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Teuer erkauft. Die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe hat Berlin sich rund 1,2 Milliarden Euro kosten lassen.

© Getty Images/iStockphoto

Berliner Wirtschaft: Wie viel Staat soll's sein?

Vor fünf Jahren kaufte Berlin die Wasserbetriebe von den Konzernen Veolia und RWE zurück. Seither ist Wasser in der Hauptstadt so günstig wie nie. Zeit, um ein liberales Credo zu überprüfen: Wirtschaften die Privaten wirklich besser als der Staat?

Anton Hofreiter hätte es eigentlich besser wissen müssen. Die Wasserpreise seien seit 2005 um ein Viertel angestiegen, behauptete der Chef der Grünenfraktion im Bundestag vor wenigen Wochen. Hätte er zuvor zum Hörer gegriffen und bei den Parteikollegen auf Landesebene nachgefragt, hätte er allerdings erfahren: stimmt nüscht. Zumindest in Berlin ist sogar das Gegenteil der Fall: Die Wasserpreise liegen mittlerweile so niedrig wie nie zuvor. Und seine Partei war maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt.

Doch der Reihe nach. Vor fünf Jahren gingen Berlins Wasserbetriebe wieder vollständig ins öffentliche Eigentum über, nachdem das Land den Konzernen Veolia und RWE ihre Unternehmensanteile in Höhe von insgesamt 49,9 Prozent abgekauft hatte. Anstoß für diese Rekommunalisierung gab der Wassertisch und dessen erfolgreiches Volksbegehren zur Offenlegung der Wasserpreise. Die Bilanz von Mitinitiatorin Ulrike Kölver fünf Jahre danach? „Gemischt“, sagt sie. Die Aktivisten hätten einen harten Schnitt mit den Privaten bevorzugt, einen Ausstieg mit einer Klage wegen der „Sittenwidrigkeit“ des Vertrages zwischen Land und Privaten, denn dieser habe Entschädigungen für die Käufer vorgesehen, auch wenn der Vertrag damit gegen höherrangiges Recht verstoße.

Statt diesen Hebel zu nutzen, habe der damalige Finanzsenator Ulrich Nußbaum „hinter verschlossenen Türen“ verhandelt und die Anteile „viel zu teuer“ zurückgekauft. Das beraube die Wasserbetriebe um die Möglichkeit einer schnelleren Sanierung des Netzes. Auch sei der Wasserpreis immer noch zu hoch, weil das Eigenkapital mit mehr als fünf Prozent verzinst werde und dieses Geld fließe in den Berliner Haushalt und fehle für Investitionen.

SCHLEICHENDE PRIVATISIERUNG?

Hat sich aber nicht die Haltung zur Privatisierung geändert? Bei den Berlinern schon, nicht aber beim Senat, meint Ulrike Kölver, der mit der Schulbauoffensive „schon wieder einen Einstieg privater Investoren“ vorbereite. Wie berichtet soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge die auf rund zwei Milliarden Euro geschätzte Sanierung und den Neubau von Schulen übernehmen und darf dazu ab 2021 selbst Kredite aufnehmen. Dieser „Schattenhaushalt“ ist umstritten und droht bei der EU durchzufallen. Die Aktivisten rechnen damit, dass der Senat Anleihen an Private ausgibt, die sich diese mit hohen Zinsen bezahlen lassen.

Eine schleichende Privatisierung über den Verkauf von Krediten? Das schließt Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) kategorisch aus. Der Hüter des Berliner Vermögens ist das Gegenteil eines Neoliberalen, indem er das „sozialdemokratische Unternehmertum“ zum Königsweg erklärt. Einfach ausgedrückt versteht er darunter öffentliche Firmen, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind und eben nicht maximaler Gewinnerzielung. Trotzdem sollen sie einen stabilen Ertrag liefern, damit sie nicht „das Vermögen verjuxen“. Ein dritter Weg gleichsam. Deshalb sind Berlins landeseigene Firmen auf Rendite getrimmt. So muten etwa die Wohnungsunternehmen ihren Kunden Mieterhöhungen (zwei Prozent jährlich) zu, ohne diese aber zu überfordern, weil sie mit der Entwicklung der Einkommen in Einklang stehen.

