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Kleben und kleben lassen. Joab Nist geht selten ohne Kamera aus dem Haus. Denn der 29-Jährige dokumentiert Berlins Zettelwirtschaft. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Berliner veröffentlicht gezettelte Botschaften in Blog: Aus Hang zum Aushang

Joab Nist sammelt auf seiner Internsetseite Botschaften, die sich an Masten und Wänden finden. Sie seien ein Stück urbane Kultur, ist er sich sicher, sie geben Einblick in die Seele der Hauptstadt. Aber das gilt nicht für alle Botschaften, die er veröffentlicht.

Mit der Liebe fing alles an, genauer mit einem handschriftlichen Zettel. Adressiert war er an „Johanna!“, befestigt an einer Laterne in Prenzlauer Berg. Auf dem Stück Papier gestand der Verfasser in grünen Lettern, dass es ihn all seinen Mut gekostet habe, besagte Johanna auf der Straße anzusprechen. Und dass er „der glücklichste Felix in ganz Prenzlberg“ wäre, wenn er sie wiedersehen könnte. Dazu eine Mailadresse, unter der sich die Gesuchte melden kann.

Ob Johanna und Felix je zueinander gefunden haben, weiß Joab Nist nicht. Er wurde im Vorbeigehen auf den Aushang aufmerksam und machte ein Foto. „Ich fand den Aufruf sympathisch und nachvollziehbar“, sagt Nist, während er in einem Café in der Kastanienallee sitzt. Der Zettel war die Basis für die Sammlung, die der 29-Jährige später auf seinem Blog „Notes of Berlin“ veröffentlichte.

Gestartet ist die Internetseite vor genau zwei Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Nist ein Archiv an 200 teils sehr lustigen, teils sehr obskuren Zetteln aufgebaut. Fortan stellte er jeden Tag einen online, versehen mit der Information, in welchem Bezirk, welcher Straße die Aufnahme gemacht wurde.

Kriegserklärung. Mit diesem Aushang wurde in der Tellstraße in Neukölln vor Fahrraddieben gewarnt.
Kriegserklärung. Mit diesem Aushang wurde in der Tellstraße in Neukölln vor Fahrraddieben gewarnt.

© Notes of Berlin

„Ich musste erst mal in Vorleistung gehen, damit die Leute die Idee verstehen und sich dann beteiligen, um den Nachschub zu sichern.“ Der Gedanke ging auf. Mittlerweile hat sich ein Stamm von Usern entwickelt, der regelmäßig Fotos von absurden Botschaften aus der ganzen Stadt einschickt. Die besten sind kürzlich in einem Buch erschienen. Der Titel „Wellensittich entflogen. Farbe egal“ geht auf den Aushang eines Vogelbesitzers in Friedrichshain zurück.

Für Joab Nist sind die Zettel ein Stück urbane Alltagskultur. Sie geben einen unverstellten Einblick in die Seele der Hauptstadt. Was treibt die Bewohner um? Wo verlaufen Konfliktlinien?  Was sagen die Aushänge über die Befindlichkeiten ihrer Verfasser? Aus diesem Grund verdienten die Botschaften ein größeres Publikum, findet Nist. „Jeden Tag hängen irgendwo solche Zettel und die Leute nehmen sie kaum wahr. Dieser Gedanke hat mich fertig gemacht.“

Warum Berlin das Zentrum der Zettelwirtschaft ist, dafür hat Joab Nist eine Erklärung: Voraussetzung sei, dass die Themen von einer bestimmten Klientel vorgelebt werden. „Die Durchmischung von Menschen bringt das hier zwangsweise mit sich.“ Reich und arm. Jung und alt. Einheimische und Zugezogene.

Dadurch entstehe eine Reibung, die München oder Köln in diesem Ausmaß nicht zu bieten hätte. „Die einzige Stadt, die in dieser Hinsicht noch mithalten könnte, ist Hamburg. Aber da ist die Zettelwirtschaft nicht so verbreitet wie hier. Das ist eine Kiezkultur, die damit einhergeht.“

Pro Tag kommen zehn Mails mit dokumentiertem Nachschub. „Es ist natürlich nicht alles brauchbar, aber Motive, die in Frage kommen, werden ins Archiv eingepflegt und nach und nach gepostet“, sagt Joab Nist. Entscheidend bei der Auswahl sei das Bauchgefühl. Gefälschte Zettel von Leuten mit übersteigertem Geltungsdrang werden aussortiert. Clever gestaltete Werbebotschaften natürlich auch. Von Nist selbst stammen nur noch zehn Prozent der veröffentlichten Bilder.

Das meisten Zusendungen kommen aus Prenzlauer Berg, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg. Jeder Stadtteil habe eigene Themenschwerpunkte, sagt Nist. In Neukölln werde zum Beispiel gern gegen den Hipster gewettert, in Prenzlauer Berg gegen Eltern und Schwaben.

Da ist Musik drin. Per Steckbrief sucht "Käptn ,Karl Theodor' Karacho" nach seiner Luftgitarre.
Da ist Musik drin. Per Steckbrief sucht "Käptn ,Karl Theodor' Karacho" nach seiner Luftgitarre.

© Notes of Berlin

Mitunter sind die Botschaften aber auch komplett sinnfrei. Wie etwa jene von „Käptn ,Karl Theodor‘ Karacho“, der nach seiner verlorenen Luftgitarre sucht und sich sachdienliche Hinweise „per Brieftaube“ erbittet. Dass die Zettelwirtschaft floriert, schreibt Nist nicht nur den toleranten Ordnungsämtern zu.

In München, seiner Heimatstadt, die er vor neun Jahren verließ, um in Berlin Kulturwissenschaften zu studieren, habe er mal testweise einen Zettel aufgehängt. Doch der sei schnell entfernt worden – von einem Anwohner: „Wenn das jetzt alle machen würden“, sagte der. Kaum auszumalen, wie die Stadt dann aussähe.

Zu finden sind die Zettel unter www.notesofberlin.com.

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