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Gustav Zwilling verteilt als Weihnachtsmann Schokolade und jettet an Heiligabend von Familie zu Familie.

© Thilo Rückeis

„Bescherung an der Fleischtheke“: Ein Tag als Weihnachtsmann im Lichtenberger Discounter

Gustav Zwilling arbeitet seit acht Jahren als Weihnachtsmann. Auch Supermärkte buchen ihn. Ein Tag in einem Lichtenberger Discounter.

Der Weihnachtsmann weiß nicht nur alles. Er kann auch überall sein, manchmal sogar an mehreren Orten gleichzeitig. Er weiß, was die Kinder im Laufe des Jahres getan haben und ob sie schön artig waren. Dementsprechend belohnt er mit einem Geschenk einer angemessenen Preiskategorie.

Nicht nur an Weihnachten ist er schwer beschäftigt. An diesem Freitagmittag beispielsweise sitzt der Weihnachtsmann in einer Filiale einer großen Discounterkette in Berlin-Hohenschönhausen auf einer Bank. Neben ihm steht ein Aufsteller mit Angeboten für Pauschalreisen.

„Hohoho“ stößt es hinter dem langen Bart hervor, als eine Frau mit Kind durch die automatische Tür des Supermarkts kommt. „Warst du denn auch schön artig?“, fragt der Weihnachtsmann mit tiefer, ruhiger Stimme die kleine Ariadne, sechs Jahre alt. Ariadne antwortet nicht, sondern versteckt sich hinter ihrer Mutter.

Der Weihnachtsmann zieht ein buntes Säckchen mit kleinen, verpackten Schokobällchen hervor und lässt ihn vor den Augen des Kindes hin und her baumeln. „Ich kann leider keine Schokolade essen“, ruft Ariadne. „Wir leben vegan.“ Die Mutter zeigt sich peinlich berührt und reißt dem Weihnachtsmann die Schokobällchen aus der Hand. „Heute machen wir eine Ausnahme.“

Weihnachtsmann Gustav bei seinem Job im Rewemarkt in Berlin-Hohenschönhausen.
Weihnachtsmann Gustav bei seinem Job im Rewemarkt in Berlin-Hohenschönhausen.

© Thilo Rückeis

Die Filialleitung hat den Weihnachtsmann beauftragt, außer den Schokokugeln noch kleine Päckchen zu verteilen, gefüllt mit einer Orange und einem Schokoladen-Weihnachtsmann. Kinder der Kunden hatten die leeren Kartons zuvor im Supermarkt abgeholt, zu Hause bemalt und, mit Vor- und Zunamen versehen, zurückgebracht.

Rund hundert Päckchen liegen bereit

Eine Mutter in Jogginghose stürmt in den Supermarkt, verliert einen Lockenwickler. Sie muss gleich sechs Päckchen abholen. „Patchwork“, sagt sie außer Atem, ohne dass der Weihnachtsmann danach gefragt hatte. Rund hundert solcher Päckchen warten in mobilen Regalen auf ihre Abholung.

Die von den sechs Kindern der Patchworkfamilie sind zunächst nicht zu finden, Weihnachtsmann und Mutter suchen gemeinsam. „Oh, da ist dem Weihnachtsmann wohl ein Fehler unterlaufen“, raunt es aus dem weißen Bart. „Vielleicht haben sich die Wichtel etwas im Alphabet vertan.“ Gemeint sind die Supermarkt-Praktikanten, deren Aufgabe es war, die Päckchen nach Nachnamen zu sortieren. „Heureka“, ruft die sechsfache Mutter plötzlich. Wie einen Goldschatz reckt sie sechs Päckchen in die Höhe und rennt damit aus dem Supermarkt.

Kurze Pause zwischendurch. Zwilling hat gerade seinen Master in Luft- und Raumfahrttechnik abgeschlossen.
Kurze Pause zwischendurch. Zwilling hat gerade seinen Master in Luft- und Raumfahrttechnik abgeschlossen.

© Thilo Rückeis

Der Weihnachtsmann macht nun eine kurze Pause. Im Aufenthaltsraum für Mitarbeiter des Supermarkts nimmt er den Bart ab und gießt sich einen Kaffee ein. Gustav Zwilling kommt zum Vorschein, 29 Jahre alt. Er hat gerade seinen Master in Luft- und Raumfahrttechnik an der Freien Universität Berlin abgeschlossen, sein Berufsziel ist Flugzeugbauer.