Wassermann. Jörg Simon ist bereits seit dem Jahr 1999 der Vorstandsvorsitzende der Berliner Wasserbetriebe.
Wassermann. Jörg Simon ist bereits seit dem Jahr 1999 der Vorstandsvorsitzende der Berliner Wasserbetriebe.

© imago/Markus Heine

Dass Berlins Wasserbetriebe plötzlich mit Niedrigpreisen glänzen und auch die Müllgebühren zu den günstigen in Deutschland zählen, so wie die Bus- und Bahnfahrscheine, das sieht der Finanzsenator als Beweis dafür, „dass sich das neoliberale Versprechen nicht erfüllt, wonach privat geführte Unternehmen besser und effizienter wirtschaften“. Aber Kollatz-Ahnen räumt auch ein: „Wir haben dazugelernt“ – und es gebe, anders als früher, ein marktwirtschaftlich geprägtes Leitbild: Effizient müssen die Landesfirmen sein, konkurrenzfähig mit Privaten, aber außerdem besser für den Kunden.

Zumal es noch nicht lange her ist, dass sich Berlin den Ruf als Hauptstadt von Filz und Korruption redlich verdient hatte, weil die gut bezahlten Posten in Landesfirmen nach Parteibuch verteilt wurden. Ausgerechnet dem CDU-Granden Richard von Weizsäcker spricht der Sozialdemokrat Kollatz-Ahnen das Verdienst zu, die Selbstbedienung durch Besetzung von Posten mit „Leuten von draußen“ statt mit Eigengewächsen durchkreuzt zu haben. Wowereit und Müller seien diesem Beispiel gefolgt.

Wenn die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe so gut glückte, müssten dann nicht weitere folgen: die Netze für Strom zum Beispiel oder für Gas? „Wenn sich eine Gelegenheit böte, würde ich dafür werben“, sagt Kollatz-Ahnen. Doch die Lage ist vertrackt. Erst kam die grandiose Blamage des Landes beim Griff nach dem Gasnetz, der durch ein noch laufendes Gerichtsverfahren blockiert wird, und den Alt-Konzessionär Gasag den Weiterbetrieb zusicherte. Beim Strom ein ähnliches Bild: Die Bewerbung der landeseigenen „Berlin Energie“ wird mit allen Rechtsmitteln von Vattenfall bekämpft, wobei hier die erste Instanz an das Land ging.

EINE BUNDESWEITE BEWEGUNG

Wie auch immer die Kämpfe ausgehen: „Die Kommunalisierung ist eine bundesweite Bewegung“, sagt Kollatz-Ahnen. Hamburg habe eben erst sein Stromnetz zurückgekauft. Und auch viele Kommunen in den Flächenstaaten verabschiedeten sich von Kooperationen mit privaten Firmen, die häufig wie in Berlin mit einer Aufteilung der Anteile im Verhältnis von 49 zu 51 zugunsten der Privaten erfolgten – und sehr oft mit umstrittenen Preiserhöhungen zulasten der Bürger.

Das sieht der Generalsekretär der CDU ,Stefan Evers, anders: „Die Führung von Unternehmen ist nicht Aufgabe des Staates, solange es nicht um die Daseinsfürsorge geht.“ Deshalb lehnt er auch den Rückkauf von Gas- und Stromnetzen als „völlig unnötig“ ab: „Der gesetzliche Rahmen ist extrem eng abgesteckt und Margen wie bei den Wasserbetrieben ausgeschlossen“. In dem Fall sei der Rückkauf der Anteile dagegen eine „gute und richtige Entscheidung“, denn wegen der hohen Garantieabführungen sei das Unternehmen ein Goldesel für die privaten Partner gewesen – „da musste man raus“. Kurzum, wenn der Staat als Einziger die Aufgabe sicher und preisgünstig erfüllen könne, dann könne er es machen – nicht aber „allein aus Gewinn- oder Renditestreben“. Sonst sei der Schritt zu riskanten Investments nicht mehr weit.

