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Hauptsache stilvoll. Günther Krabbenhöft am S-Bahnhof Tempelhof

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Berlins ältester Hipster Günther Krabbenhöft: „Die Jugend wird sich einmal dafür schämen, wie sie heute angezogen ist“

Krabbenhöft geht in Clubs, lebt in einem alternativen Hausprojekt und lässt seine Kleidung maßanfertigen - und kürzlich feierte er 75. Geburtstag. Ein Interview

Dieses Interview ist ein Auszug aus dem „Tagesspiegel Checkpoint“-Podcast „Eine Runde Berlin“. Nachzuhören gibt's die ganze 60-Minuten-Folge auf Tagesspiegel.de, Spotify und Apple Podcasts (Schienenersatzverkehr inklusive).

Herr Krabbenhöft, Sie haben vor Kurzem Ihren 75. Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch nachträglich!

Ein Dreivierteljahrhundert – das ist eine ganz schöne Hausnummer. Ich hatte eigentlich vor, es mit zwei Freunden richtig krachen zu lassen. Das hatten wir schon Ende letzten Jahres so beschlossen. Ein frohes Fest mit ein paar Hundert Leuten. Wegen Corona habe ich es jetzt etwas kleiner gehalten und in der Chocolateria Sünde wie eine Königin ein Defilee veranstaltet. Das funktionierte auch ganz prima. Und das ist ja auch das Schöne im Leben: Manchmal fixiert man sich auf etwas, wird plötzlich gezwungen das Ganze neu zu denken und es wird trotzdem schön. 

Wie geht es Ihnen in dieser Zeit?

Manche Leute haben sich ja darüber gefreut, dass das Virus alles entschleunigt und man Zeit hat, darüber nachzudenken, was im wichtig ist im Leben. Das habe ich vorher schon gemacht, dafür brauche ich dieses Virus nicht. Ich habe auch schon vorher Zeit für die Menschen gehabt, die mir etwas bedeuten und meine Schubladen aufgeräumt. Ich glaube, man hat sich das einfach schöngeredet, um nicht ganz zu verzweifeln. Ständig muss man überlegen: Darf ich das jetzt, oder darf ich das nicht?

Eine Sache ist ziemlich klar geregelt: Sie dürfen nicht mehr in Clubs feiern gehen.

Am Anfang macht man noch solche Mätzchen und findet es cool, über den Live-Stream oder alleine zu tanzen. Aber eigentlich ist es total bekloppt. Das kann die Wirklichkeit nicht ersetzen. Manche denken jetzt vielleicht: Was erzählt der Alte da? Aber für mich steckt darin so viel Energie und Lebensfreude. Wenn die Musik gut ist, fühlt sich das an, als würde man in eine andere Umlaufbahn geschossen und anschließend wieder landen. Das wurde mir jetzt genommen. Ich habe das Gefühl, anschließend bin ich reif für den Stuhltanz im Altersheim.

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Auf Berlins Tanzflächen sind Sie grundsätzlich der Älteste. Hätte Ihr junges Ich gedacht, dass das mal so kommt?

Hätte mir irgendwer vor vielen Jahrzehnten gesagt, wie mein Leben mal aussieht, hätte ich gesagt: Spinn weiter! Es ist erstaunlich, dass sich das so entwickelt hat – und ganz besonders.

Eigentlich sind Sie ja ein Landkind. Aufgewachsen in der Nachkriegszeit in der Nähe von Hannover.

Ich bin in der Natur groß geworden. Das war ein ganz großes Glück, weil ich frei war und viel draußen. Hunger gab es nicht, weil wir ein bisschen Landwirtschaft zur Selbstversorgung hatten. Da musste ich immer Kartoffelkäfer mit der Hand absammeln oder die Hühner wieder zurückjagen, die die Oma verrückt gemacht haben, weil sie die frisch gehakten Beete zertrampelt haben.

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Die Schweine, die alles durchwühlten, mussten zur Strafe ihr Leben lassen und ich war da als zartbesaiteter Junge dabei und musste das Schwänzchen festhalten. Es war eine Mischung aus Entsetzen und Faszination.  Aber es war normal. Davon haben wir gelebt. Mit 15 musste ich mir überlegen, welchen Beruf ich erlernen will. Ich war überfordert und meine Eltern haben mir dann eine Ausbildung als Koch organisiert…

Hat es Sie der Gastronomie wegen nach Berlin verschlagen?

