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"Für den Schuldienst ungeeignet": der selbsternannte "Volkslehrer" Nikolai N.

© Paul Zinken / dpa

Berliner Urteil zum "Volkslehrer": "Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung"

Im Verfahren um den selbsternannten "Volkslehrer" legt das Arbeitsgericht eine ambitionierte Urteilsbegründung vor.

Jetzt hat Nikolai N. schriftlich, was ihn bisher nur mündlich um seine Existenz im staatlichen Schuldienst gebracht hatte: Ihm fehle "die persönliche Eignung, Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes des Landes Berlin zu sein", bescheinigten die Arbeitsrichter dem selbsternannten „Volkslehrer“ in ihrer 35-seitigen Urteilsbegründung, die dem Tagesspiegel vorliegt. Mit anderen Worten: Die vor einem Jahr ergangene außerordentliche Kündigung war demnach rechtens.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) nannte die am Freitag bekannt gewordene Urteilsbegründung sowie das Urteil "überzeugend". Das Gericht habe "sehr fundiert und genau herausgearbeitet, dass diese ehemalige Lehrkraft für den Schuldienst ungeeignet ist". Eine Lehrkraft, die in dieser Art und Weise auftritt und Positionen vertrete, "die überhaupt nicht mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind", habe in der Schule keinen Platz". Eine Berufung ist möglich.

Der Vorsitzende Richter der 60. Kammer, Arne Boyer, hebt in seinem Schriftsatz – ebenso wie in der mündlichen Urteilsbegründung vom Januar – vor allem darauf ab, dass der ehemalige Weddinger Grundschullehrer die deutsche Verfassung angreife: "Der Kläger legt es mit großem Engagement darauf an, die Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz und die Organe der Gewaltenteilung ... zu beschimpfen oder verächtlich zu machen", stellt das Gericht fest. Dieser Vorwurf mitsamt Beweisführung ziehen sich durch weite Passagen des Urteils.

"Die Verfassung verächtlich gemacht"

So zitiert das Gericht aus Nikolai N.s Filmchen "Recht und Wahrheit Magazinvorstellung" einen Text, den der Lehrer zur Melodie der Deutschlandhymne vorgetragen hatte, und sieht in den Zeilen das "hohe Potential an Verächtlichkeit für den deutschen Staat". Eingeleitet wird diese Passage des Urteils mit einem Abriss zur Geschichte des Grundgesetzes, wobei Boyer den Bogen von den "Eliten der früheren Bundesrepublik Deutschland" über die 68er-Bewegung und den Mauerfall bis heute schlägt.

Breiteren Raum nimmt auch die Beschäftigung mit einem Plakat ein, mit dem sich Nikolai N. laut Gericht am 8. Oktober 2016 am Alexanderplatz fotografieren ließ. Die Aufschrift lautete: "Frieden geht nicht ohne Wahrheit: 1. Islamistischer Terror ist eine Erfindung der westl. Geheimdienste. 2. Zionisten stecken hinter den Geheimdiensten. 3. Die Gesichte des Holocaust ist eine Geschichte voller Lügen" (Anm. Die Formulierung "Gesichte" befindet sich so im Urteilstext).

Der Richter zitiert Umberto Eco

"Was der Kläger hier propagiert, ist eine durch die Begriffe "Geheimdienste", "Zionisten" und "Holocaust" modernisierte Fassung des traditionellen Gleichklangs von "Unwahrheit, Verschwörung und Judentum", heißt es im Urteil. In der anschließenden Ausführung zitiert Boyer ausführlich eine Passage aus Umberto Ecos "Der Friedhof in Prag", in der es um den Hass auf Juden und die identitätsstiftende Eigenschaft des Hasses geht, um von da ausgehend zum "raison d'être" der Bundesrepublik Deutschland zu kommen, der darin bestehe, "sich allen Bestrebungen zu widersetzen, den sich zum Judentum bekennenden Menschen wieder zum ideellen Gesamtprügelknaben der Menschheit zu machen". Daher stelle, so Boyer, "jede Anspielung auf die immerwährende 'jüdische Weltverschwörung' einen unmittelbaren Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung unseres Staates dar".

Sein Anwalt spricht vom "unbescholtenen Bürger"

Sein Anwalt sagte am Freitag auf Anfrage, es sei schon bei der mündlichen Begründung aufgefallen, dass das Gericht "überwiegend politische Erwägungen" vorbringe. Ob sein Mandant innerhalb der vorgeschriebenen einmonatigen Frist in Berufung gehe, werde anhand des seit wenigen Tagen vorliegenden Schriftsatzes entschieden.

Der Anwalt betonte, dass es zwar "Hunderte Strafanzeigen" gegen N. gegeben habe bzw. gebe, aber er sei "niemals verurteilt worden" und mithin ein "unbescholtener Bürger", der zudem als Lehrer "extrem beliebt" gewesen sei. Bei den Aktivitäten auf Youtube handele es sich lediglich um das "Freizeitverhalten".

Auf Youtube nicht mehr abrufbar

Als „Volkslehrer“ hatte Nikolai N. mit Hilfe seines Youtube-Kanals Verschwörungstheorien verbreitet – und er unterrichtete an einer Grundschule in Mitte die Fächer Englisch, Musik und Sport. Nachdem der Tagesspiegel im Januar 2018 die Internet-Aktivitäten des Lehrers publik gemacht hatte, war er Anfang Mai von der Bildungsverwaltung zunächst fristlos und später noch ordentlich gekündigt worden. Die Filme auf seinem Kanal, der über 70.000 Abonnenten hat, sind nicht mehr abrufbar, wie im März bekannt wurde.

Nach dem mündlichen Urteil im Januar hatte Scheeres geäußert, sie freue sich, "dass das Gericht unserer Rechtsauffassung gefolgt ist". Berliner Lehrkräfte hätten neben der Wissensvermittlung den Auftrag, junge Menschen zu mündigen und demokratischen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen: "Personen, die nicht zu unserem Grundgesetz und Rechtsstaat stehen, die Holocaustleugnern eine Plattform geben, haben an der Berliner Schule nichts zu suchen", sagte Scheeres.

Auch Angestellte "zur Loyalität verpflichtet"

Zuvor hatte die Bildungsverwaltung N. vorgeworfen, in seinen rund 300 Videos teils volksverhetzende Aussagen zu verbreiten und den sogenannten Reichsbürgern nahezustehen, die die Existenz der Bundesrepublik und ihrer Gesetze nicht anerkennen. Nach Angaben der Bildungsverwaltung hätten Schüler die Videos des "Volkslehrers" angesehen und kommentiert, daher hätten die Aktivitäten des Lehrers doch Auswirkungen auf den Unterricht. Auch angestellte Lehrer – und eben nicht nur Beamte – seien zur Loyalität verpflichtet.

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