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Klärungsbedarf: Im nächsten Koalitionsausschuss wird es auch um die Lernmittelfreiheit gehen.

© dpa

Berliner Senat: Die ersten 100 Tage sind rum - eine Bilanz

SPD, Linke und Grüne sind mit einem ehrgeizigen Programm angetreten. Es folgten eine Stasi-Affäre, Streit um die Sicherheit und neues Chaos am BER.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die ersten 100 Tage des rot-rot-grünen Senats waren für alle Beteiligten ein schweres Los. Für die Koalitionsparteien SPD, Linke und Grüne, aber erst recht für die Bürger. Denn die Landesregierung, die am 8. Dezember 2016 ins Amt kam, musste sich zunächst menschlich und politisch zusammenfinden. Dann geriet das neue Bündnis in heftigen Streit, um anschließend zu merken, wie schwierig es ist, aus den Wahlversprechen und Ankündigungen im Koalitionsvertrag konkrete Politik für Berlin zu machen, von der die Berliner wirklich etwas haben.

Alle drei Koalitionspartner haben freimütig eingeräumt, dass der Start von Rot-Rot-Grün sehr holperig war – und sie geloben Besserung. Regelmäßige Koalitionsrunden und eine Arbeitsgruppe für „gutes Regieren“ in der Senatskanzlei sollen den schwankenden Dreimaster auf Kurs bringen. Im Januar beschloss der Senat ein 100-Tage-Programm mit konkreten Projekten für jedes Ressort, die bis 18. April abgearbeitet sein sollen. Dass das gelingt, ist eher unwahrscheinlich.

Akkurate Finanzen

Eine gute Figur macht bisher Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD). Er hat den Nachtragshaushalt für 2017, mit dem die Wunschliste der Koalition für das laufende Jahr finanziert wird, schnell auf den Weg gebracht. Das Sondervermögen für Investitionen der wachsenden Stadt (SIWANA) wurde um 1,2 Milliarden Euro aufgestockt und festgelegt, was daraus in den nächsten Jahren bezahlt werden soll. Momentan bereitet die Finanzverwaltung effizient und geräuschlos den Haushalt für 2018/19 vor. An Kollatz-Ahnen liegt es eher nicht, wenn etwas nicht funktioniert – und genügend Geld ist vorhanden.

Peinliche Personalie

Fünf Tage nach der Senatsbildung wurde der Stadtsoziologe Andrej Holm zum Staatssekretär in der Stadtentwicklungsbehörde ernannt. Seine Tätigkeit für die Stasi in jungen Jahren, vor allem aber der Umgang Holms mit der eigenen Biografie verärgerten SPD und Grüne, während die Linken an ihm festhalten wollten. Das führte im Dreierbündnis fünf Wochen lang zu einer harten Belastungsprobe, die koalitionsintern viel Kraft gekostet hat und am 17. Januar mit Holms Entlassung endete. Jetzt ist er Berater der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus.

Fragile Sicherheit

Der Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember führte nur kurzfristig zum Schulterschluss der politischen Kräfte. Wenige Tage später zerstritt sich Rot-Rot-Grün über die Videoüberwachung gefährlicher Orte. In einem Sicherheitspaket, das der Senat beschloss, spielten Kameras in öffentlichem Straßenland keine Rolle. Ein Kompromissvorschlag des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) für Modellprojekte am Alex, Breitscheidplatz oder Kottbusser Tor wurde von Linken und Grünen nicht akzeptiert. Vom Paket für innere Sicherheit und Prävention wurde bisher fast nichts umgesetzt.

Nerviger BER

Bisher hat auch dieser Senat bei dem Versuch versagt, die Eröffnung des Hauptstadt-Flughafens voranzutreiben. Neue Bauprobleme führten dazu, dass der Aufsichtsratschef Michael Müller den BER-Geschäftsführer Karsten Mühlenfeld vor die Tür setzte und seine Funktion im Kontrollgremium aufgab. Zuvor waren noch schnell die Senatoren Klaus Lederer (Linke) und Dirk Behrendt (Grüne) in den Aufsichtsrat gegangen, den sie nun wieder verlassen haben. Jetzt schob Müller noch das Referat „Flughafenkoordination“ in die Finanzverwaltung ab, nachdem sein BER-Koordinator Engelbert Lütke Daldrup trotz großer Bedenken des Miteigentümers Brandenburg neuer Flughafenchef wurde. Fortsetzung folgt. Eine Erfolgsstory ist das nicht.

Teures Bauen

Die Sanierung und der Neubau von Kitas und Schulen gehören zum Kernprogramm des Senats. Gleiches gilt für eine soziale Wohnungs- und Mietenpolitik. Nach 100 Tagen ist nur in Ansätzen erkennbar, wohin die Reise geht. Mieterhöhungen für Sozialwohnungen wurden vom Senat ausgesetzt, für die Sanierung der Schulen gibt es eine 200 Millionen Euro teure Liste. Für zusätzliche 5000 Studentenwohnungen, die versprochen werden, gibt es nur erste Modellprojekte, und die Koordinierung der städtischen Wohnungsunternehmen durch eine neue Anstalt öffentlichen Rechts schafft noch keine billigen Wohnungen.

Auch der Ausbau des Radwegenetzes wird dauern. Überall da, wo Zement angerührt und Asphalt gekocht wird, müssen politische Zielvorgaben erst in verbindliche Planungen und Kostenschätzungen umgewandelt werden, bevor konkrete Investitionsvorhaben sichtbar und nutzbar werden. Der neue Senat hat dabei ein großes Problem: Es fehlt in der Landesverwaltung an qualifiziertem Personal, um Pläne zu schmieden und umzusetzen. Alle beteiligten Senatsverwaltungen beklagen dies, wenn auch nicht öffentlich.

Soziale Sachen

Der Preis für das Sozialticket im öffentlichen Nahverkehr wurde von 36 Euro auf 27,50 Euro verringert. Außerdem ist es gelungen, die meisten Flüchtlinge aus Turnhallen in neue Gemeinschaftsunterkünfte umziehen zu lassen und eine neue landeseigene Behörde wurde gegründet, um solche Unterkünfte öffentlich zu betreiben. Dies gehört zu den wenigen Erfolgen des Berliner Senats in den ersten hundert Regierungstagen.

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