zum Hauptinhalt
Graffiti "LieBerlin" an der Hochbahn Schoenhauser Allee.

© Doris Spiekermann-Klaas

Große Gefühle in der Berliner Wirtschaft: Wenn die Liebe Umsatz macht

Gehen Geld und Beziehung zusammen? Unsere Autorin hat sich mit Berliner Paaren getroffen, die romantisch und auch geschäftlich verbunden sind – oder es waren.

Beim Geld hört die Freundschaft auf, so heißt es – doch trifft das auch auf Beziehungen zu? Stellt man diese Frage den Berliner Unternehmern Antje Strubelt und Heiko Braun, fällt die Antwort undeutlich aus: jein. Das gemeinsame Geschäft hat die Beziehung der beiden auf eine harte Probe gestellt – und letztendlich zum Ende der Romanze geführt. Geschäftspartner sind sie aber noch immer – sehr gerne sogar.

Doch der Reihe nach. Zehn Jahre lang waren die beiden ein Paar – vielleicht sind es auch nur neun – darüber sind sie sich heute nicht einig. Sie lernten sich beim Studium kennen. Mit der Liebe entstanden gemeinsame Pläne und schließlich eine Geschäftsidee. Seit 2004 verkaufen sie in ihrem Laden in Prenzlauer Berg ihre selbstentworfenen Taschen. Der Markenname: „Ta(u)sche“, weil der Deckel austauschbar ist, damit die Tasche zu jeder Gelegenheit passt.

„Wir waren jung und voller Tatendrang“, erinnert sich Heiko, „Was das für unsere Beziehung bedeutet, darüber haben wir nicht nachgedacht.“ Es sei eine schöne, eine spannende Zeit gewesen, als die beiden das Geschäft aufbauten, die menschliche Beziehung zwischen ihnen trat dabei schnell in den Hintergrund. „Bei 14 Stunden Arbeit täglich, fragt man sich nicht, ob alles noch in Ordnung ist". Geschäftlich sind beide noch heute ein Paar, privat gingen sie nach zwei Jahren getrennte Wege. Antje hat heute vier Kinder mit ihrem neuen Partner, Heiko lebt allein. Woran ihre Beziehung gescheitert ist, können sie nicht mehr genau sagen. Einen großen Streit gab es nicht, es ging langsam auseinander.

Die Gründer, Besitzer und Betreiber Anja Strubel und Heiko Braun. Ihre Idee: Taschen mit einem Korpus und austauchbare Deckel.
Die Gründer, Besitzer und Betreiber Anja Strubel und Heiko Braun. Ihre Idee: Taschen mit einem Korpus und austauchbare Deckel.

© Mike Wolff

Eine schleichende Erosion

Es sind die kleinen Dinge, die die Liebe kaputt machen, nicht die großen. Das ist im Business nicht anders als im Privaten, weiß Kurt Hahlweg. Der 71-Jährige ist Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie an der TU Braunschweig und leitet seit 25 Jahren Ehevorbereitungs-Seminare. Seine Erfahrung lehrt ihn, dass grundsätzlich jede Beziehung von einer schleichenden Erosion durch Monotonie und Gewöhnung bedroht ist. Je mehr Zeit man miteinander verbringt, desto schneller kann dieser Prozess voranschreiten. Nicht nur deshalb stelle ein gemeinsames Berufsleben Paare vor weitaus mehr Herausforderungen als sie zwischenmenschliche Beziehungen zwangsläufig mit sich bringen.

Die meisten Beziehungen scheitern an der mangelhaften Kommunikation. Wenn Frust, Enttäuschung oder auch Lob unausgesprochen bleibt, sei das ein sicherer Beziehungskiller. Paare, die sich dieser Gefahr bewusst seien, könnten daran wachsen – und mit ihnen die Geschäftsidee. Ein Geheimrezept wie das gehen soll, hat Hahlweg nicht. Es gebe aber durchaus erfolgsversprechende Strategien, um Liebes- und Geschäftsleben in Einklang zu bringen. „Ich rate den Paaren immer, einen festen Gesprächstermin zu vereinbaren, an dem Probleme offen angesprochen werden“, sagt Hahlweg.

