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Willkommen im Magnetresonanztomografen. Unser Autor ist kurz davor, in die Röhre zu gucken.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Besuch beim Kardiologen: Eine Herzensangelegenheit

Der Hightech-Arbeitsplatz von Kardiologen erinnert an ein Raumschiff. Unser Autor hat den Selbstversuch gemacht – und sich komplett durchchecken lassen.

Die Kardiologie ist eine der am stärksten technisierten ärztlichen Fachrichtungen. Medizintechnikproduzenten machen jährlich Milliardenumsätze mit Herzkatheter-Laboren, EKG-Schreibern, Ultraschallgeräten, Lungenfunktionstestern, Magnetresonanztomografen oder Blutdruckmessgeräten. Doch was kann man damit eigentlich messen, wie fühlt es sich an, gemessen zu werden und was verraten die Messreihen über unser Innerstes? Der Reporter macht den Selbstversuch, einen maschinenbasierten Check in der Kardiologie des Sana Klinikums Lichtenberg.

Das Aufklärungsgespräch vor dem Messmarathon verläuft betont sachlich. Denn all das ist ja kein Spaß, sondern medizinische Diagnostik. Und die könnte auch Ergebnisse liefern, die man eigentlich nicht will. „Wie also wollen wir damit umgehen, wenn es negative Befunde gibt“, fragt Olaf Göing, Direktor der Klinik für Innere Medizin II mit dem Schwerpunkt Kardiologie am Sana Klinikum. Als Chefarzt wird er den gesamten Messmarathon überwachen. Über die Antwort auf die erste Frage schweige ich an dieser Stelle. Die spielt für den Selbsttest auch keine Rolle...

Wir diskutieren dann, welche Untersuchungen zum Einsatz kommen sollen. Denn die Kardiologie hat nicht-invasive Diagnosemethoden im Angebot und invasive, also solche, bei denen Schnitte oder Einstiche nötig sind, bei denen Katheter in die Gefäße eingeführt werden und Kontrastmittel für Röntgenaufnahmen gespritzt werden müssen. Wir entscheiden uns, nur die nicht-invasiven Methoden anzuwenden, eben jene, die auch bei regulären Vorsorgeuntersuchungen zum Einsatz kommen würden, also Ultraschall, MRT, EKG, Herz-Kreislauf-Messungen und Lungenfunktionsprüfung. Untersuchungen mit einem Herzkatheter oder dem Computertomografen sind ohne konkreten Verdacht tabu.

Das Ultraschallgel ist angewärmt, der Gänsehautmoment bleibt aus

Den Anfang macht das Echo. Dafür benötigt man offenbar viel Ruhe und wenig Licht. Die Ultraschall-Räume im Untergeschoss sind abgedunkelt, das Personal flüstert. Neben einer Liege steht das Ultraschallgerät, Bedienknöpfe und Display blinken unternehmenslustig. Ich mache, wie man mir geheißen hat, den Oberkörper frei, lege mich auf die Untersuchungsliege. „Bitte den linken Arm unter den Kopf legen, leicht auf die linke Seite drehen, nicht zu weit“, sagt Adrian Constantin Borges, Kardiologe und Spezialist für Ultraschalluntersuchungen des Herzens.

Bequem liegt man so nicht. Doch der Arzt muss den Ultraschallkopf unterhalb der Achsel an den Brustkorb drücken können. Von dort dringen die Wellen zum Herzen vor, werden teils reflektiert und machen dessen Bewegungen sichtbar. Das Gel sei bei diesem Modell vorgewärmt, sagt Borges mit einem gewissen Stolz, dass man nicht das billigste Gerät am Markt, sondern ein Spitzenmodell angeschafft hat. Der typische Gänsehautmoment, wenn der Arzt das kalte Gel sprotzend aus der Tube quetscht, bleibt tatsächlich aus. Das farblose Gel verhindert, dass Luft zwischen Ultraschallkopf und Haut gerät und das Bild verfälscht.

Und dann zeigt sich mein schlagendes Herz auf dem Bildschirm, sogar die Herzkammern. Besonders gut sind die Herzklappen sichtbar, die auf- und zuschwingen. Sie wirken im Ultraschallbild seltsam zerfleddert, wie Stofffetzen, die in einem Flussbett hängengeblieben sind. Alles ganz normal, beruhigt Borges. Denn das, was da auf dem Bildschirm zu sehen ist, ist kein scharfes Foto, sondern pixelig zusammengesetzt aus tausenden Echos von Ultraschallwellen. Deshalb bedarf es auch viel Erfahrung, bevor ein Arzt die Aufnahmen interpretieren und eventuelle Herzerkrankungen sicher diagnostizieren kann. Mit Übung lässt sich etwa erkennen, wenn die Wände der Herzkammern verdickt sind, was ein Zeichen für verengte Herzklappen sein könnte. Denn der Muskel wird dann stärker, weil er gegen mehr Widerstand der Klappen anpumpen muss.