Weihnachtsmann war eigentlich sein Studentenjob

Das Studium hat er unter anderem mit dem Job als Weihnachtsmann finanziert, den er jetzt im achten Jahr macht. Für den heutigen Ganztagsauftrag bekommt er 300 Euro. Ansonsten nimmt er für Auftritte bei Familienfeiern zwischen 60 und 80 Euro. Jedes Jahr beglückt er zahlreiche Stammkunden.

Zwilling ist ein erfahrener Weihnachtsmann und gibt Workshops bei „Weihnachtsmann2Go“, einer App, die Studierenden Jobs als Weihnachtsmänner vermittelt. Doch zunächst müssen diese investieren: In einen roten Mantel, einen Bart, eine goldene Brille und schwarze Stiefel. Der Weihnachtsmann trägt keine Turnschuhe. Die Betreiber der App vermieten eine Ausrüstung bei Anfrage. Zwilling hat seinen Mantel maßschneidern lassen.

Er trinkt den Kaffee in einem letzten, langen Schluck aus, klebt seinen Bart zurück ins Gesicht und setzt sich wieder auf die kleine Bank neben den Angeboten für Pauschalreisen. Virginia, zehn Jahre alt, und Ashley, acht Jahre, holen ihre Päckchen ab und wollen Fotos mit dem Weihnachtsmann machen.

Sie sitzen nicht auf seinem Schoß, wie man es aus Filmen kennt. Das sei nicht mehr en vogue, sagt Zwilling, und werde nur gemacht, wenn es explizit gewünscht ist. Die Kinder stehen nun Schlange bei ihm. Die zehnjährige Chayenne holt sich wortlos ihr Päckchen, reißt die Schokolade raus und wirft Orange und Verpackung in den Müll.

Chem, 13 Jahre alt, erzählt, er wisse schon, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt. Er wünscht sich bestimmte „Ballerspiele“ zu Heiligabend. „Aber die kennen Sie eh nicht“, sagt er zu Zwilling, obwohl man den Weihnachtsmann eigentlich duzen darf - aber nur, solange man an ihn glaubt.

Schokolade? Bescherung an der Fleischtheke!

Jonas, Sohn eines BVG-Mitarbeiters, kann fehlerfrei „Advent, Advent, ein Lichtlein brennt“ aufsagen. Sein Vater lehnt die Schokoladentaler, die ihm der Weihnachtsmann anbietet, dankend ab. „Wir machen gleich Bescherung an der Fleischtheke“, sagt er und lacht laut. „Schön Buletten.“ Dara, zehn Jahre, steht lange vor Zwilling. „Du bist nicht echt“, sagt sie und zieht am Bart – der Klassiker. „Au, das tut weh“, sagt Zwilling. Beide fangen an zu lachen.

Der Weihnachtsmann an der Fleischtheke – Gustav Zwilling ist allerdings Vegetarier.
Der Weihnachtsmann an der Fleischtheke – Gustav Zwilling ist allerdings Vegetarier.

© Thilo Rückeis

Neben Auftritten auf Firmenfeiern lebt das Weihnachtsmanngeschäft hauptsächlich von Familienbuchungen. An den Weihnachtstagen muss Zwilling die Routen genau planen, um rechtzeitig überall sein zu können. Acht Familieneinheiten pro Tag sind es im Schnitt an den Feiertagen. Manchmal, erzählt er, muss er dort erstmal für Ruhe sorgen. Dazu hat er schon den ein oder anderen Fernseher eigenhändig ausgestellt. „Es ist Aufgabe des Weihnachtsmanns, für eine besinnliche Stimmung zu sorgen.“

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Einige Eltern würden von ihm verlangen, die Kinder zu tadeln oder zu bestrafen – mancher Vater wollte Zwilling schon eine Rute in die Hand drücken. Doch der Weihnachtsmann, zumindest dieser, bestraft nicht. Er erzieht auch nicht. Und schon gar nicht nimmt er die Schnuller der Kinder mit. Obwohl ihn viele Eltern darum bitten. „Der Weihnachtsmann muss positiv besetzt sein“, sagt Zwilling, als würde er aus einem Lehrbuch zitieren.

Wenn Zwillings Arbeit am Heiligen Abend gegen 22 Uhr erledigt ist, geht er zu seinen Eltern nach Schöneberg. Eigene Kinder hat er noch nicht. Aber wenn es mal soweit ist, will er auf jeden Fall einen Weihnachtsmann anheuern. An diesem Tag hat Zwilling schon um 17 Uhr Feierabend. Und wenn er schon mal in einem Supermarkt ist, sagt er, geht er schnell noch einkaufen. In Weihnachtsmann-Montur schlappt er durch die Regalreihen. Die Fleischtheke mit ihren Buletten beachtet er nicht. Der Weihnachtsmann ist nämlich Vegetarier.

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