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Innensenator Andreas Geisel (SPD) plant mehr Einsätze und eine bessere Spionageabwehr.

© Mike Wolff

Berlins Innensenator Geisel: „Auch Linken-Wähler wollen nicht Opfer werden“

Berlins Innensenator Geisel über den rot-rot-grünen Streit wegen der Videoüberwachung, seine neue Meinung zu Cannabis und über kriminelle Clans. Ein Interview.

Herr Geisel, Ihre Partei, die SPD, will Cannabis legalisieren. Wann haben Sie zuletzt gekifft?

Noch nie. Was die Cannabis-Legalisierung betrifft, habe ich einen langen Weg hinter mir. Erst seit ich Innensenator bin, ist mir klar: Cannabis ist eher eine gesundheitspolitische Frage. Das Geld, das wir als Staat für die Verfolgung ausgeben, sollten wir besser für Gesundheitsaufklärung und Jugendschutz ausgeben. In den Niederlanden, wo Cannabis legal ist, kiffen prozentual auch nicht mehr Menschen als in Deutschland.

Seit fast einem Jahr vergeht kaum eine Woche, ohne dass Polizisten die Wohnungen und Läden einschlägig bekannter Clans stürmen. Haben sich da Ermittlungserfolge gehäuft – oder verfolgen Sie und die Polizeiführung eine härtere Linie?

Es heißt nicht umsonst, Strafe muss auf dem Fuße folgen. Kriminelle aus der Clanszene sollen spüren, dass sie geächtet werden, dass wir auch vermeintliche Kleinigkeiten verfolgen. Falschparken, schnell fahren. Denn der Schaden, den diese Täter anrichten, hat nicht nur materielle Dimensionen. Sondern auch immaterielle – deren Verhalten untergräbt die Akzeptanz unserer Gesetze, unserer Demokratie. Wer die Regeln bricht, auf die sich die Gesellschaft einigt, wird bestraft. Und ja, es wurde zu lange weggesehen, zu viel hingenommen.

Bestimmte Familien, deren Angehörige immer wieder durch Straftaten auffielen, wurden reich. Vergangenen Sommer wurden 77 Immobilien konfisziert, weil sie womöglich mit illegalen Gewinnen, also Beutegeld, erworben wurden. Ist das der Weg?

Ja. Ich persönlich hätte mir sogar gewünscht, dass die Beweislastumkehr in Deutschland genauso weitreichend wird wie in Italien. Dort ist es noch leichter, verdächtiges Vermögen vorläufig einzuziehen.

Das Neuköllner Modell im Kampf gegen kriminelle Clan-Mitglieder sieht vor, dass Ordnungsamt, Polizei und Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft zusammen vor Ort arbeiten. Dass öfter Spätis, Autos und Shisha-Bars kontrolliert werden, also der Druck auf ein ganzes Milieu steigt. Wird das bald in ganz Berlin so sein?

Das dauert noch, ist aber unser Ziel. Die Bezirksämter müssen mitmachen. Und da gibt es engagierte Bezirke und weniger engagierte.

Mit dem Justizsenator und dem Finanzsenator haben Sie im November einen Fünf-Punkte-Plan beschlossen. Kern ist die ressortübergreifende Zusammenarbeit in einer neuen Koordinierungsstelle beim Landeskriminalamt. Wie weit sind Sie da?

Wir sind im Aufbau, es gibt wöchentliche Planungstreffen. Noch in diesem Jahr werden in der Koordinierungsstelle nicht nur Polizisten, sondern auch Experten von Jobcentern und Jugendämtern zusammenarbeiten.

Neuköllner Politiker fordern eine bundesweite Definition von „Clan-Kriminalität“, denn die Täter aus den arabischstämmigen Großfamilien unterscheiden sich von anderen Banden dahingehend, dass ihre Mitglieder miteinander verwandt sind. Und so wie bei Rockern oder Polit-Extremisten könnten bestimmte Verdächtige im Polizeicomputer mit einem Marker versehen werden. Dann wüssten Beamte überall, etwa bei einer Verkehrskontrolle, wie sie ihr Gegenüber einzuschätzen haben. Sinnvoll?

Ja, wobei ich die genaue Definition den Experten der Polizei überlasse. Und wir dürfen nicht vergessen, nicht jeder Mann mit einem bestimmten Nachnamen ist ein Krimineller.

Einige in CDU und SPD fordern zudem, Intensivtätern im Notfall die Kinder zu entziehen, damit diese nicht selbst zu Kriminellen erzogen werden.