Chefarzt Olaf Göing
Chefarzt Olaf Göing

© Kitty Kleist-Heinrich

Borges wechselt das Bild. Nun gesellen sich zu dem nebligen Schwarz-Weiß des Ultraschalls zwei knackige Farben hinzu: rot und blau. Der Arzt hat das Doppler-Echo zugeschaltet. Das basiert auf einem Prinzip, das schon jeder mal gehört hat. Wenn ein Krankenwagen schnell vorbeifährt, ändert sich die Tonhöhe des Martinshorns. Diesen Effekt, den der österreichische Physiker Christian Doppler 1842 beschrieben hat, macht sich die Medizintechnik zunutze: Treffen die Ultraschallwellen auf die roten Blutkörperchen in Arterien und Venen, werden sie reflektiert. Da die Blutkörperchen in Bewegung sind, kommen die Wellen je nach Richtung und Geschwindigkeit verändert zurück.

So machte das Ultraschallgerät nicht nur Strukturen und Bewegung des Herzens sichtbar, sondern auch die Fließrichtung und -geschwindigkeit des Blutes. Beides sagt viel über den Zustand der Venen und Arterien aus: Fließt es an einer Stelle schneller oder ändert sich die Fließrichtung, kann das auf eine gefährliche Verengung durch Ablagerungen hindeuten. Mit dem Farb-Doppler werden auch Lage und Art der Ablagerung – Plaque – im Gefäß sichtbar. Ebenso zeigen sich Aussackungen der Gefäße (Aneurysmen).

Irgendwann räuspert sich Borges kurz, schaut genauer hin. Ist da was? Er hat in diesem Augenblick meine ganze besorgte Aufmerksamkeit, wie sie mit einem Räuspern alle Ärzte bei allen Patienten der Welt erzeugen können. Aber dann ist alles okay. „Normale systolische Funktion“, die Pumpfunktion ist also unauffällig. Manchmal ist es beruhigend, normal zu sein.

Nächste Station: Ein Magnetresonanztomograf (MRT) braucht kein Dämmerlicht. Im hell ausgeleuchteten Untersuchungsraum protzt der Fünf-Tonnen-Koloss mit seiner Anwesenheit. Der Eingang zur Röhre ist ringförmig, beruhigend orange beleuchtet, und das hat seinen Grund. Denn die Röhre, in die der Patient teilweise oder ganz hineingeschoben wird, ist für manche eine beunruhigende Erfahrung.

Das MRT ist für Menschen, die unter Platzangst leiden, eine Tortur

Die MTA, die medizinisch-technische Assistentin, setzt mir Kopfhörer auf, um die starken Geräusche, die das MRT machen wird, abzumildern. Außerdem bekomme ich Atemanweisungen. Zum Schluss drückt die MTA mir einen Knopf in die Hand. „Für den Notfall.“ Tatsächlich ist eine Kernspintomografie, wie die MRT-Untersuchung genannt wird, für Menschen, die unter Platzangst leiden, eine Tortur. Die Röhre hat einen Durchmesser von 70 Zentimetern. Das kann Angst machen, woran auch das freundliche Orange der Röhrenoberfläche nicht viel ändert. Zumal dazu noch die heftigen Arbeitsgeräusche der MRT-Magneten kommen, die trotz Kopfhörer deutlich hörbar sind. Zum Glück leide ich nicht unter Platzangst. Ich schließe die Augen, denn die sehr nahe am Gesicht befindliche Röhrenwand ist schon etwas befremdlich. Die Untersuchung beginnt, es rattert und knallt um mich herum. Immer wieder kommen Ansagen der Schwester über die Kopfhörer: „Einatmen, ausatmen, stopp!“ Luft anhalten. Beruhigende Stimme und gutes Timing, die Frau hat es wirklich drauf.

