zum Hauptinhalt
Das Familiengeschäft Rausch feierte 2018 sein 100-jähriges Jubiläum.

© promo

Berliner Traditionsunternehmen Rausch: Eine Entscheidung für die Schokolade

Raus aus den Supermärkten, rein ins Internet: Für die Berliner Confiserie-Manufaktur Rausch wurde das totz aller Warnungen aus der Branche zum Erfolg.

Nichts ist einfacher, als gute von schlechter Schokolade zu unterscheiden – sagt Robert Rausch. Er nimmt ein Stück in die Hand, drückt an beiden Enden, es knackt. „Sehen sie“, sagt er „es muss knacken.“ Klar: Ein Produkt, das nur irgendwie quietschen oder sich biegen würde, wäre auch nichts für Rausch, der ein gradliniger, entschlossener Typ ist, in der Erscheinung ebenso wie im geschäftlichen Stil. Willy Wonka, der exzentrische Schoko-Hexer aus Hollywoods Schokoladenfabrik, war ein ganz anderer Charakter.

Aber auch Rausch versteht von Schokolade natürlich erheblich mehr als nur das mit dem Knack. Das muss er auch, denn er ist der Chef von rund 400 Mitarbeitern, die sich ausschließlich mit diesem Lebensmittel beschäftigen, Chef der Berliner Traditionsfirma in fünfter Generation. Da liegt allerhand auf den Schultern, aber Rausch, der nach und nach seinen Vater Jürgen an der Spitze abgelöst hat, macht den Eindruck, als könne er die Verantwortung schultern.

Quasi zum Einstand spendiert er sich dieser Tage eine Millioneninvestition: Der Umbau des Rausch-Hauses am Gendarmenmarkt wird, wenn alles gut geht, noch vor Weihnachten mit der Eröffnung der „Plantagenwelt“ abgeschlossen. Zuletzt fehlten nur noch die Kopfhörer, die die Besucher durch die multimediale Inszenierung im ersten Stock führen. Dort war früher mal ein Schokoladen-Restaurant, das in dieser Form nicht mehr weitergeführt wird; im kleinen Bistro an der Straße sind ein paar der kulinarischen Ideen erhalten geblieben.

Aber klar: Das schokoladige Sendungsbewusstsein des Robert Rausch verlangt nach einer spektakulären Bühne. Wie kaum ein anderer mittelständischer Hersteller hat er sich mit seinem Vater schon vor geraumer Zeit auf eine radikale Strategie verständigt. Sie meinen, dass Qualität und Kosten eines so sensiblen Produkts nur dann vollständig zu kontrollieren sind, wenn einfach kein anderer mehr dazwischenfunkt, kein Importeur, kein Großhändler, kein Supermarkt-Einräumer, der die Rausch-Sachen dann womöglich irgendwo hinter den Vanille-Wolken des Edel-Marktführers Lindt&Sprüngli versteckt.

„Man konnte die Spinnweben richtig wachsen sehen“

Noch vor gut 20 Jahren war das ganz anders. Rausch produzierte in seiner Tempelhofer Manufaktur ein riesiges Sortiment von über 1200 Artikeln, das über eigene Geschäfte und die traditionellen Süßwarenläden vertrieben wurde. Doch die litten unter Überalterung, die Stammkunden starben aus, neue kamen nicht nach, „man konnte die Spinnweben richtig wachsen sehen“, wie Rausch sagt. Also schloss der gelernte Industriekaufmann und Betriebswirt mit seinem Vater erst die eigenen Läden, stellte dann die Belieferung der Fachgeschäfte ein, strich das Produktionssortiment rabiat zusammen und verkaufte, was übrig blieb, ganz und gar an umsatzträchtige Supermarktketten: Fast nur noch pure Schokolade mit den seinerzeit noch unüblichen Kakao-Prozentangaben und Herkunftsbezeichnungen.

Doch als sich dann zeigte, dass die Rausch-Schokoladen dort hinter den großen und zumeist billigen Marken untergingen und zudem der Markenname durch Preiskämpfe immer anfälliger wurde, sprangen sie erneut – und wieder ins Ungewisse. Die Supermarkteinkäufer von Rewe bis rauf zum KaDeWe, Inhaber uneingeschränkter Handelsmacht, staunten sehr, als sie 2015 selbst ausgelistet wurden, von ihrem Lieferanten. Nur noch online und im Geschäft am Gendarmenmarkt werde es künftig Rauschs Schokoladen geben, erfuhren sie.

Auch die Branche war skeptisch. Wenn das kein Rezept für den geschäftlichen Selbstmord sei, welches gebe es dann? Doch die Rauschs hatten gerechnet, mit der gleichen Kühle, die sie zur Abwicklung des Einzelhandelssortiments geführt hatte: Die Supermärkte waren der bei Weitem schwächste Zweig des Geschäfts, die Marge ebenso niedrig wie der Umsatz. Denn Preise von 2,20 pro 100-Gramm-Tafel sind für Manufaktur-Ware knapp, für den Kunden, der an 80-Cent-Ramsch gewöhnt ist, aber schon abschreckend hoch.

