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Eine Demonstration richtete sich im April gegen den immer knapper werdenden Wohnraum und die stetig steigenden Mieten in Berlin.

© imago images / Müller-Stauffenberg

Bestand an Sozialwohnungen schrumpft: Verbände fordern Millardeninvestitionen für bezahlbares Wohnen in Berlin

Ein unübliches Bündnis aus Mietervertretern, Bauwirtschaft, Gewerkschaft und Caritas schlägt Alarm: Wohnen wird unbezahlbar und fast nichts passiert.

Ein unabhängiges Bündnis von Verbänden unter Beteiligung von Mieterbund, Bauwirtschaft und Caritas fordert angesichts der Wohnungsnot besonders in Ballungsgebieten wie Berlin einen milliardenschweren „Akutplan für soziales und bezahlbares Wohnen“. Ein großer Teil der Menschen mit durchschnittlichen Einkommen könnte es sich wegen der hohen Mieten nicht mehr leisten, in Großstädten zu wohnen. Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) habe das Wohnen zwar zur „sozialen Frage unserer Zeit“ erklärt. Doch trotz der Bekenntnisse schrumpfe das Angebot an Sozial- und günstigen Mietwohnungen unverändert.

Berlin ist besonders hart von der Entwicklung betroffen: Allein in den vergangenen zwei Jahren gingen in der Hauptstadt mehr als 45.000 Sozialwohnungen verloren – das Angebot dieser günstigen Wohnungen schrumpfte um fast ein Drittel von mehr als 152.000 auf 116.000. Und obwohl die Bundesregierung für den Neubau von Sozialwohnungen mehr als 1,5 Milliarden Euro im Jahr an die Bundesländer überweist, gelingt es der Berliner Verwaltung nicht einmal, alle geförderten Mietwohnungen mit Sozialbindungen zu versehen. Nach der am Montag vorgestellten Studie des Pestel-Instituts förderte Berlin knapp 22.000 Wohnungen in den Jahren 2016 bis 2018, aber trotzdem kamen fast 13.000 davon „ohne Sozialbindung“ auf den Markt.

Tatsächlich handelt es sich bei den Wohnungen „ohne Sozialbindung“ um privat finanzierte Objekte, die in gemischt genutzten Miethäusern zusammen mit den günstigen sozialen Mietwohnungen entstanden sind, hieß es auf Rückfrage aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Wie die falsche Zahl in die Bundesdrucksache gelangte, die das Pestel-Institut zur Grundlage nahm, ist unklar. So oder so: Für Berliner Mieter ist das eine noch schlechtere Nachricht, weil in den vergangenen zwei Jahren gerade mal 6500 Sozialwohnungen entstanden sind, deren Miete das Land subventioniert.

Als „Sozialwohnungslotterie“ beschrieb Matthias Günther die Folgen des Mangels an bezahlbarem Wohnraum. Gab es in Deutschland noch eine Wohnung für vier Haushalte in den 1980er Jahren, kämpfen heute 19 Haushalte um eine subventionierte Mietwohnung. In Berlin hat jeder zweite Bewohner ein so geringes Einkommen, dass er Anspruch auf eine Sozialwohnung hat – diesen mehr als eine Million Berlinern stehen nur 116.000 Sozialwohnungen gegenüber. Günthers Fazit: „Das Angebot reicht nicht mal aus, um die unmittelbar Bedürftigen zu versorgen.“

Die Wohnungsnot hat die Mittelschicht erreicht

Seitdem sich das Bündnis im Jahr 2015 zusammenfand, hat sich die Lage weiter verschärft. Lukas Siebenkotten vom Mieterbund forderte deshalb: „Wir brauchen 80.000 Sozialwohnungen zusätzlich im Jahr plus 60.000 geförderte Wohnungen für mittlere Einkommen, das kostet 4,8 Milliarden Euro.“ Zumal die Wohnungsnot die Mittelschicht erreicht hat und sich nun auch viele Arbeitnehmer, die keine Transferleistungen erhalten, die Mieten in den Ballungsgebieten nicht mehr leisten können.

