zum Hauptinhalt
Die allermeisten Ärzte arbeiten korrekt. Aber wenige Mediziner können massive Schäden anrichten.

© Prautsch/dpa

Betrugsverdacht: Doch kein Krebs – Berliner Arzt nach Fehldiagnose vor Gericht

Ein Mediziner aus Berlin-Schöneberg wird von einer Patientin verklagt. Seine schockierende Diagnose war wohl teuer – und falsch. Auch die Polizei ermittelt.

Wenn an diesem Dienstag im Landgericht Berlin der Zivilprozess gegen einen Arzt aus Schöneberg beginnt, interessiert das nicht nur die Klägerin – sondern vielleicht Hunderte Berliner mit ihr. Dutzende Leser hatten sich nach einer Tagesspiegel-Reportage im Herbst 2017 in der Redaktion gemeldet und über ihre Erfahrungen mit diesem Arzt geklagt.

Dabei ging es um deren Verdacht, von dem Gastroenterologen betrogen worden zu sein: Beängstigende Diagnosen stellten sich diesen Patienten zufolge als falsch heraus, teure Behandlungen als überflüssig und ungenaue, hektische Erklärungen des Doktors als Verschleierungstaktik eines mutmaßlichen Betrügers.

Der Schöneberger Arzt hatte die Vorwürfe durch Anwälte bestreiten lassen, zudem verbiete ihm die Schweigepflicht, sich dazu zu äußern. Das stimmt – und es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Arzt sagte: "Ein Tumor droht!"

Ab Dienstag wird es trotzdem konkreter. Valeria F., Anfang 30, ging vor fünf Jahren erstmals wegen Magenschmerzen in die Praxis des Mannes, den sie nun verklagt hat. Ihrer Erinnerung nach herrschte dort Hektik, zügig führte der Doktor den Sondenkopf eines Ultraschallgeräts über den Bauch der Patientin. Die Bilder waren wohl ungenau, der Gastroenterologe holte einen Anästhesisten: Bei Valeria F. wurde unter Vollnarkose eine Magenspiegelung durchgeführt.

Später erklärte der Arzt, es gehe wahrscheinlich um ein Barrett-Syndrom. Das ist eine krankhafte Gewebeveränderung zwischen Speiseröhre und Magen – eine Art Krebsvorstufe. Und er, der Spezialist, hätte ihr während der Narkose schon eine Probe für das Labor entnommen. Tatsächlich hieß es bald danach: Ja, Barrett-Syndrom, ein Tumor droht!

Aus eigener Erfahrung kann ich dringend empfehlen, eine Zweitmeinung einzuholen, bevor man sich auf aufwändige Behandlungen oder Operationen einlässt. Manchmal wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

schreibt NutzerIn meister_haemmerlein

In ihrer Sorge, berichtete Valeria F. dem Tagesspiegel, stimmte sie Laser-Eingriffen zu: So wollte der Arzt die Tumorbildung verhindern. Mehrere Termine folgten, immer rechnete der Arzt bei der Krankenkasse der Frau ab. Nachdem sie mehrfach auf dem OP-Tisch lag, meldete sich der Doktor einige Wochen nach dem letzten Termin: So, nun sei sie krebsfrei. Da schöpfte Valeria F. plötzlich Verdacht, ging nicht zum erbetenen Kontrolltermin in Schöneberg, sondern beriet sich mit einem anderen Mediziner. So jung Magenkrebs, wunderte der sich, und gleich Lasereinsatz? Später stellte ein Charité-Gutachter fest: Einen Tumor gab’s nicht – einen Lasereingriff auch nicht.

Landeskriminalamt durchsucht Schöneberger Praxis

„Wir verlangen Schmerzensgeld und Schadensersatz“, sagte der Berliner Anwalt Jörg Heynemann vor Prozessbeginn. „Es geht um die lange Angst, mit Krebs leben zu müssen – und um das Geld, das meine Mandantin neben der Versicherung an die Praxis zahlen musste.“ Eine Gesamtsumme nennt Heynemann nicht. Unter anderem, weil noch nicht feststehe, welche Folgen die falsche Diagnose seelisch und materiell langfristig haben werde. Es wird wohl um mehr als 10.000 Euro gehen.

Heynemann ist Medizinrechtler, er weiß, dass solche Verfahren oft Jahre dauern. Gutachten, Fristen und Gegengutachten müssten ausgewertet werden. Dabei dürfte es unter Medizinern nicht krimineller zugehen als in anderen Zünften. Fälle von Betrug sind selten. Allerdings reichen im Gesundheitswesen wenige Täter, um erhebliche Schäden zu verursachen. Jedes Jahr, so grobe Schätzungen von Ermittlern, versickern dort zwischen 20 und 50 Milliarden Euro. Mit mehr als 350 Milliarden Euro Jahresumsatz ist das Gesundheitswesen allerdings auch Deutschlands größte Branche.

Einige Ärzte haben sich bei ihren Patienten unbeliebt gemacht.
Einige Ärzte haben sich bei ihren Patienten unbeliebt gemacht.

© Tschauner/dpa

Den Schöneberger Arzt erwarten übrigens Verfahren an gleich drei Fronten. Neben den Zivilverfahren, die auch andere Patienten anstrengen wollen, ermittelt die Staatsanwalt strafrechtlich: Es geht um den Verdacht des Betruges und der Körperverletzung. Dazu haben Ermittler des Landeskriminalamtes vergangenes Jahr die Praxis durchsucht, was schon wegen der Persönlichkeitsrechte der Patienten und der Schweigepflicht der Ärzte ein Vorgang ist, den Polizisten gut begründen müssen.

Neben den zivil- und den strafrechtlichen Folgen droht dem Arzt drittens, Ungemach durch das Standesrecht. Denn die Ärztekammer, der alle 32.000 zugelassenen Mediziner der Stadt angehören müssen, prüft die Vorwürfe. Sollte dem Doktor nicht die Zulassung entzogen werden, sagte Anwalt Heynemann, grenze das schon an Körperverletzung durch Unterlassen. Noch wartet die Praxis in Schöneberg auf Patienten – „Sprechzeiten nach Vereinbarung“.

Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false