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Berlin: Bertram Pohl (Geb. 1950)

Klarer Kurs: Immer schön Zickzack

Eine Wunderwerkstatt, der Schreibwarenladen von Gerda und Bruno am Neuköllner Hermannplatz. Kunstbedarf, Kunstkarten, Füllfederhalter. Der Opa drehte die Füller an der Drechselbank noch selbst. Im Laden roch es nach Papier, nach Stiften, nach Schreibhandwerk. Im Keller, unter der Bodenklappe, da lagerten die Schätze, handgeschöpftes Briefpapier, Aquarellblöcke, Tinten von anno dazumal. Aber Bertram konnte nicht schreiben. Lesen ja, aber Schreiben lernte er nicht. Damit haderte er, lebenslang, aber das ließ er sich nicht anmerken.

Sport, das war sein Ding. Hockey, Radrennfahren, da hätte er ein richtig Guter werden können, wenn die Angst vor dem Startschuss nicht gewesen wäre. Und der Spaß am wilden Leben. Die siebziger Jahre waren eine große Party. „Ich will Gesang, will Spiel und Tanz, will dass man sich wie toll vergnügt.“ Jacques Brel gab die leiseren Töne vor, Emerson, Lake and Palmer stellten das ganz große Orchester. Dazwischen tönten Janis Joplin, Lou Reed, Jimi Hendrix. Musik und Rausch waren eins.

Er war ein Hippie in diesen Jahren, unterwegs in Europa, Silberschmuck basteln für die Touristen, von einem Surfbrettverleih in der Türkei träumen. Klarer Kurs: Immer schön Zickzack.

Er wäre nicht rausgekommen aus der Drogenszene, hätten seine Eltern ihn nicht wieder aufgenommen. Die waren nach Schwalenberg gezogen, ins Lipper Land, wo er dann auch hinfloh. Zur Freude der Alteingesessenen, die so einen noch nie gesehen hatten, Jeans mit Schlag, Ballonmütze, freche Sprüche in Serie, da rutschten die Ellbogen von der Fensterbank.

Der Paradiesvogel hockte sich freiwillig in den Käfig und schloss eine Lehre als Sargtischler ab. Bis die neue Freundin ihn wieder nach Berlin lotste. Von den vielen Joints ließ er fortan die Finger, aber er trank gern einen. Nebenher verdiente er gut Geld als Tischler und ließ es krachen.

Die freien Christen in der Fabriketage unter ihm probten sonntags früh ihr Halleluja, eine Melodie, die ihm gar nicht passte. Da schnitt er mit seinem Neffen Pornobilder aus, die legten sie in die Gesangbücher, und dann stellten sie ihre Boxen Richtung Treppenhaus und legten Jimi Hendrix auf.

Der Extraschub kam, als er Isabella kennenlernte. Da ging es auf Punktour. Die Friseurin und der Freak. Sie hatte ein Händchen fürs Styling und war selbst eine Pracht: lange Beine, hohe Absätze, Nietenarmband, Punklady mit badischem Dialekt. Sie blieben über 30 Jahre zusammen.

Das Leben noch immer eine Party: „Tragt mich ins Auto – ich fahr euch alle nach Hause!“ Aber irgendwann hatte der Spaß ein Ende. Er wurde Vater, obwohl er sich hatte sterilisieren lassen. „Einer ist wohl durchgerutscht“, stellte er ohne Bedauern fest. Er heiratete, aber das Sektfrühstück zog sich so in die Länge, dass sie zu spät zum Standesamt kamen.

Und dann ging es ab aufs Land. Der Süden war zu teuer, also landeten sie in der Müritzer Gegend, in einem kleinen Bauerndorf. Ein altes Büdnerhaus mit großem Garten. Er schaffte Schafe an, Hühner, zog Gemüse, schlug Holz im Wald und soff danach mit dem Förster.

Es war sein absoluter Traum – und auch wieder nicht. Er liebte das Ruhige, und er liebte das Wilde. Er hasste den Moloch Berlin, aber wenn er in die Stadt kam, führte der erste Gang in die Gourmetetage des KaDeWe, eine Portion Champagner und Krabbensalat ordern.

Und plötzlich das Todesurteil. Lungenkrebs, unheilbar. Er redete nicht drüber, kämpfte fast zwei Jahre. „Es ist ja so schön das Leben, und wenn es nur noch ein paar Wochen sind ...“ Kleine Träume. Noch mal ins Elsass, Wein trinken, die Störche auf den Dächern sehen, Käse essen. Der Tod, das war die ultimative Kränkung für ihn, aber da sollten andere nicht drunter leiden, das verbat er sich: „Ich will Gesang, will Spiel und Tanz, wenn man mich untern Rasen pflügt.“ Gregor Eisenhauer

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