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Im Einsatzgebiet. Die Rigaer Straße in Friedrichshain ist seit Jahren ein Hotspot linksextremistischer Gewalt.

© Paul Zinken/ dpa

Berlins Innensenator zur Rigaer Straße: „Wir setzen Recht durch, aber nicht in Großstadt-Sheriff-Manier“

Wild-West-Methoden helfen beim Kampf um die Rigaer 94 nicht weiter. Berlins Innensenator von der SPD über die Polizeieinsätze. Ein Gastbeitrag.

Ich habe drei Grundsätze für meine Arbeit als Innensenator: Erstens wird die Polizei nicht benutzt, um sich politisch zu profilieren. Zweitens lasse ich es nicht zu, dass unsere Polizistinnen und Polizisten unnötig in Gefahr gebracht werden und drittens brechen wir nicht geltendes Recht, um parteipolitische oder öffentliche Erwartungshaltungen zu erfüllen. Diese Grundsätze gelten allesamt auch für die Situation in der Rigaer Straße.

Sie ist seit vielen Jahren ein Einsatzschwerpunkt der Berliner Polizei; das bindet Ressourcen und viel Energie bei den Kolleginnen und Kollegen. Nicht die politischen Kommentatoren an der Seitenlinie müssen in heiklen Situationen kühlen Kopf bewahren, Entscheidungen treffen und neben dem Schutz der Bevölkerung auf ihre eigene Sicherheit achten. Das müssen die Menschen in Uniform tun. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung.

Der Vorwurf, die rot-rot-grüne Regierung hätte ein Faible für Linksextremisten, ist so absurd und abwegig, dass ich ihn eigentlich gar nicht wiederholen will. Die Polizei ist vor Ort, wenn sie gebraucht wird, unabhängig von der politischen Stoßrichtung begangener Straftaten. Die vielen Einsätze in der Rigaer Straße belegen das deutlich. Rechtsbrüche werden konsequent verfolgt; jeder richterliche Durchsuchungsbeschluss vollstreckt. Und diejenigen, die dort linken Klassenkampf im Kiez vortäuschen, sind nichts anderes als gewöhnliche Kriminelle, die mit totalitären Methoden ihre Nachbarschaft terrorisieren.

Nachbarn sind verängstigt wegen gewalttätiger Übergriffe

Wir brauchen eine Befriedung vor allem im Interesse der Anwohnerinnen und Anwohner, die persönlich bedroht, deren Fenster zerstört und Hauswände beschmiert werden. Sie sind zurecht genervt und zum Teil verängstigt wegen der gewalttätigen Übergriffe und der Polizeieinsätze, die in der Folge notwendig sind.

Vor einigen Tagen wurde ein sogenannter Entscheidungsvorbehalt für Polizeieinsätze in der Rigaer Straße öffentlich thematisiert und – bewusst oder unbewusst – falsch interpretiert. Anders als behauptet, hat dieser Entscheidungsvorbehalt nichts mit Strafvereitelung zu tun.

Es ist auch keine Anweisung sich bei Einsätzen in der Rigaer Straße zurückzuhalten. Richtig ist, dass die Polizeiführung im Vorfeld von planbaren und nicht eilbedürftigen Einsätzen Kenntnis haben und auch darüber entscheiden muss. Das dient dem Schutz der Beamtinnen und Beamten, aber auch dem anderer Berlinerinnen und Berliner.

Berlins Innensenator Andreas Geisel. Hier beim Besuch der Polizeiakademie
Berlins Innensenator Andreas Geisel. Hier beim Besuch der Polizeiakademie

© Britta Pedersen/dpa

80 Prozent der Wohnungen sind normal vermietet

Auf Einsätze in der Rigaer Straße folgen mit hoher Wahrscheinlichkeit gewalttätige Aktionen an anderen Stellen der Stadt oder Protestkundgebungen, die die Polizei bewältigen muss. Dieser Entscheidungsvorbehalt wurde übrigens 2012 unter dem CDU-Innensenator Frank Henkel schriftlich fixiert und politisch durchgesetzt. Dass die CDU diesen „Henkel-Vorbehalt“ jetzt benutzt, um Rot-Rot-Grün Tatenlosigkeit vorzuwerfen, gleicht politischer Amnesie.

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Völlig unstrittig ist, dass die Polizei bei einer Strafverfolgung natürlich nicht an der Türschwelle stoppt, wenn Tatverdächtige in die Rigaer 94 flüchten, und diese Personen ohne Weiteres verfolgt werden können. Die Berliner Polizei tut bei der Verfolgung von Tatverdächtigen auf frischer Tat alles, was rechtlich zulässig und faktisch möglich ist.

Die Situation ist nicht allein polizeilich zu lösen

Wenn aber schwarz vermummte Verdächtige nachts unerkannt in unbekannte Wohnungen flüchten, ist das nicht mehr so einfach, wie viele meinen. Das Recht sieht Möglichkeiten für das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen vor, aber: Die Vorstellung, die Polizei könnte nach Gutdünken des Innensenators „einfach rein mit der Ramme und räumen“, verfängt vielleicht am Stammtisch, aber nicht vor unseren Gerichten. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die Rigaer Straße 94 zwar ein Rückzugsort für Kriminelle ist, aber eben auch nur ein in Teilen besetztes Haus. Geschätzte 80 Prozent der Wohnungen sind ordentlich vermietet, mit gültigen Verträgen.

