zum Hauptinhalt
Der ehemalige Musikproduzent und Kultur-Staatssekretär Tim Renner.

© Julius Betschka

Berlins früherer Kulturstaatssekretär Tim Renner: „Ich bin niemand, der gern aufgibt“

Tim Renner will für die SPD in Neukölln für den Bundestag kandidieren. Ein Gespräch über Quereinsteiger, die Volksbühne und Flügelkämpfe.

Tim Renner kommt mit dem Rad. Der 55-Jährige hat ein kleines Café in der Weserstraße als Treffpunkt vorgeschlagen, gleich nebenan liegt der Campus Rütli – heute ein Neuköllner Vorzeigeprojekt. Der ehemalige Berliner Kulturstaatssekretär kämpft momentan in der SPD um die Bundestagskandidatur im Bezirk, gilt als Kandidat von Franziska Giffey. Ein Gespräch über Quereinsteiger in der Politik, den Fluch der Volksbühne und seine Unlust an innerparteilichen Grabenkämpfen.

Herr Renner, Sie sind Professor an der Pop-Akademie Baden-Württemberg, waren jahrelang Manager bei „Universal Music“, von 2014 bis 2016 Staatssekretär für Kultur in Berlin, sind 2017 schon einmal in Charlottenburg-Wilmersdorf am Einzug in den Bundestag gescheitert. Warum tun Sie sich das wieder an?
Ich bin niemand, der gern aufgibt, bin teilweise schmerzhaft hartnäckig. Primär hat mich gereizt, von wem ich aufgefordert wurde. Martin Hikel und Franziska Giffey haben mich angesprochen und gesagt, dass sie mich als Kandidaten wollen. Wir wollen in Neukölln als Team antreten – Bundestags-, Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahl finden ja gleichzeitig statt. Mein Part in diesem Team ist unter anderem, die Kompetenz aus Kulturszene und Wirtschaft mit einzubringen. Am schwierigsten war es, meine Familie zu überzeugen, die haben nur zähneknirschend zugestimmt.

Weil es beim letzten Mal so hart für die Familie war, als Sie angetreten sind?
Ja. Du kannst so einen Wahlkampf nur machen, wenn Du es mit Leidenschaft machst. Ich bin damals mit einem Eiswagen durch Charlottenburg-Wilmersdorf gefahren, mit Muskelkraft.

Nackig gemacht haben Sie sich auch.
(lacht) Nur für einen Spot, und nur bis zur Gürtellinie. Und ich habe mich dann auch gern wieder angezogen.

Was reizt Sie denn so am Bundestag?
Wir leben in extrem speziellen Zeiten, es gab – im Guten wie im Bösen – nie so schnell Veränderungen: Digitaler Wandel, Globalisierung, Klimawandel. Das sind extrem große Aufgaben, vor denen wir stehen und ich will mithelfen, zur Lösung beizutragen. Ich verzweifle aber auch wie so viele an den Parteien – inklusive meiner eigenen. Viele Amtsträger und Funktionäre haben eine eigene, mir unverständliche Sprache entwickelt, gemeinsame Codes, die auch nicht meine sind.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zum Beispiel?
Ach, ich habe mal im Wahlkampf bei einer SPD-Veranstaltung aufgelegt und aus Spaß die Faust gehoben. Es war wohl die falsche, jedenfalls wurde ich gleich getadelt. Es geht mir aber auch um die Politikersprache: Als ich mich das erste Mal am Frühstückstisch „ehrlich machen“ wollte, hat meine Familie mich ausgelacht. Viele in Parteien können zwar das Programm auswendig, haben aber keine emotionale Ansprache. Diese Chance können Quereinsteiger nutzen, Menschen besser erreichen.

Michael Müller, Chris Dercon und Tim Renner (v.l.) bei einer Pressekonferenz im Jahr 2015.
Michael Müller, Chris Dercon und Tim Renner (v.l.) bei einer Pressekonferenz im Jahr 2015.

© AFP PHOTO / TOBIAS SCHWARZ

Machen es Parteien Quereinsteigern zu schwer?
Ja, viel zu schwer. In diesen Zeiten schnellen Wandels würde ich mir mehr Mut zur Disruption wünschen. Das kriege ich aber nicht hin, wenn ich mich immer nur an dem bediene, was innerparteilich langjährig gewachsen ist. Wenn der Anspruch ist, dass jemand mit einem Mandat belohnt wird, weil die Person seit 15 Jahren Plakate hängt, ist das der falsche Weg.