Nein. Als ich Anfang zwanzig war habe ich mich bei der Hamburg-Amerika-Linie beworben, um von Hamburg nach New York zu fahren. Weil die Stellenbesetzung abgeschlossen war, wollten sie mich erst im Herbst mitnehmen. Ich bin dann nach Berlin und dann kam alles ganz anders. Ich habe die Liebe meines Lebens kennengelernt und ein Kind bekommen. Das passierte alles ganz schnell und ging so seinen Weg. Ich glaube damals wurde ich auch politisiert.

Inwiefern?

Da war dieses Aufbrechen der lähmenden, erstarrten Fünfziger. Das fing bei der Musik an, bei den Beatles und Stones. Eine breit gestreute Jugendkultur gab es noch nicht und dafür musste erstmal mit alten Traditionen gebrochen werden: Mit der Disziplin und dem Gehorchen.

Ihre Tochter haben Sie nach Ihrer Scheidung alleine und laut eigener Aussage antiautoritär erzogen.

Sie hat mir später gesagt, dass ihr das ziemlich auf den Senkel gegangen ist. Immer wurde alles ausdiskutiert. Immer wollte ich alles erklären. Sie hätte sich manchmal gewünscht, dass ich einfach sage: Keine Diskussion. So machen wir das.

Heute leben Sie in einem selbstverwalteten Hausprojekt in der Nähe der Admiralsbrücke. Wie kam es dazu?

Wir haben vor mehr als 30 Jahren ein Haus, das abgerissen werden sollte, wiederaufgebaut und eine Gemeinschaft gegründet, um uns – auch im Alter – gegenseitig zu unterstützen. Das waren ziemlich unterschiedliche Leute: alleinerziehende mit Kindern, Frauen, Familien, aber alle berufstätig. Bis heute ist das Haus eigentlich mein Dorf, meine Heimat. 

Gibt es mitten in diesem Gentrifizierungshotspot irgendeinen Ort, der sich über all die Jahre nicht verändert hat?

Der Kanal ist noch da. 

Und über dem Kanal, auf der Admiralsbrücke, sitzen die Hipster Berlins.

Das ist inzwischen eine Party-Location. In Berlin ist es ja so, dass selten was schöner wird. Da ist immer so ein gewisser Chic der Verwahrlosung. Sowohl in der Stadt als auch bei den Menschen. Hier kann man alles tragen, was seit Beendigung der Luftbrücke in den Kleiderdecken ist.

Wo kaufen Sie Ihre Kleidung?

Das meiste lasse ich anfertigen. Ich habe irgendwann für mich festgestellt, dass ich stilvoll altern wollte und nicht als Berufsjugendlicher mit Baseball-Kappe, zerknittertem T-Shirt und einer Sporthose, die zum Turnen geeignet ist. Ich bin sicher, dass die Jugend, die heute so herumläuft, irgendwann in 20, 30 Jahren Fotos anguckt und sich dafür schämt, was sie damals angezogen hat. 

Viele tragen ja auch einfach Schwarz.

Ja, sicher. Wie langweilig! Diese Komfortzone des Massengeschmacks ist ungeschlagen. Dabei gibt es heute so viele Möglichkeiten, wie nie zuvor. Ich feiere die Leute, die sich trauen, ihr eigenes Ding zu machen, die einfach aus dieser Komfortzone heraustreten und sagen: Hier bin ich! Die anderen gibt es ja alle schon, die muss man nicht imitieren.

Bevor wir die Berliner Runde beenden: Ihr Lieblingsort in der Stadt?

Die Friedhöfe finde ich toll. Das sind Orte der Ruhe und Besinnlichkeit. Ein Ort zum Nachdenken. Wenn ich dahin komme, weiß ich, dass ich allein bin. Und die alten Berliner Friedhöfe sind ja Parks, die traumhaft schön sind. Da bin ich ganz gerne.

Macht das nicht melancholisch?

Ich sage den Leuten immer: Nur wenn ich die Endlichkeit begreife, habe ich die Freude, dass ich hier bin. Dann weiß ich das Leben zu schätzen.  

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