Auch hier gilt die im Artikel 13 des Grundgesetzes verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung. Es geht um Grundrechte und nicht um rechtsstaatliche Lappalien, die man nicht einzuhalten braucht, weil der Gegner sich ja auch nicht an die Gesetze hält.

Manche Forderungen der CDU sind politischer Klimbim

Die Situation in der Rigaer Straße ist nicht einfach zu lösen, vor allem nicht allein polizeilich. Es bedarf der gemeinsamen Anstrengung von Eigentümer, Bewohnerinnen und Bewohnern, Bezirk und Senat. Wäre es für die Innenpolitik einfach, hätte vielleicht schon mein Amtsvorgänger Frank Henkel eine Lösung für das Problem finden können. Sein 2016 gewählter Weg – die Polizei ohne gerichtliche Entscheidung in die Rigaer Straße 94 zu schicken – führte in die Sackgasse; es gab verletzte Polizisten, jahrelange juristische Konflikte und Niederlagen vor Gericht inklusive. Vor diesem Hintergrund klingen Äußerungen aus der CDU umso erstaunlicher, man müsse dieses „Nest der Linksfaschisten ausräuchern“.

Oder die Forderung des CDU-Fraktionschefs, Burkard Dregger, die Rigaer 94 einfach abzureißen. Das ist – mit Verlaub – politischer Klimbim, der nichts zur Lösung des Problems beiträgt. Solche Äußerungen unterstreichen nur die eigene Hilflosigkeit.

Ein vermummter Mann beobachtet im Juli 2020 einen Polizeieinsatz in der Rigaer Straße.
Ein vermummter Mann beobachtet im Juli 2020 einen Polizeieinsatz in der Rigaer Straße.

© Paul Zinken/ dpa

Geht man es sachlich an, ist die entscheidende Frage noch immer offen: Wer steht hinter dem Eigentümer?

Im Grundbuch steht eine Lafone Investments Limited, eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Großbritannien. Dieser „Limited“ ist es in den vergangenen Jahren mehrfach nicht gelungen, die deutschen Gerichte davon zu überzeugen, dass sie rechtswirksam Geschäftsführer bestellt hat und dass die vor Gericht auftretenden Rechtsanwälte befugt sind, die Rechte des Eigentümers zu vertreten.

Zunächst müssen zivilgerichtlich die Eigentumsverhältnisse geklärt werden

Die Folge war Stillstand. Der Eigentümer hat die Durchsetzung seiner Rechte gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern der Rigaer 94 vor den zuständigen Gerichten – jedenfalls bislang – nicht konsequent verfolgt.

Von zentraler Bedeutung ist deshalb, dass es zu einer zivilgerichtlichen Klärung der Eigentums- und Besitzverhältnisse kommt. Die Polizei Berlin wird dann bei Vorliegen eines gerichtlichen Titels dem Gerichtsvollzieher Vollzugshilfe leisten. Sie wird dem rechtmäßigen Eigentümer und seiner Hausverwaltung Schutz beim Zugang in das Haus gewähren.

Zurzeit läuft dem Vernehmen nach ein weiteres zivilgerichtliches Verfahren. Ich hoffe, dass diese grundlegenden Fragen nun endlich geklärt werden. Ohne einen rechtlich handlungsfähigen Eigentümer wird man das Problem Rigaer 94 nicht lösen können.

Anstatt fragwürdige Strafanzeigen zu stellen, muss der Eigentümer sagen, was er mit der Rigaer 94 plant. Mal will er einzelne Wohnungen sanieren, dann fordert er den Senat auf, ihm das ganze Haus abzukaufen. Stringent ist das nicht.

An eine Briefkastenfirma zahlen wir kein Geld

Die Berliner Haltung ist klar: Wir würden das Haus kaufen, um Klarheit zu schaffen und handlungsfähig gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern zu sein. Ich bin aber mit dem Finanzsenator einig, dass wir kein Steuergeld an eine Briefkastenfirma zahlen, von der wir nicht wissen, wer in persona dahintersteht. Eventuelle Geldwäsche müssen wir ausschließen. Unbekannten einfach die Summe X anzubieten und zu schauen was passiert, hat mit seriöser Politik nichts zu tun.

Der Senat von Berlin ist sich der komplexen Lage in der Rigaer Straße bewusst. Wir kennen unsere Verantwortung und tun in diesem Rahmen alles, was rechtlich möglich ist. Allerdings ist auch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg gefordert, sich um die Abwehr von Gefahren an der Immobilie zu kümmern – etwa durch Baumängel und nicht eingehaltene Brandschutzvorschriften. Das ist keine Aufgabe der Polizei. Ich erwarte hier konsequentes Handeln ohne falsche Loyalitäten.

Aufgabe der Eigentümer ist es, ein Sicherungs- und Nutzungskonzept zu erarbeiten, um das Haus nachhaltig zu sichern. Das ist bei anderen geräumten Objekten in der Stadt gang und gäbe. Es macht keinen Sinn, dass die Polizei Stahltüren beseitigt und kurze Zeit später sind neue eingebaut. Dieser Schutz des Eigentums ist nicht primäre Aufgabe der Polizei; die Polizei ist da, wenn Menschen bedroht werden und geltendes Recht gebrochen wird.

Wir setzen Recht durch. Das tun wir aber nicht in Großstadt-Sheriff-Manier, sondern ausschließlich mit den Mitteln des Rechtsstaats. An unserer Entschlossenheit sollte niemand zweifeln.

Andreas Geisel

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