So ein richtiger Quereinsteiger sind Sie ja selbst nicht mehr. Sie sitzen im Kulturforum der SPD, waren Kulturstaatssekretär. Was macht das Stichwort „Volksbühne“ mit Ihnen?
Sie hätten mich vor vier Jahren leicht zusammenzucken sehen, mittlerweile nicht mehr. Wir haben in meiner Zeit als Staatssekretär zwölf Kultur-Chefposten in Berlin neu besetzt – davon sind zehn gutgegangen und eineinhalb nicht. Chris Dercon zum Chef der Volksbühne zu machen, ist schiefgelaufen. Das war zu mutig, was wir wollten. Wir wollten Frank Castorf nicht mit einem „Castorf light“ ersetzen, aber der Wechsel war zu krass. Außerdem habe ich unterschätzt, welche Beharrungskräfte es dort gibt und habe zu wenig kommuniziert.

Bereuen Sie die Entscheidung heute?
Nee. Auch wenn mir Leute dafür wahrscheinlich wieder Bier über den Kopf schütten wollen: Es war richtig, das reine Castorf-Haus aufzubrechen. Wie wir das gemacht haben? Das würde ich heute anders machen.

Was reizt Sie denn an einer Kandidatur in Neukölln?
Neukölln ist der spannendste und diverseste Bezirk Berlins. Mit Diversität meine ich gar nicht, dass hier Menschen aus 150 Nationen leben, die gibt es in Kreuzberg auch, sondern diese wahnsinnige Unterschiedlichkeit zwischen dem Norden und dem Süden des Bezirks. Neukölln war schon immer das Labor von Berlin und damit von Deutschland. Hier gab es zum Beispiel die erste Gemeinschaftsschule, das Desaster um die Rütli-Schule und heute die Lösung dafür mit dem Campus Rütli.

"Der Hermannplatz braucht dringend ein Update, momentan will man dort einfach nur umsteigen und schnell weg", sagt Tim Renner.
"Der Hermannplatz braucht dringend ein Update, momentan will man dort einfach nur umsteigen und schnell weg", sagt Tim Renner.

© imago images / Travel-Stock-Image

Im Kreisverband Neukölln wird intern hart gekämpft. Ihre innerparteilichen Gegner haben die Information – auch an den Tagesspiegel – gestreut, Sie würden nebenher bei der Beratungsagentur SNPC für das umstrittene Bauprojekt des Investors SIGNA am Herrmannplatz lobbyieren.
Das ist falsch. Ich arbeite in der Tat mit SNPC zusammen, wenn ich Workshops gebe. Aber ich arbeite nicht für Signa, die ganze Agentur hat nie für Signa gearbeitet. Das war komplett erfunden. Ich habe bei einer internen SPD-Veranstaltung gesagt, dass ich mit dem Geschäftsführer von Signa in Berlin geredet habe, den kenne ich schon seit Jahren. Natürlich spreche ich den an und frage: Wie sehen eure Pläne aus, wie sieht euer Partizipationskonzept aus? Ein Genosse hat mich dann gegoogelt, mich als Consultant auf der Website von SNPC gefunden und gedacht: Jetzt hab‘ ich ihn. Eine schöne Verschwörungstheorie.

Was halten Sie persönlich vom Umbau des alten Karstadtgebäudes?
Der Hermannplatz braucht dringend ein Update, momentan will man dort einfach nur umsteigen und schnell weg. Deshalb finde ich das Projekt prinzipiell richtig. Mit dem herkömmlichen Kaufhaus dort fahren wir früher oder später an die Wand – das weiß jeder. Aber: Wir müssen schauen, dass wir mit solchen Großprojekten den Kern von Berlin stützen – und das ist die Kultur- und Kreativszene. Die müssen dort zu bezahlbaren Mieten die Möglichkeit bekommen, sich zu etablieren.

Simulation für den geplanten Karstadt-Neubau am Hermannplatz.
Simulation für den geplanten Karstadt-Neubau am Hermannplatz.