Die „längste Pralinentheke der Welt“

Erleichtert wurde dieser drastische Schritt durch zwei Trends: Zum einen eröffnete das Internet einen effektiven neuen Vertriebskanal, zum anderen entwickelte sich das 1999 gegründete Geschäft in Top-Lage am Gendarmenmarkt zum Touristenmagnet mit jährlich über einer Million Besucher, bei Tripadvisor gegenwärtig auf Platz 4 der Berliner Einkaufs-Attraktionen gleich hinter Dussmann. Die „längste Pralinentheke der Welt“ im Erdgeschoss zeigt bis zu 250 Variationen, das entgeht kaum einem Reiseführer.

Und wichtig: Der Gelegenheitskäufer im Supermarkt ließ ungefähr vier Euro in der Kasse, der Besucher im Rausch-Haus bringt etwa 20 Euro – und eine Online-Bestellung im Durchschnitt sogar 40 Euro und mehr. Das Problem dieser kompromisslosen Strategie liegt darin, dass es keine Zufallskunden mehr gibt, die übers Supermarktregal Kontakt mit der Marke aufnehmen, doch diese Betrachtung ist Rausch zu rückwärtsgewandt: „Wir haben jetzt so viel in die Marke investiert wie noch nie“, sagt er, und das betreffe eben auch die digitale Sichtbarkeit.

Die andere Seite dieser Radikalität führt zum Erzeuger: Die Manufaktur kauft keine Säcke auf Spotmärkten, bezieht ihren Kakao nur noch direkt von Vertragsplantagen in den wichtigen Erzeugerländern und hat in Costa Rica sogar ein eigenes Gut aufgebaut, um die Qualität weiter zu steigern. Rausch, erprobter Vielflieger, kann seitdem viel über Vogelspinnen und anderes unangenehmes Getier berichten, wechselt dann doch aber lieber zur ungefährlichen Kakaobohne und ihrer unendlichen Vielfalt.

Robert Rausch (l.) hat die Geschäftsführung von seinem Vater Jürgen übernommen.
Robert Rausch (l.) hat die Geschäftsführung von seinem Vater Jürgen übernommen.

© promo

Um ihren Nuancen auf die Spur zu kommen und gegen den Klimawandel gewappnet zu sein, betreibt Rausch in Costa Rica sogar ein Labor, in dem sich zwei Wissenschaftlerinnen mit derlei Zukunftsfragen beschäftigen. Angebaut werden neben Kaffee im Namen der Diversität auch Mango, Papaya und andere tropische Gewächse; die Mitarbeiter sind seit vielen Jahren im Geschäft und bringen satte Erfahrungen ein.

Dieser enorme Aufwand wirkt ein wenig verständlicher, wenn man weiß, dass Rausch neben der Berliner Manufaktur seit vielen Jahren auch eine einträgliche Fabrik in Peine betreibt, deren Produkte komplett an Supermärkte wie Lidl gehen, aber ausschließlich unter Fantasienamen. Hier wurden auch die legendären Air–Berlin-Herzen geschmolzen, bis zu 15 Millionen Stück in guten Jahren.

Der Schlussstein einer Strategie

Wenn also am kommenden Wochenende die neue Plantagenwelt im ersten Stock tatsächlich eröffnet, knapp zwei Monate nach dem 100jährigen Firmenjubiläum, dann ist das nicht nur eine teure Spielerei, sondern der vorläufige Schlussstein einer Marketingstrategie, die auf Sichtbarkeit ebenso setzt wie auf Kundenbindung, und die vor allem den Zulauf zum Haus noch steigern soll – wer mehr weiß und einige der handelnden Personen sogar zumindest virtuell kennengelernt hat, der bleibt der Marke eher treu als ein zufälliger Kunde.

Schließlich haben sich Konkurrenten von Ritter Sport über Neuhaus bis Läderach in unmittelbarer Nähe mit ihren eigenen Markenshops aufgemuskelt und die Gegend zum Schoko-Dorado gemacht, da ist die Gefahr groß, plötzlich nur noch einer von vielen zu sein. Das Gebäude selbst gehört Rausch nicht, aber ein 15-Jahres-Vertrag sichert die Investitionen und war überhaupt erst die Grundlage für den spektakulären Umbau.

Die Plantagenwelt, deren Besuch voraussichtlich 10 Euro kosten wird, bietet also umfassende Information über Geschichte und Produktion von Kakao und Schokolade, angereichert mit vielen Original-Requisiten und Kostproben. Jeder Besucher kann sich mit dem Kopfhörer treiben lassen und wird an jeder Stelle mit dem richtigen Text versorgt. Am Ende wirft ein 3-D-Drucker ihm dann noch ein Stück frische Schokolade zum Mitnehmen aus. Robert Rausch, dann alleiniger Chef im Unternehmen, wird hinterher ein wenig verschnaufen. Anschließend fliegt er zum soundsovielten Mal nach Costa Rica, wo er ein wenig mitbestimmen will über die Zukunft des Kakaos. Und weiterarbeiten am richtig guten Knack.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false