Das scheint mir derzeit rechtlich kaum möglich. Vielmehr sollten wir uns bemühen, die Integration vieler Neuankömmlinge zu ermöglichen. Bei den Flüchtlingen aus dem Libanon, die uns heute so viele Probleme bereiten, wurde das in der Vergangenheit explizit unterlassen.

Derzeit vergeht kaum eine Woche ohne Durchsuchungen von Läden, hier ein Einsatz in Neukölln im Herbst 2018.
Derzeit vergeht kaum eine Woche ohne Durchsuchungen von Läden, hier ein Einsatz in Neukölln im Herbst 2018.

© Zinken/dpa

Die Clans sind gut verankert. Ein Berliner Polizeischüler informierte kürzlich einen Freund darüber, dass er dessen Fahndungsbild in einem Dienstcomputer gesehen hat. Dieser Freund gehört zu einem bekannten, ziemlich großen Clan. Nach all dem Wirbel um die Polizeischule – kommen genug vertrauenswürdige Polizisten nach?

Es hat sich viel getan, wir bilden circa 1200 Männer und Frauen pro Jahr aus. Und da sind die, die sich als ungeeignet herausstellen, schon abgezogen. 2017 gab es in Berlin rund 16.700 Polizisten im Vollzugsdienst, dieses Jahr werden es 17.700 sein, 2021 rechnen wir mit 18.000.

Auch Beamte klagen über knappen Wohnraum. Was tun Sie?

Wir müssen vor allem für Bewerberinnen und Bewerber von außerhalb ein attraktives Angebot schaffen. Denn Wohnraum in Berlin ist knapp und teuer. Speziell für Polizeianwärter gibt es bald zwei Wohnheime – jeweils in der Nähe der Ausbildungsstätten in Friedrichsfelde und in Ruhleben.

Immer wieder war mit Blick auf die sogenannten gefährlichen Orte, vor allem den Görlitzer Park, von mehr Hundertschaften die Rede. Kommen die?

Ich weiß, da stand mal so was in den Antworten auf eine parlamentarische Anfrage. Da ist uns etwas durchgerutscht in der Fülle der Anfragen, die wir beantworten müssen. Mehr als 1000 waren es alleine im letzten Jahr. In unserem Haus wurde über drei neue Hundertschaften gesprochen, aber es ist nicht der aktuelle Plan.

Also gar keine neuen Hundertschaften?

In einigen Wochen erfahren Sie mehr.

Auch bei den mobilen Wachen planen Sie Veränderungen?

Ja, die mobilen Wachen müssen dort eingesetzt werden, wo es Sinn macht – und deshalb auch nachts.

Das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz soll novelliert werden. Es geht um Bodycams, mit denen Beamte ihren Einsatz filmen, darum, bei schweren Taten auch Messenger-Dienste eines Handys überwachen zu dürfen. Und Polizisten wollen ein Gesetz über den finalen Rettungsschuss – weil sie Rechtssicherheit brauchen, falls es darum geht, mutmaßliche Terroristen auszuschalten. Ihr Koalitionspartner, die Linke, blockiert. Anders als Sie, Herr Geisel, will die Linke auch nicht mehr Videoüberwachung. Hat die CDU Recht, wenn sie sagt, der SPD-Innensenator verspreche mehr, als er mit Rot-Rot-Grün halten kann?

Ich gehe davon aus, dass die Koalition sich in den genannten Punkten bewegt und einigt. Wenn sie das nicht tut, werden wir bei der Videoüberwachung bald die Version von Ex-Justizsenator Thomas Heilmann bekommen. Die Mehrheit der Berliner will den Umfragen zufolge die Videoüberwachung bestimmter Orte, das Volksbegehren von Herrn Heilmann hat also gute Aussichten auf Erfolg. Dann wird die Videoüberwachung deutlich umfassender sein, als ich sie vorschlage. Ich plädiere dafür, selbst zu gestalten – mit Augenmaß. Auch Linken-Wähler wollen nicht Opfer von Kriminalität werden.

Sie haben noch mehr Ärger mit der Linken. Der Bundestag hatte Algerien, Georgien, Marokko, Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Aber im Bundesrat will Berlin dagegen stimmen – obwohl Sie für die neue Regelung sind.

Ja, anerkannte Asylgründe liegen nur bei ein bis vier Prozent der Antragsteller aus diesen Ländern vor. Linke und Grüne sind trotzdem dagegen, hier in Berlin auch Teile der SPD.