Die wichtigsten Bauteile im Kernspintomografen sind zwei Elektrospulen und ein Radiosender. Die Spulen erzeugen ein starkes magnetisches Feld, das die Atomkerne des Körpers in eine bestimmte Richtung dreht. Dadurch erst können sie durch Radiowellen angeregt und in Schwingung (Resonanz) gebracht werden. Wird der Radiosender abgeschaltet, kehren die Atomkerne wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Dabei senden sie je nach Gewebezusammensetzung (Blut, Fett, Muskel, Wasser und vieles mehr) individuelle Signale aus, die per Computer zu hunderten Schnittbildern zusammengesetzt werden. Für den Menschen selbst sei das Magnetfeld harmlos, sagt Christopher Nauck, leitender Oberarzt der Radiologie des Klinikums und MRT-Fachmann.

Später sitze ich mit den Ärzten am Bildschirm, auf dem das Video meiner Untersuchung läuft. Schnitt für Schnitt meines Körpers wird sichtbar. Dem eigenen Herzen beim Pumpen zuzusehen, ist faszinierend. Die Bilder meiner anderen inneren Organe im Oberkörper zu sehen, auch. Aber was sagt es aus, Herr Nauck? „Nicht hypertrophierter linker Ventrikel“ – meine linke Herzkammer ist also nicht vergrößert. Ein guter Befund, denn wenn der Muskel der linken Herzkammer vergrößert ist, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass das Herz die Pumpleistung in den Körper erhöhen musste, etwa wegen eines Defektes der Aortenklappe. „Normale LV-Funktion.“ Auch das beruhigt, denn es bedeutet, dass die linke Herzkammer normal arbeitet. Und schließlich „in Ruhe keine regionalen Wandbewegungsstörungen.“ Das ist klasse! Der gesamte Herzmuskel arbeitet – zumindest in Ruhe, ein Belastungs-MRT haben wir ja nicht gemacht – an allen Stellen normal.

Es soll ein Ruhe-EGK sein, ich darf also entspannen

Na, dann schauen wir doch mal, wie sich die Herzaktivitäten in den Kurven der diversen Messgeräte darstellen. Der Pumpmechanismus wird mit elektrischen Impulsen gesteuert. „Die kommen vom Sinusknoten, laufen über Erregungsleitungen über das Herz und führen dazu, dass sich verschiedene Teile des Hohlmuskels anspannen und wieder entspannen“, sagt Chefkardiologe Olaf Göing. So wird das Blut in die Adern gepresst oder angesaugt. Diese Impulse sind mithilfe von Elektroden auf der Haut messbar. Und sie werden auch gemessen, denn dieses Elektrokardiogramm (EKG) gehört zur Standardausstattung eines jeden Kardiologen.

Bei mir soll ein 12-Kanal-Ruhe-EKG abgenommen werden, das übliche Verfahren. Wieder heißt es Oberkörper freimachen – und etwas überraschend: auch Hosenbeine hochziehen und Socken hinunterstreifen. Ich ruhe entspannt auf einer Untersuchungsliege, die MTA klebt zehn Elektroden auf die Messpunkte: sechs auf die Brust, je zwei auf Hand- und Fußgelenke. „Zehn Sensoren für zwölf Kanäle?“, frage ich, um dem Ruf, Journalisten könnten nicht rechnen, zu entgehen. „Stimmt aber“, lautet die trockene Antwort. Denn den Stromfluss misst man immer mit zwei Elektroden, das lernt man schon in der Schule. Die zehn Elektroden werden während der Messung unterschiedlich verschaltet, sodass sie zwölf verschiedene Ableitungen, also Messungen, liefern. Wie gesagt, es soll ein Ruhe-EKG sein, ich darf also entspannen.

Und das bleibe ich auch, als ich den Befund bekomme. Denn bei meinem Herzen zeigt das EKG, dass alles normal läuft: Ruhige, gleichmäßige Elektroimpulse. 60 mal pro Minute. Ich war offenbar tiefenentspannt, denn das ist schon nahe dran an einer Bradykardie, also fast zu langsam. Normal sind im Ruhezustand zwischen 60 und 80 Schläge pro Minute. Da ich mich aber gesund fühle, ist diese niedrige Frequenz ein gutes Zeichen: Meine Pumpe ist vom regelmäßigen Kardiosport tatsächlich trainiert.

