zum Hauptinhalt
Der "Straßenfeger" hat eine Auflage von 12.000 Exemplaren.

© Paul Zinken/dpa

Update

Berlin: Obdachlosenzeitung "Straßenfeger" wird eingestellt

Der "Straßenfeger" steckt in der Krise und wird eingestellt werden. Auch das "Kaffee Bankrott", in dem es günstige Mahlzeiten für Bedürftige gibt, muss schließen.

Eine neue Ausgabe des „Straßenfegers“ bekommt Cristinel Serban am Montag nicht mehr, obwohl sie eigentlich für diesen Tag angekündigt war. Der Verkäufer der Obdachlosenzeitung, die sich auf dem Titel „strassenfeger“ schreibt, ist wie so oft zur Abholstelle an der Storkower Straße in Prenzlauer Berg gekommen und greift nun einfach wieder bei der Nummer acht zu, die inzwischen drei Wochen alt ist.

Und auch die letzte Ausgabe bleibt: Am Montagabend entschied eine außerordentliche Mitgliederversammlung des Trägervereins über die Zukunft des Projekts.16 Mitglieder stimmten aus wirtschaftlichen Gründe für die Schließung des Magazins, neun Personen dagegen. Das erfuhr der Tagesspiegel am Dienstagmorgen. Die B.Z. hatte zuerst darüber berichtet.

Senat: "Die Stadt verliert eine wichtige Institution für obdachlose Menschen."

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wurde bereits vor dem Sitzungstermin über eine mögliche Einstellung der Zeitung informiert: „Das bedauern wir sehr“, so Sprecherin Regina Kneiding am Dienstagvormittag. „Damit verliert die Stadt eine wichtige Institution für obdachlose Menschen. Durch die Zeitung hatten sie eine wichtige Aufgabe erhalten, die ihnen in schwierigen Zeiten half, über die Runden zu kommen.“

„Ich nehme 40 Zeitungen“, sagt Serban, der aus Rumänien stammt, am Montagmittag. „Der Straßenfeger ist bei den Leuten sehr beliebt. Eine andere Zeitung möchte ich gar nicht verkaufen.“ Seine Kunden zahlen 1,50 Euro pro Exemplar. Sein Gewinn beträgt 90 Cent pro Heft. Serban bestreitet so seit vielen Jahren einen Teil seines Lebensunterhalts, sagt er. „Mein Stammplatz ist vor einem Supermarkt in der Kastanienallee. Da läuft es gut.“ Dass der Straßenfeger nach 24 Jahren vor dem Aus steht, sei ihm noch nicht zu Ohren gekommen. Obwohl auch er es merkwürdig findet, dass es keine neue Ausgabe gibt. Die zweite Ausgabestelle am Ostbahnhof bleibt an diesem Tag sogar komplett geschlossen. Jemand habe die Schlösser manipuliert, heißt es von Ehrenamtlichen. Waren es wütende Zeitungsverkäufer, denen die Gerüchte zu Ohren gekommen sind? Schulterzucken.

"Kaffee Bankrott" auch in Gefahr

Dass der Straßenfeger, aktuell mit einer Auflage von etwa 12.000 Exemplaren, tatsächlich eingestellt werden könnte, wollte vor der Sitzung noch niemand bestätigen. Der Vorstand war nicht erreichbar, Ehrenamtliche des Vereins verweisen auf die Mitgliederversammlung am Abend. Dann sollen „die Zahlen auf den Tisch kommen und entschieden werden“, heißt es aus dem Umfeld. Dem Vernehmen nach soll die Zeitung sich nur durch die erzielten Verkaufserlöse finanzieren. Zitieren lassen möchte sich vorab niemand. Aber: Es soll noch mehr auf dem Spiel stehen. Laut der B.Z. soll auch das „Kaffee Bankrott“ an der Storkower Straße schließen. Dort erhalten Bedürftige eine warme Mahlzeit für 2 bis 2,50 Euro. Die Verkäufer der Obdachlosenzeitungen verschnaufen und versorgen sich wie Cristinel Serban mit Zeitungsnachschub. Außerdem gibt es Computer, an denen die Gäste kostenlos im Internet surfen. Der ebenfalls an der Storkower Straße ansässige Trödelpoint mit Ware aus zweiter Hand ist bereits seit März geschlossen.

Dagegen nicht zur Disposition stehen soll die Notübernachtung, ebenfalls auf dem Areal an der Storkower Straße. Wie es auf der Webseite des Vereins heißt, können pro Nacht bis zu 31 Personen aufgenommen werden. Für obdachlose Familien und Frauen mit Kindern gibt es ein separates Familienzimmer. Ziel sei es, Betroffene in den Wintermonaten nicht nur vor dem Kältetod zu bewahren, sondern ganzjährig mittel- bis langfristig Hilfe bei der Rückkehr in ein geregeltes Leben zu ermöglichen.

Beim Berliner Straßenmagazin „motz“, das ebenfalls von Obdachlosen verkauft wird und soziale Projekte unterstützt, möchte man auf die Gerüchte um den Mitstreiter nicht eingehen. Die „motz“ hat eine Auflage von rund 20.000 Exemplaren und erscheint ebenfalls alle drei Wochen, nur zur Fußball-WM gab es eine weitere Sonderausgabe. „Wir haben uns nie als Konkurrenten gesehen“, sagt Stefan Peter, „motz“-Vorstandsmitglied. „ Es ist gut, dass die Arbeit für Obdachlose auf mehrere Schultern verteilt ist. Völlig klar ist, dass eine Straßenzeitung sowieso keinen Gewinn abwerfen kann.“

Claudia Braun

Zur Startseite