, die sich ganz hinten in der Reihe der Wohnungssuchenden einreihen müssen – und diese sind in die Bevölkerungszählung offensichtlich nur zum Teil eingegangen. Denn nach Angaben der Senatsverwaltung für Soziales kamen im vergangenen Jahr allein 50.000 Geflüchtete in die Stadt. Das Bevölkerungswachstum Berlins ist laut Statistikamt außerdem getragen von Zuzügen aus der EU, darunter überwiegend aus Osteuropa. Anders gesagt: In Berlin dürften mehrere Zehntausende Menschen mehr leben als die 3,5 Millionen Gezählten.

Aufschlussreich ist auch ein Blick auf die Entwicklung des Wohnungsbestandes in den Bezirken. In Neukölln kamen gerade mal 161 neue Wohnungen hinzu. Am stärksten betätigen sich die Bauherren in den teuren Lagen wie zum Beispiel Pankow (1993 neue Wohnungen), Friedrichshain-Kreuzberg (1851) sowie in den grünen Lagen mit guter City-Anbindung wie Treptow-Köpenick (1799). Ein großer Teil der Neubauten sind Eigentumsobjekte. Günstige Mietwohnungen entstehen auch aufgrund der hohen Bau- und Grundstückspreise zu wenig.

Dass die Geflüchteten fast chancenlos auf dem Wohnungsmarkt sind, zeigt die kaum verändert hohe Zahl der in Not- und Gemeinschaftsunterkünften verbleibenden Neuberliner, deren Asylantrag positiv beschieden ist. Diese müssten eigentlich eine eigene Wohnung suchen. Weil aber nur wenige eine finden, bleiben viele von ihnen in den Provisorien, die zu Dauereinrichtungen zu werden drohen. Vor allem die blechernen „Tempohome“-Container, die zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld entstehen sollen, werden so lange stehen müssen, bis der im Vergleich zum Zuzug auf erschreckend niedrigem Niveau verharrende Wohnungsbestand wächst.

Die Bauverwaltung will die Versäumnisse der vergangenen Jahre mit einer „Ausweitung der landeseigenen Kapazitäten“ begegnen. 36 Grundstücke im Wert von 110 Millionen Euro bringt das Land Berlin in die staatseigenen Wohnungsunternehmen ein. Diese sollen auf den Bauflächen 14.500 Wohnungen errichten. Vier von zehn der neu entstehenden Wohnungen sollen zu Einstiegsmieten von „durchschnittlich 6,50 Euro je Quadratmeter“ vermietet werden. Außerdem soll der Spekulation mit Baugrund durch Steuern ein Riegel vorgeschoben werden.

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