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Schuld an der Misere sind nach übereinstimmender Meinung der Beteiligten besonders die hohen Bodenpreise. In Regionen, wo Bauland für 200 Euro je Quadratmeter zu haben ist, kämen neu gebaute Wohnungen privater Investoren für acht Euro je Quadratmeter auf den Markt, berichten die Forscher des Pestel-Instituts. In Berlin liegen die Bodenpreise um ein Vielfaches höher und somit auch die Mieten und Kaufpreise. Deshalb seien in Berlin und anderen Regionen mit hohen Baulandpreisen „die Kommunen in der Pflicht, Bauland für bezahlbaren Wohnraum zu bezahlbaren Preisen bereitzustellen“.

Zuschüsse und Subventionen reichen nicht aus

Mit Kopfschütteln reagierten Mietervertreter und Forscher auf die Frage, ob der Ausbau von Dachgeschossen ein Ausweg aus der Krise biete: „Wir werden mit Aufstockungen nicht die Wohnungsprobleme lösen“, sagte Günther. Dies könne allenfalls „ein Baustein“ sein. Dass heute, anders als in den 1990er Jahren, vor allem Wohnungen zu Spitzenmieten im Neubau entstehen, habe mit „der langfristigen Sicherheit“ bei der Vermietung zu tun. Es mehrten sich aber die Anzeichen, dass hier eine Sättigung erreicht sei.

Dass die enorme Nachfrage nach bezahlbaren Mietwohnungen nicht bedient werde, sei auch auf die hohen Preise zurückzuführen: Seit dem Jahr 2011 stiegen die „Errichtungskosten von Wohnungen um rund 25 Prozent – mehr als doppelt so schnell wie die Verbraucherpreise (plus 9,5 Prozent). Und die Baulandpreise? Sie explodierten: um plus 96 Prozent.

Gemessen an der Härte, mit der der „Mietenwahnsinn“ Berlin trifft, sind auch die Anstrengungen des Senats zur Bekämpfung desselben durch den Einsatz landeseigener Mittel eher durchschnittlich. In den vergangenen zwei Jahren setzte Berlin knapp 56 Millionen Euro an „Zuschüssen und Zinssubventionen“ ein – und bekam vom Bund fast zweimal mehr Geld überwiesen für den Bau von Sozialwohnungen (89,5 Millionen Euro). Hamburg kämpft viel entschiedener gegen die Wohnungsnot an: Der Stadtstaat legte dreimal so viel Geld obendrauf (185 Millionen Euro).

Politik will den Neubau stärker vorantreiben

Der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen zufolge müsse man die Gesamtsumme der bewilligten Gelder von Bund und Land miteinander vergleichen und nicht „Zuschüsse und Zinssubventionen“. Berlin habe im vergangenen Jahr rund 177 Millionen Euro an Landesmitteln eingesetzt, erhalte vom Bund zudem jährlich 89,4 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr habe Berlin so insgesamt 266,7 Millionen Euro in den sozialen Wohnungsbau investiert.

Die Verwaltung will die seit Jahren schrumpfende Zahl der in Berlin verfügbaren Sozialwohnungen durch Neubau wieder anheben. „Die aus den Bindungen fallenden Wohnungen sollen künftig mit dem Neubau kompensiert werden“. Ende des Jahres rechnet die Verwaltung mit einem geringfügigen Anstieg von 101.803 auf 103.300 Sozialwohnungen. Auch künftig solle der Neubau von Sozialwohnungen „jährlich weiter gesteigert werden, bis die Zielmarke von 5000 geförderten Wohnungen im Jahr erreicht ist“.

Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, forderte eine Erhöhung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau „auf zwei Milliarden Euro pro Jahr statt diese wie geplant zu senken“. Außerdem forderte sie den massiven Neubau günstiger Wohnungen und dafür eine „Neue Wohngemeinnützigkeit“.

In Berlin entstanden laut Amt für Statistik im vergangenen Jahr nur 16.700 Wohnungen, viel zu wenige, denn die Stadt wuchs um mehr als 24.000 Haushalte, und es fehlen bereits mehr als 130.000 Wohnungen, wie der Senat zugibt.

Berlins CDU-Fraktion lud heute unterschiedliche Vertreter der Berliner Wohnungspolitik zu einem „Runden Tisch Mieten und Wohnen“ ein.

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