Der Kardiologe kann nicht nur die Impulse des Herzschlages auswerten, er kann auch messen, mit welcher Geschwindigkeit sich das Blut nach jedem Schlag durch die Arterien bewegt. Der Mediziner nennt das Pulswellengeschwindigkeit. Sie wird in Metern pro Sekunde protokolliert. Und wozu ist das gut? Zum Bestimmen der Gefäßsteifigkeit, wie es Mediziner nennen. Die Gefäße sind nämlich kein starres Röhrensystem, sondern haben elastische Wände, um den Druckanstieg bei jedem Pumpschlag verteilen zu können. Doch im Laufe der Lebensjahre werden die Gefäßwände immer unnachgiebiger, und das besonders schnell, wenn Ablagerungen infolge einer ungesunde Lebensweise die Gefäße schädigen. Je höher die Pulswellengeschwindigkeit, desto unflexibler sind die Arterien. „Die Wellenspitzen rasen dann immer schneller durch die Äderchen“, sagt Göing. So können sich etwa Gerinnsel aus Ablagerungen leichter ablösen, die letztlich zu Infarkten führen.

Gemessen wird die Pulswellengeschwindigkeit mit einer normal aussehenden Blutdruckmanschette, die mir die MTA über den linken Oberarm streift. Der Messzyklus an sich fühlt sich nur etwas anders an. Die Manschette bläst sich selbst zwar wie gewohnt so lange auf, bis man das Gefühl hat, der Arm ist von der Blutversorgung komplett abgeschnitten. Doch das dann folgende langsame Ablassen der Luft – bis Blut und Puls in den Arm zurückkehren – verläuft diesmal anders. Immer wieder wird die Reduzierung des Druckes auf die Gefäße unterbrochen.

[In Kooperation mit dem Herzzentrum Bernau überträgt der Tagesspiegel am 30 . November ab 10 Uhr Herz-Operationen per Livestream, und zwar einen Herzklappenersatz und eine sogenannte Ablation zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Anlass ist der Tag des Herzzentrums unter dem Motto „Belastung oder Überlastung? Was kranke Herzen wieder leisten können“. Besucher können auch direkt ins Paulus-Praetorius- Gymnasium Bernau fahren, dort stehen neben den Live-OP[In Kooperation mit dem Herzzentrum Bernau überträgt der Tagesspiegel am 30 . November ab 10 Uhr Herz-Operationen per Livestream, und zwar einen Herzklappenersatz und eine sogenannte Ablation zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Anlass ist der Tag des Herzzentrums unter dem Motto „Belastung oder Überlastung? Was kranke Herzen wieder leisten können“. Besucher können auch direkt ins Paulus-Praetorius- Gymnasium Bernau fahren, dort stehen neben den Live-OPs weitere Vorträge und Einführungen auf dem Programm. Der Livestream ist auf www.tagesspiegel.de/gesundheit zu sehen und auf der Webseite des Herzzentrums unter www.bernau.immanuel.de]

Ergebnis: Die Pulswelle rollt mit durchschnittlich 6,8 Metern pro Sekunde durch meinen Körper. Schaute man mir in die Gefäße statt ins Gesicht, könnte man tatsächlich ohne Schmeichelei sagen: Sie sehen aber jünger aus. Denn zwischen meinem biologischen Alter und dem Abnutzungsgrad meiner Gefäße liegen fünf Jahre: Ich bin 53, meine Gefäße sind aber in Form wie bei einem 47-Jährigen.

Schließlich wagen wir noch einen Blick auf meine Lungenfunktion. Die Spirometrie klärt, ob die Atemnot eines Patienten Hinweis auf eine Lungenerkrankung wie COPD ist oder ob dahinter ein Problem mit dem Herzen steckt. Denn die Verengung der Aortenklappe macht sich auch durch Luftnot bei körperlicher Anstrengung bemerkbar, weil das Herz durch die Verengung nicht mehr ausreichend sauerstoffreiches Blut in den Körper pumpen kann.

Ich setze mich in eine Kabine, die Fachschwester setzt mir eine Klemme auf die Nase, die mich zwingt, nur durch den Mund zu atmen. Und den schließe ich um ein Mundstück. Auf Befehl der MTA blase ich alle Luft, die in meiner Lunge steckt, hinaus – so kräftig, wie ich kann. Zwischendurch kommt eine Anmerkung , die zu hören Spaß macht: „Machen Sie Leistungssport?“ Mach’ ich natürlich nicht, bin aber regelmäßig auf Kardiotrainingsgeräten zu Gange – und das lohnt sich offensichtlich. Schon 20 Minuten intensivere Anstrengung täglich seien gut fürs Herz, sagen die Experten. Das schaffe ich, und das zahlt sich auch in den Kurven aus. Was kann motivierender sein, als Ergebnisse seines Rackerns zu sehen und zu hören? Man sieht eine Verbesserung der Resultate, also macht man weiter. Denn ich habe es ja schwarz auf weiß und in bunt, in vielen Befunden, Grafiken und Messkurven: Sport hält Herz und Gefäße jung.

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