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Von der Grundschulleiterin zur SPD-Senatorin innerhalb weniger Tage: Astrid-Sabine Busse.

© Annette Riedl/dpa

Berlins Schulen in der Omikron-Welle: Stell’ Dir vor, die Bildungssenatorin ist nicht mehr der Paria im Senat

Omikron verschärft die schlechte Lage der Berliner Schüler weiter. Das geht die gesamte Regierung an. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Vieth-Entus

Stell’ Dir vor, Du hast den schwersten Job der Stadt, und es herrscht Omikron. Stell’ Dir vor, Du bist für die Sicherheit von 600.000 Kindern und Jugendlichen an Kitas und Schulen zuständig, aber Amtsärzte und Eltern haben völlig konträre Vorstellungen vom Gesundheitsschutz. 

Stell’ Dir vor, Du hast das größte Budget im Senat und dennoch die verheerendsten Personalprobleme. Dann bist Du die Bildungssenatorin von Berlin.

100 Tage werden Politikerinnen und Politikern traditionell zugebilligt, um in ihre Ämter hineinzufinden. In dieser Zeit dürfen sie Fehler machen, ohne dass man sie gleich in Stücke reißt. Eigentlich. 

Berlins neue Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse ist noch nicht einmal 50 Tage im Amt, und schon lassen die ersten Scharfrichter ihre Schwerter blitzen. Manche Daumen sind bereits gesenkt, weil die Senatorin das Vokabular ihrer 40-jährigen Grundschultätigkeit nicht sofort abgelegt hat.

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Vor allem aber, weil sie nicht verhindern konnte, dass die Amtsärzte die Quarantäne für Kontaktpersonen an Schulen und Kitas aufhoben. Und als Reaktion darauf brachte Busse auch noch die andere Hälfte des Publikums gegen sich auf, als sie entgegen ihrer eigenen Überzeugung dem Druck im Senat nachgeben und die Präsenzpflicht an den Schulen aussetzen musste: Ihr Standing reichte noch nicht für die Durchsetzung des eigenen Wegs.

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Zum Dilemma fügt sich, dass es diese Woche ausgerechnet ein Berliner Schüler war, der eine Petition zur Abschaffung der Präsenzpflicht und für Luftfilter startete, obwohl Berlin inzwischen beides zu bieten hat. Aber er forderte außerdem einen „angemessenen Ausbau digitaler Lern- und Lehrmittel“. Da mindestens eine dieser drei Hauptforderungen in keinem Bundesland erfüllt ist, steuert seine Petition schon nach wenigen Tagen auf 100.000 Unterschriften zu.

Längst ging in der öffentlichen Wahrnehmung unter, dass der demokratisch gewählte Berliner Landesschülerausschuss den in der Petition erhobenen Vorwurf der „körperlichen Gefährdung“ ebenso wenig gutheißt wie die Aufhebung der Präsenzpflicht.

Nur Bremens Schüler sind noch höheren Risiken ausgesetzt

Denn anders als die beifallheischenden Empörungsprofis zwischen Social Media und Abgeordnetenhaus weiß Berlins Landesschülerausschuss, dass es sich seine große schön-schreckliche Stadt gar nicht leisten kann, die Schülerinnen und Schüler nach Hause zu schicken. Denn die sozialen und bildungsbezogenen Risiken, die in den Haushalten lauern, sind nur in Bremen noch größer als in Berlin.

Wobei für Berlin erschwerend hinzukommt, dass es im Bundesvergleich über die wenigsten ausgebildeten Lehrkräfte verfügt und wohl auch über die schwächste Verwaltung. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Millionensummen des Corona-Aufholprogramms bisher nur zum Bruchteil ausgegeben wurden.

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Hier liegen sie – die Altlasten, die auf Berlins Schulen drücken und die kaum jemand so gut kennt wie die streitbare erfahrene Brennpunktpädagogin Astrid-Sabine Busse. Sie weiß, was Tag für Tag zusätzlich an Förderung verloren geht, solange Berlins Schulen im Corona-Status sind. Sie weiß auch, dass die technischen, finanziellen und personellen Ressourcen weder in den Familien noch in den Schulen reichen, um für all jene Schüler einen Onlineunterricht durchzuziehen, die nun abermals zu Hause sitzen.

Stell’ Dir vor, es herrscht Omikron, und die Bildungssenatorin ist nicht mehr der Paria im Senat. Einfach deshalb, weil alle verstehen, dass sie an der Zukunft der Stadt sägen, wenn sie nicht jeden Euro für Kitaplätze und gute Schulen ausgeben. Weil sie verstehen, dass die wenigen Lehrer, die ausgebildet wurden, sofort mit Verbeamtung gehalten werden müssen und nicht irgendwann in dieser Legislatur.

Weil sie verstehen, dass sich die Stadt nur dann rot-rot-grüne Lieblingsprojekte leisten kann, wenn die Schulen nicht Jahr für Jahr mehr Jugendliche in ein Hartz-IV-Leben entlassen. Stell’ Dir vor, Berlin stellt sich hinter seine Bildungssenatorin, weil sie keine Politikerin, sondern eine Pädagogin ist.

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