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Fusion Publishing

© Mike Wolff

Zugpunkt: Firmen sorgen für neues Leben in alten Höfen

Vor allem für kleinere und mittlere Firmen sind die vielen historischen Industriebauten ideale Standorte. So auch für die Firma Fusion Publishing in Kreuzberg.

Noch fehlen die Pflanzen, aber ansonsten hat es sich die Firma Fusion Publishing im Gewerbehof in Kreuzberg direkt an der Spree bereits gemütlich gemacht: weiße Möbel, weitläufige Büros mit Zwischenwänden aus Glas und ein traumhafter Ausblick auf die Oberbaumbrücke.

Gerade einmal vier Monate ist es her, dass die Stuttgarter mit ihren zwölf Mitarbeitern in die Hauptstadt gezogen sind. „Wir haben in Stuttgart einfach nicht das Potenzial gesehen für die Mitarbeiter, die wir brauchen“, sagt Managing-Direktorin Corina Kayfel. Das Unternehmen stellt zum Beispiel Bildbände über Luxushotels in aller Welt her und will deren Inhalte nun auch fürs Internet und Handy anbieten. „Dafür brauchen wir Kreative, die sich mit der neuen Technik auskennen.“ In Stuttgart ist Kayfel nicht fündig geworden, in Berlin hat sie auf die Stellenanzeigen hingegen eine „wahre Bewerberflut“ erreicht. Außerdem hörten die Stuttgarter von immer mehr Branchenkollegen, dass diese über einen Umzug nach Berlin nachdachten. „Hier tut sich etwas, da wollten wir einfach dabei sein.“ Jetzt belegen sie mit inzwischen 18 Mitarbeitern 600 Quadratmeter an der Schlesischen Straße 27. In Stuttgart wäre diese Größe undenkbar gewesen, sagt Kayfel. Dort sei der Platz begrenzter – und teurer.

Vom 19. Jahrhundert an war die Stadt das aufstrebende Zentrum der Elektroindustrie. Firmen wie AEG und Siemens bauten Glühbirnen, Dampfturbinen, Flugzeugmotoren oder Elektrolokomotiven. Einst rauchten hier Schornsteine, heute Köpfe. „Diese Gewerbehöfe sind eine Berliner Eigenart und liegen mitten im Kiez“, sagt Christoph Lang von der Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner. „Wohnen, Gastronomie und Nahversorgung“ in der unmittelbaren Nachbarschaft trügen zur großen Attraktivität bei. Außerdem könnten Unternehmen je nach Bedarf zusätzliche Flächen mieten und so flexibel wachsen. „Das ist besonders wichtig für Start-ups in den Zukunftsbranchen.“

Die GSG-Höfe bieten vor allem kleineren und mittelgroßen Firmen Unterschlupf. „Der Vermietungsstand ist sehr gut“, sagt Sabrina Eilers von Orco Germany, zu der die GSG seit 2007 gehört. Die alten Industriebauten sind zu 85 Prozent vermietet. Besonders in Mitte, Wedding, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf stehen die Höfe – und damit in den Bezirken, die bei der Kreativwirtschaft am beliebtesten sind, wie eine von der Orco veranlasste Studie unter 9000 Firmen zeigt.

Mit der GSG-Übernahme hat sich Orco verpflichtet, junge Betriebe bei der Gründung zu unterstützen. Diese schätzen nicht nur den industriellen Charme, sondern auch die relativ niedrigen Mieten und flexiblen Verträge, die Ausstattung mit schnellen Internetzugängen und die Chancen zur Kooperation mit anderen Mietern. Die Räume werden saniert und mit Grundausstattung übergeben. Den Ausbau, zum Beispiel mit speziellem Parkett, müssen die Mieter selbst übernehmen. „Sonst könnten wir nicht die günstigen Mieten anbieten“, sagt Eilers.

Vier Fünftel der Mieter sind Kleinunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern. Die Mischung ist bunt. Die deutliche Mehrzahl kommt aus dem Dienstleistungs- und Kreativbereich: Werbung, Medien, Mode, Galerien, Finanzen, Callcenter, Handel, Wohnungswesen oder Messeorganisation. Jeder zehnte Betrieb gehört dem produzierenden Gewerbe an.

Einer davon ist die Kaffeemanufaktur von Elisabeth und Wilhelm Andraschko an der Köpenicker Straße. Seit 30 Jahren lebt der Wiener mit seiner Frau in Berlin. „Wir haben uns einen Platz gesucht, wo wir auch produzieren können, ohne Büronachbarn zu stören.“ Jeder Hof hat einen Schwerpunkt. An der Köpenicker Straße sind es Tischlereien, eine Autowerkstatt und die Kaffeemanufaktur, die Kaffeebohnen aus aller Welt selber mahlt und Warenhäuser oder kleine Kaffeeläden beliefert. Andraschko schätzt die Nähe zu seinen Kunden und zur eigenen Wohnung. „Das ist einzigartig in Deutschland.“

Seit Januar 2009 betreibt die GSG überdies eine Gründeretage im Schöneberger Hof an der Feurigstraße. Hier finden Freiberufler und Unternehmer aus dem Dienstleistungsbereich sieben Arbeitsplätze zu Sonderkonditionen. „Am kreativen Potenzial Berlins ist auf jeden Fall etwas dran“, sagt Sabrina Eilers. Schließlich müssten auch Autoteile irgendwo designt werden, bevor sie in Produktion gehen. Was einst die Elektroindustrie war, sei heute die Kreativbranche: der Motor für Wachstum in Berlin.

Jörg Oberwittler

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