Und noch etwas empört in der Koalition einige: Dass das einst besetzte Haus in der Rigaer Straße regelmäßig mit ganzen Hundertschaften gestürmt wird. Gibt’s für die Polizei nichts Wichtigeres?

Rechtsbrüche werden verfolgt, das kann nicht nur für Clans und Rechtsextreme gelten, sondern auch für Linksextreme. Und wenn wir Straftäter in der Rigaer Straße suchen, dann wollen wir keine Straßenschlacht riskieren. Deshalb kommen die Beamten eben mit mehr Kollegen. Da geht es auch um Eigensicherung der Beamten.

Apropos Rigaer Straße. Ein Polizist hat kürzlich eine Geldstrafe akzeptiert, weil er Drohbriefe an vermeintliche Linksradikale verschickt hatte. Die Daten der Männer und Frauen stammten aus dem Polizeicomputer. Nicht der erste Fall von Datenmissbrauch durch Beamte…

… aber ein Fall, der zeigt: Auch Polizisten werden erwischt und verurteilt, wenn sie sich strafbar machen.

Spielen Sie darauf an, dass Sie selbst zwei Staatsschützer anzeigten, weil der Verdacht bestand, diese hätten Akten frisiert?

Ja, es wurden Akten manipuliert. Das ist unstrittig. Und ein Gericht hatte zu klären, ob eine Straftat vorlag. Das war nicht der Fall.

In der Truppe haben ihnen einige die öffentlich verkündete Anzeige übelgenommen.

Richtig war es trotzdem. Ich stelle mich immer vor die Beamten, das wissen viele auch. Denn dieselben Staatsschützer haben viele Anschläge verhindert. Und den Staatsschutz haben wir von circa 85 auf rund 150 Stellen aufgestockt.

Wann wird das neue Anti-Terror-Zentrum an der Ringbahnstraße fertig?

2020 sollen die ersten Beamten einziehen. Das ist der Plan. Mit mehr Platz und besserer Ausstattung.

Dort wird man auch die Al-Nur-Moschee in Neukölln im Blick haben. Der Verfassungsschutz stuft den Verein als Salafistentreff ein, es verkehrten dort auch Dschihadisten. Zeit für ein Verbot?

Ich diskutiere über Verbote nicht öffentlich, schon deshalb nicht, weil auch Salafisten in der Lage sind, sich bestimmten Maßnahmen anzupassen.

In Berlin wird immer wieder auch wegen Spionageverdachtes ermittelt – vor allem mit Blick auf die Türkei, den Iran, Russland. Viel zu tun?

Oft sind dann die Bundesbehörden zuständig, weshalb ich mir wünsche, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz unserem Landesverfassungsschutz noch mehr hilft. Ohne den Föderalismus auszuhebeln, denken wir hier über eine engere Zusammenarbeit nach.

Herr Geisel, Sie sind auch Sportsenator. Demnächst entscheidet das Bundesverwaltungsgericht darüber, ob das Land Bremen verlangen kann, dass ein Fußballverein für Polizeieinsätze zahlt, wenn seine Fans die verursachen. Juristen erwarten: Ja, das ist rechtens. Stellen Sie Hertha BSC und dem FC Union bald Rechnungen – das Geld kann die Stadt sicher gebrauchen?

Nein, ich werde den Vereinen keine Rechnung stellen. Sport sollte gefördert werden – und nicht belastet. Ein Verein in der 1. Liga könnte so was vielleicht noch bezahlen, aber was ist mit den unteren Ligen? Da wären einige Vereine sehr schnell pleite, wenn man sie zur Kasse bitten würde.

Hertha ist in der 1. Liga. Und plant ein neues Stadion. Wie ist der Stand?

Wir verhandeln noch. Der Verein muss noch verschiedene Aufgaben abarbeiten. Das macht Hertha gerade. Viele Dinge sind noch offen, zum Beispiel die Frage, was mit den Wohnungen passiert, die dort noch stehen. Für uns ist völlig klar: Wenn Wohnraum vernichtet wird, muss Hertha an anderer Stelle Ersatz dafür schaffen.

Sie selbst sind ja Union-Fan.

Als Sportsenator halte ich mich neutral zurück. Aber wenn Sie mich persönlich fragen, wo mein Herz schlägt: Ich hatte beim Heimsieg in der Alten Försterei gegen Köln viel Spaß.

Andreas Geisel, 52, ist seit 2016 Senator für Inneres und Sport. Zuvor war der SPD-Politiker Senator für Stadtentwicklung sowie Bürgermeister von Lichtenberg, wo er wohnt.

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