Geschäft und Liebe, das schließt sich also nicht aus. Das beweist auch die Geschichte von Elke Dornbach und Nadia Massi. Bei ihnen wurde aus anfänglicher Skepsis ein kleiner erfolgreicher Betrieb mit heute sieben Mitarbeiterinnen. „Wir sind froh, dass wir nach neun Jahren immer noch gemeinsam auftreten. In unserem Freundeskreis waren die Zweifel groß, dass wir als Paar zusammen bleiben“, erzählt Nadia Massi. Seit 2012 betreiben die Frauen in der Neuköllner Karl-Marx-Straße die „Bioase44“, einen Biomarkt mit Café. Täglich gibt es selbstgemachte Suppen, die nicht nur die zahlreichen Stammkundinnen und Stammkunden zu schätzen wissen.

Gemeinsame Werte wie Ehrlichkeit und Nachhaltigkeit

Das Projekt war Dornbachs Idee. Dafür ist sie zu Massi nach Berlin gezogen. Wie viel Arbeit auf sie zukommen würde und was ein Laden für ihre Beziehung bedeutet, konnten auch sie nur erahnen. Schließlich sind es aber die gemeinsamen Werte, wie Bereitschaft, Ehrlichkeit, Achtsamkeit und Nachhaltigkeit, die hinter der Ladenidee stehen und die beide immer wieder ermutigen, sich gemeinsam neuen Herausforderungen zu stellen. Und, ganz wichtig, die Bereitschaft zum Verzicht: „Uns war klar, dass wir hier nicht mit Reichtümern rausgehen“, sagt Massi. Bis heute leisten sich die beiden nur ein kleines Gehalt.

Funktionieren tut das gemeinsame Geschäft heute auch deshalb, weil die beiden auch ihre Beziehung auf das Geschäftsleben vorbereitet haben. Sogar ein Coaching haben sie gemeinsam besucht. „Als die Coacherin mir damals sagte, ein Laden sei wie eine Ehe, da musste ich schon schlucken. Das hat mir ein wenig Angst gemacht.", erinnert sich Elke.

Nadia Massi (li.) und Elke Dornbach, die Inhaberinnen vom Bioladen "bioase44".
Nadia Massi (li.) und Elke Dornbach, die Inhaberinnen vom Bioladen "bioase44".

© Thilo Rückeis

Und die Probleme des Alltags ließen nicht lange auf sich warten: Die Wege trennten sich morgens nicht mehr, jetzt stand man zusammen auf und sah sich im Laden gleich wieder. Eine kleine Unstimmigkeit am Morgen drückte die Laune dann noch mindestens den ganzen Vormittag. Und auch das Privatleben war ein anderes, berichtet das Paar. Sie mussten auch noch mal neu lernen, mit ihrer Freizeit umzugehen. „Ich habe viele Freunde und Bekannte verloren in der ersten Zeit, weil ich meine ganze Energie in dieses Projekt gesteckt habe.“, erinnert sich Massi.

Auch der Feierabend war plötzlich anders. „Ich musste mich neu erfinden. Manchmal wollte ich nicht mit ihr zusammen essen, ich brauchte auch mal Zeit für mich. Das ist für uns beide eine Herausforderung.“

Wenn sie Freunde besuchten, war immer die erste Frage: Was macht der Laden? Gefolgt von: Seid ihr denn noch zusammen, habt ihr überhaupt noch Zeit für euch?

Gemeinsame Rituale pflegen

Um sich als Paar nicht zu verlieren, nehmen sich Dornbach und Massi regelmäßig gemeinsame freie Wochenenden und pflegen Rituale, wie den Sonntagsbrunch. Das sind dann „ladenfreie Zeiten“, in denen nicht über die Arbeit gesprochen wird. Gibt es im Laden doch mal Unstimmigkeiten, können die im wöchentlichen Teammeeting besprochen werden. Sie arbeiten in unterschiedlichen Schichten und haben ihre Arbeitsbereiche bewusst aufgeteilt, um einander genügend Raum zu lassen. Jedes Jahr fahren sie einmal zusammen und dann noch jede für sich in den Urlaub.

Heute sind sie stolz, auf das, was sie sich als Paar und als Geschäftspartner aufgebaut haben und trotzdem würden sie sich wohl kein zweites Mal darauf einlassen. „Ich denke, es war gut, dass ich nicht wusste, was auf mich zukam. Sonst hätte ich es wahrscheinlich nicht getan“, sagt Elke Dornbach. Die Erfahrung missen möchten sie aber trotzdem nicht. Schließlich bringe das gemeinsame Arbeitsleben auch Vorteile mit sich, wenn Ehrlichkeit den Ton angebe. Sie haben sich durch das Unternehmen intensiver kennengelernt. Die Wege sind kürzer, das Vertrauen ist größer. Ihre Beziehung steht auf einer anderen Basis.