© David Chipperfield Architects

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Sie selbst wohnen in Wilmersdorf, dort kämpfen jetzt Sawsan Chebli und Michael Müller um die SPD-Kandidatur. Ihnen wurde öffentlich vorgeworfen, sich „den letzten freien Wahlkreis geschnappt“ zu haben. Sie schrieben vor ein paar Tagen auf Facebook „Macht- und Flügelkämpfe machen mich mürbe“. Woher kommt dieser knallharte Umgang in Neukölln?
Hier prallen gerade zwei Parteiflügel aufeinander. Beide Strömungen eint, dass sie begriffen haben, dass die SPD in einer ernsten Lage ist. Beide stehen sich aber entschlossen gegenüber – es geht um den Streit zweier Denkschulen. Eine, die sehr daran glaubt, dass eine stärkere Ideologisierung der Partei weiterhilft und eine andere, die eher daran glaubt, dass ein starkes soziales Tun und Pragmatismus das ist, was die SPD aus ihren hiesigen 15-Prozent-Tal hievt. Ich gehöre eher zu letzterer Fraktion – genauso wie Franziska Giffey. Bei Mitgliederforen werde ich immer gefragt: Tim, wie links bist Du? Ich denke mir dann immer: Wie weit geht links? Bis 10 oder bis 100?

Und wie links sind Sie?
Ich denke in der Kategorie nicht – das ist für mich überholt. Ich denke in progressiv und konservativ. Ich sehe mich eindeutig als progressive Kraft mit einer sehr starken sozialen Agenda. Klassisch linke Geschichten können ja auch sehr konservativ sein: zum Beispiel das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“. Das ist doch wahnsinnig konservativ, das hatten wir in der Geschichte alles schon.

Franziska Giffey und Raed Saleh wollen die SPD augenscheinlich pragmatischer aufstellen. Sie bekennen sich zur Zukunft des Autos, wollen härter gegen Linksextremisten vorgehen. Die Jusos protestieren bereits. Für was für eine Politik stünde der Bundestagsabgeordnete Tim Renner?
Nur beim Auto bin ich im Dissens. Ich habe aus gutem Grund nie einen Führerschein gemacht und kann mir kostenlosen, öffentlichen Nahverkehr und eine Mautzone im S-Bahnring sehr gut vorstellen. Aber auch das ist eine konkrete, pragmatische Lösung. Nach diesem Denkmuster würde ich auch versuchen im Bundestag zu agieren: Problem erkennen, Lösung eruieren, Lösung implementieren.

Im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf kämpfen Sawsan Chebli und Michael Müller um die SPD-Kandidatur für den Bundestag.
Im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf kämpfen Sawsan Chebli und Michael Müller um die SPD-Kandidatur für den Bundestag.

© picture alliance / Jörg Carstensen/dpa

Was würde ihr Fachgebiet im Bundestag werden?
Kultur und Wirtschaft liegen auf der Hand. Die meisten Umsetzungsmöglichkeiten hat man aber im Haushaltsausschuss. Die SPD hat dort mit Johannes Kahrs ihren Kulturberichterstatter verloren, da würde ich mich gerne als Nachfolger anbieten.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Die Mehrheitsverhältnisse zwischen den beiden Flügeln im Kreis gelten als in etwa ausgeglichen, kürzlich scheiterte dann die Team-Kandidatur zum Kreisvorsitz von Bezirksbürgermeister Martin Hikel. Sie haben klar gesagt, Sie drei sind ein Team: Was bedeutet es für den Rest des Teams, wenn Sie gegen das andere Lager verlieren?
Das ist für den Rest des Teams erstmal doof, ganz klar. Natürlich wird der politische Gegner das instrumentalisieren und die Frage stellen, ob sich Franziska Giffey in ihrem Heimatbezirk durchsetzen kann. Unabhängig vom Wahlausgang: Ja, kann sie.

Bezirkschef in Berlin-Neukölln: SPD-Bürgermeister Martin Hikel.
Bezirkschef in Berlin-Neukölln: SPD-Bürgermeister Martin Hikel.

© imago/Christian Ditsch

Franziska Giffey, Martin Hikel und ich haben sehr deutlich gesagt, dass wir zusammen antreten, verliere ich, müsste man sich eben neu aufstellen. Aber nach jeder Niederlage heißt es: Aufstehen, Staub abklopfen, Krönchen richten und weitermarschieren. Franziska Giffey ist ein Glück für die SPD.

Bis Freitag stimmt die Basis in Neukölln noch ab, wer das Rennen machen wird. Wenn's nicht klappt, was passiert dann mit Tim Renner? Wie geht’s weiter?
Ich sagte ja schon: Ich bin hartnäckig.

Zur Startseite