Zählt sich nicht zu den ideologischen Kommunalisierern: Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).
Zählt sich nicht zu den ideologischen Kommunalisierern: Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).

© imago/IPON

Auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) zählt sich nicht zu den ideologischen Kommunalisierern, nennt den Rückkauf der Wasserbetriebe trotzdem „richtig – die Rekommunalisierung musste sein, da Wasser ein öffentliches Gut ist“. Die große Koalition habe das Unternehmen allerdings „erheblich belastet“, indem sie ihm die Refinanzierung des Rückkaufpreises von 1,2 Milliarden Euro aufbürdete. Berlin müsse deshalb jedes Jahr auf einen Gewinn in zweistelliger Millionenhöhe verzichten. Diese „Schatten der Vergangenheit“ könne der Betrieb nur durch ein „hervorragendes Management“ tragen. Zumal es zugleich 2,3 Milliarden Euro bis 2023 in die Wasserqualität Berlins investiere. „Das täte ein Privater, der auf die Rendite guckt, nicht in diesem Umfang“, sagt Pop. Nur bei öffentlichen Unternehmen seien Investitionen in öffentliche Infrastruktur eben im „eigenen“ Interesse. Deshalb und weil die Energiewende mit politischem Einfluss auf eine landeseigene Firma besser voranzubringen sei, spricht sich Pop auch für eine Rekommunalisierung von Energie- und Wärmeversorgung aus.

HÖHERE EFFIZIENZ

Aber was sagt eigentlich der Chef der Firma selbst zum Rückkauf der Anteile? „Die Entscheidung fand ich richtig“, sagt Jörg Simon. Ohne die Privaten fielen eine Menge Abstimmungen und „Gesellschaftermanagement“ weg, zusätzliche Berichte über den Verlauf des Geschäftes. Nun konzentriere man sich wieder voll auf die eigentliche Arbeit, den Wasserkreislauf mit den Werken und Netzen. Erleichtert ist Simon auch, dass die Diskussion über die hohen Gewinnausschüttungen und die teuren Wasserpreise vorbei ist: „Das war schwer einzufangen.“

Dass der einst als teuer bekannte Wasserlieferant Deutschlands nun zu den preiswerten gehört, sei nicht nur dem Ausstieg der Privaten zu verdanken, sondern auch der verbesserten Effizienz, dem Verzicht des Landes auf Teile des Gewinns und den Zehntausenden von neuen Kunden, den Neuberlinern in der wachsenden Stadt. Und wie bewertet Simon Bemühungen zur Rekommunalisierungen von Strom- und Gasversorgern? „Wenn eine Stadt dem Klimawandel begegnen und Energiewendeziele verfolgen will, braucht sie maßgebliche Anteile an den Firmen.“ Dezentralere und kleinere Anlagen seien dazu etwa nötig und das sei schwer vereinbar mit einem „auf Margen“ ausgerichtetem „alten Modell“, das für einen Energiemulti wie Vattenfall attraktiv sei.

Unterscheidet sich das Management in öffentlichen überhaupt von dem privater Wasserwerke? „Das hängt eher von Personen ab“, sagt Simon – die meisten Chefs landeseigener Firmen hätten einen „privaten Hintergrund“ und würden sich an Wettbewerbern messen. Und wo Monopolmärkte wie beim Wasser gegeben sind, da könne man sich wechselseitig in die Karten schauen lassen, voneinander lernen, um sich zu verbessern. Dazu habe er neben dem Benchmarking in der Branche auch Kooperationen mit Wasserbetrieben in Paris, Amsterdam, Hamburg und anderen deutschen Großstädten geschlossen.

Dieser Artikel erschien in der wöchentlichen Sonderseite "Berliner Wirtschaft". Folgen Sie uns auf Twitter für Updates: @BRLNRwirtschaft

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