Das bestätigen auch Antje Strubelt und Heiko Braun. Auch wenn ihre Paarbeziehung nicht gehalten hat, können sie sich im Geschäft nach wie vor hundertprozentig aufeinander verlassen. An der Arbeit ist ihre Beziehung jedenfalls nicht gescheitert. Zusammen gründen würden sie jederzeit wieder, darüber sind sie sich einig. „Die Vorstellung, dass einer was anderes machen möchte, wäre seltsam, wir müssten dann das Projekt beenden“, sagt Strubelt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das nur einer von uns weitermacht. Es gäbe nur ganz spezielle Gründe, wie der Tod des anderen, der mich dazu verleiten würde, das Unternehmen eigenständig weiterzuführen“, bekräftigt sie. Und Braun stimmt zu: „Ich sehe das genauso“. So viel Einigkeit muss sein.

Interview: "Gemeinsam Zeit nehmen ist wichtig"

Graffiti "LieBerlin" an der Hochbahn Schoenhauser Allee.
Graffiti "LieBerlin" an der Hochbahn Schoenhauser Allee.

© Doris Spiekermann-Klaas

Begünstigt gemeinsames Arbeiten Erosions-Effekte?

Ja, sicherlich. Es kommt aber auch darauf an, wie der Arbeitsalltag gestaltet wird. Es kann sinnvoll sein, sich die Arbeit aufzuteilen. Außerdem ist es wichtig über das „Ich und Wir“-Verhältnis zu sprechen. Die Kunst dabei ist, einen gemeinsamen Nenner zu finden: Derjenige, der mehr Freiraum für sich beansprucht, muss dabei auch bereit sein, sich für die Wir-Beziehung mehr anzustrengen.

Welche zusätzlichen Probleme ergeben sich für die Paarbeziehung?

Üblicherweise trifft der Stress von außen auf die Beziehung. Der Streit mit einer Kollegin kann dann zu Hause vom Partner aufgefangen werden. Sind aber beide Partner von einer Auseinandersetzung im Betrieb gleichermaßen betroffen, hat der Stress plötzlich eine ganz andere Qualität. Schließlich sind automatisch beide emotional beteiligt, wenn es um das eigene Unternehmen geht. Schnell kommt es dann auch zu gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Kann sich ein Paar auf das Geschäftsleben vorbereiten?

Man sollte sich unbedingt gemeinsame arbeitsfreie Zeiten nehmen. Ich rate Paaren auch dazu gerade in der Anfangszeit einer Unternehmensgründung, einen regelmäßigen Termin zu vereinbaren, an dem sie über ihre Partnerschaft reden.

Wenn die Gefühle doch mal gleich raus müssen, sollte man sich eine Strategie bereitlegen, damit man den Partner durch eine unbedachte Wortwahl nicht verletzt.

Die Kommunikation ist also entscheidend?

In den Ehevorbereitungsseminaren trainieren wir mit den Paaren, offen zu kommunizieren und Probleme zu lösen. Bei den Paaren, die daran teilgenommen haben, ist die Scheidungsrate verschwindend gering. Bei harten Gefühlen, wie Ärger, Wut oder Ekel ist die Reaktion des Partners unwichtig. Es geht darum sie rauszulassen. Aber Partnerschaften gehen nicht notwendigerweise an den harten Gefühlen kaputt, sondern an den weichen.

Aber eine konkrete Anleitung gibt es nicht?

Nein, ich sage den Paaren nicht, was sie zu tun haben. Ich rate ihnen nur, Probleme stets anständig zu lösen. Ein Paar sollte sich aber auf berufliche Konflikte vorbereiten. Die können nämlich im gemeinsamen Unternehmen womöglich noch größer sein, weil oft viel auf dem Spiel steht. Im Übrigen lassen sich Privates und Geschäft grundsätzlich nicht trennen.

Kurt Hahlweg ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Technischen Universität Braunschweig

Prof. Kurt Hahlweg kennt sich aus mit dem Zwischenmenschlichem.
Prof. Kurt Hahlweg kennt sich aus mit dem Zwischenmenschlichem.

© Hahlweg

Zur Startseite