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Beate Hammett hat noch Erinnerungen an Berlin, allerdings kann sie ihre Schauplätze heute nur noch schwer rekonstruieren.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Besuch der Synagoge am Fraenkelufer: Verlorene Berliner Kindheit

Als Neunjährige floh Beate Hammett, Tochter des Architekten der Synagoge am Fraenkelufer, vor den Nazis. Am Montag hat sie das Gotteshaus in Kreuzberg besucht.

Von dem Berlin, das Beate Hammett als Kind kannte, ist nur noch wenig zu erkennen. Das sagt die 90-Jährige mit leiser, aber fester Stimme. Neun Jahre alt war die Tochter des jüdischen Architekten Alexander Beer, als sie Deutschland verließ. Mit dem vorletzten Kindertransport floh sie nach England. Das war Ende 1939. Ihre Eltern sah sie nie wieder. Rund 80 Jahre später, an diesem Montag, besucht Beate Hammett in Berlin die jüdische Gemeinde und die Synagoge am Fraenkelufer, die ihr Vater einst entwarf.

Der Bau soll wiederaufgebaut werden. Deswegen ist am Montag auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh (SPD), der Initiator des Vorhabens, anwesend, um Beate Hammett zu empfangen.

Zwischen ihrem Leben als Erwachsene und ihrer Kindheit liege ein tiefer Bruch, sagt Hammett. Aber das sei gar nichts Besonderes. Vielen Menschen ihrer Generation ginge das so. Ihr Vater wurde 1944 in Theresienstadt ermordet. Auch die Mutter starb während des Krieges. Sie habe heute noch Freunde in der Stadt, sagt sie, aber das seien neue Freunde.

An ihre Kindheit habe sie kaum Erinnerungen. Wenn sie auf die Gebäude angesprochen werde, die ihr berühmter Vater gebaut habe, könne sie dazu nicht viel sagen. „Ich war ein Kind.“ Sie habe den Hausarchitekten der jüdischen Gemeinde Berlins nur als „Vati“ gekannt. Als Erwachsene habe sie seine Arbeit selbstverständlich kennengelernt. Doch das habe wenig mit ihrem Leben zu tun.

Als 18-Jährige ging Beate Hammett ins damals unendlich weit entfernte Sydney. Dort wohnten Familienangehörige. Nach Deutschland wollte sie nicht zurück, so kurz nach dem Krieg. Heute sei Australien ihre „erste Heimat“ und Deutschland die „zweite“, eher unbekannte.

Bereits am Freitag ist sie in Berlin angekommen. Der lange Flug aus Australien sei zwar anstrengend gewesen. Aber es sei ihr sehr wichtig, hier zu sein. Ihr erster Besuch ist es nicht, schon in den 90er Jahren kam sie nach Deutschland. Das Flugticket hat sie nun von Verwandten bekommen – als Geburtstagsgeschenk zum 90ten. Nachdem ein Freund im Radio von dem Wiederaufbau-Projekt gehört hatte, schrieb Beate Hammett einen Brief an Raed Saleh. „Handschriftlich“, betont sie, und auf Deutsch. Die Sprache hat sie nie verlernt. Saleh ist seit Februar Vorsitzender des Kuratoriums, das den Wiederaufbau vorantreibt. Als der Kontakt hergestellt war, wollte sich Hammett auch vor Ort ein Bild machen.

„Ich mag die Baupläne“, sagt sie. Sie würden an den Vorgängerbau erinnern, seien aber auch modern. In der Pogromnacht 1938 plünderten die Nazis das Gotteshaus. Später wurde es durch Fliegerbomben beschädigt. Die Ruine wurde 1958 abgerissen. Heute nutzt die orthodoxe Gemeinde einen Anbau, die ehemalige Jugendsynagoge, für Gottesdienste.

Raed Saleh möchte, dass der Neubau „eine Mahnung“ wird. Den „alten und neuen Nazis“ möchte er sagen: „Wir bauen wieder auf, was ihr zerstört habt.“ Das Judentum sei heute „Teil unserer Leitkultur“. Beate Hammett stehe für eine ganze Generation von Menschen, die als Kinder im Nationalsozialismus gelitten hätten. Das dürfe sich nie wiederholen.

An AfD-Politiker gerichtet, die die NS-Geschichte verharmlosten, sagt der Politiker: „Habt Respekt vor den Menschen, die gelitten haben.“ Geduldig lässt sich Beate Hammett von den Fotografen ablichten. Dann fällt ihr eine Straße ein, in der sie als Kind gespielt hat. Aber wo die war, kann ihr zunächst niemand beantworten. Denn die heißt heute anders.

Beate Hammett trauert ihrer verlorenen Kindheit nicht nach, sagt sie. Dafür sei sie viel zu sehr beschäftigt mit der Gegenwart. Der Aufstieg rechter Parteien beunruhige sie, nicht nur in Europa, sondern in vielen Ländern der Welt. „Das haben wir auch in Australien.“ Deshalb sei der Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer gerade jetzt so wichtig.

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