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Unter Zeitdruck. Rund 86 000 Schulplätze fehlen in Berlin. Daher werden vielerorts neue Schulen gebaut - bisher vor allem Modulbauten.

© Mike Wolff

Berliner Schulbau: Wenn Retortenschulen zum Albtraum werden

Vor 45 Jahren machte Berlin verheerende Erfahrungen mit einem Milliardenprogramm für den Schulbau. Manche Komponenten tauchen jetzt wieder auf.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte es einen derartigen Verlust von Schulbausubstanz nicht gegeben: Als Ende der 1980er Jahre zwölf große Bildungszentren wegen Asbestbelastung und Lüftungsproblemen schließen mussten, waren rund 15.000 Berliner Schüler ohne Dach über dem Kopf. Sie und folgende Generationen in Spandau, Tempelhof, Wilmersdorf, Charlottenburg, Kreuzberg, Neukölln, Reinickendorf und Steglitz landeten für die nächsten 20 bis 30 Jahre in provisorischen Schuldörfern. Das Land hatte mehr als eine Milliarde D-Mark in den Sand gesetzt.

Wie in der Vergangenheit wird auf standardisierte Bautypen gesetzt

Wer das damalige Geschehen unter „Fehler der Vergangenheit“ abheften möchte, könnte sich irren, glaubt die grüne Bildungsexpertin und Haushälterin Stefanie Remlinger. Denn es gibt aktuell erstaunliche Parallelen zu den damaligen Vorgängen: Damals wie heute setzt der Senat wegen des starken Schülerwachstums auf standardisierte Typenbauten, um die Raumnot auf die Schnelle zu bekämpfen. Das aber bedeutet: Wenn abermals ungeeignete Stoffe verbaut oder Konstruktionsfehler gemacht werden, verliert Berlin wieder auf einen Schlag eine Unmenge an Schulraum. „Wenn man Typen baut, macht man einen Fehler nicht nur einmal“, mahnt Remlinger. Um dem damaligen Geschehen nachzuspüren, fragte sie den Senat nach den Details und bekam jetzt eine ausführliche Antwort von Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD).

Auch damals startete der Senat ein "Sonderprogramm"

Rackles legt dar, dass sich 1970 – infolge der „Babyboomer“-Jahrgänge – eine Lücke von 20 000 Schulplätzen allein für die Klassen sieben bis zehn auftat, was den jetzigen Dimensionen – 86 000 fehlende Schulplätze über alle Jahrgänge – ähnelt. Der damalige Senat unter Klaus Schütz (SPD) reagierte mit dem „Sonderprogramm Oberschulbau“, das 13 Mittelstufenzentren und zwei weitere Gesamtschulen umfasste.

Die Mittelstufenzentren mussten nach und nach geschlossen werden, da bei der Errichtung Asbest und „vielfach nicht funktionstüchtige Lüftungsanlagen“ verwendet wurden, schreibt Rackles weiter. Ohne die Lüftung aber konnte man nicht auskommen, weil die großen Gebäude so geplant waren, dass es massenhaft fensterlose sogenannte Dunkelräume gab.

Die "Dunkelräume" waren von Anfang an umstritten

Aus heutiger Sicht ist schwer nachvollziehbar, warum sich der damalige Schulsenator Gerd Löffler (SPD) überhaupt auf fensterlose Schulräume einließ – widersprachen sie doch auch damals den Vorstellungen von heller und luftiger Lernumgebung. Angesichts der vielfältigen Fehlplanungen bei den Typenbauten nannte der Tagesspiegel das gesamte Projekt 1988 den „vermutlich größten Fehlschlag in der Berliner Schulpolitik“.

Das hatte mit den architektonischen und technischen Zumutungen der Gebäude zu tun, aber eben auch mit dem Asbest, der bereits 1970, also noch vor Baubeginn, offiziell als krebserregend eingestuft worden war. Zwar wird Asbest inzwischen in Deutschland und vielen anderen Staaten nicht mehr verbaut. Aber ebenso wie man damals noch nicht soweit war, die Gefahren - die etwa auch von Asbestzement ausgingen - richtig einzuschätzen, könnte es auch heute ein Material geben, das sich erst im Nachhinein als nicht geeignet erweist. Für Remlinger steht daher fest, dass sie „Überstandardisierungen“ gegenüber kritisch bleibe. Aus diesem Grund und weil sie sich generell mehr architektonische Vielfalt wünscht, fordert Remlinger, wie berichtet, mit anderen grünen Fachleuten einen Ideenwettbewerb für den Schulbau.

Bei den Lüftungen könnten Fehlplanungen drohen

Neben dem Thema „Schadstoffe“ ist auch das Thema „Lüftung“ nicht vom Tisch. Zwar gibt es in den aktuellen Typenbauten kaum noch „Dunkelräume“; allerdings schließen die modernen Fenster derart hermetisch ab, dass Lüftungen gebraucht werden. Auch hier könnte abermals die Gefahr von Fehlplanungen im großen Stil drohen.

Damit sind die Parallelen aber noch lange nicht erschöpft. Heute wie damals bemühte sich ein ressortübergreifendes Planungsteam um die Schulraumbeschaffung.

Und auch damals schon verfügte der Senat, dass sich eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft um Durchführung und Finanzierung kümmern sollte: Vor 45 Jahren handelte es sich um die Degewo, jetzt ist die Howoge gefragt: „Nach Fertigstellung wurden die Schulen vom Land Berlin von der Degewo mit einer Laufzeit von 30 Jahren geleast“, schreibt Rackles abschließend auf Remlingers Fragenkatalog.

Mit anderen Worten: Als die Schulen schon längst zu Asbestruinen geworden waren, musste das Land weiter zahlen. Wie viel teurer es für Berlin am Ende dadurch wurde, dass das Land nicht selbst den Kredit aufgenommen und mit den Bezirken die Schulen gebaut hatte, sondern das immense Projekt über die Degewo abwickelte, ist inzwischen schwer festzustellen: Selbst damals aktive führende Schulfachleute winken nur ab, wenn man sie nach diesen Zusammenhängen fragt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Vorgänge so lange zurückliegen, dass es nur vereinzelt Spuren im Netz gibt.

Erst Degewo - jetzt Howoge

Schon 1974 stand aber fest, dass die letztlich 15 Schulzentren für rund 620 Millionen Mark errichtet werden, aber unterm Strich – nach den genannten 30 Jahren – 1,44 Milliarden kosten sollten, wie der Tagesspiegel damals schrieb. Das Land rechnete also von Anfang an mit Mietkosten oder Mietkaufkosten von insgesamt 820 Millionen Mark, zuzüglich eines zinsloses Darlehens von 84 Millionen Mark an die Degewo. Wobei die damaligen Baukostensteigerungen dazu führten, dass bereits 1978 rund 120 Millionen Mark zusätzlich gezahlt werden mussten.

Es sind Zahlen wie diese, die die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ umtreiben. Seitdem die SPD bekannt machte, dass sie die Howoge ins Boot holen will, um die vielen neuen Schulen zu bauen, warnt die Initiative vehement davor, den Schulbau abermals aus der Hand zu geben. Diese Warnung könnte – auch in der Koalition – ernster genommen werden als bisher, wenn die finanziellen Konsequenzen des damaligen Degewo-Deals vollständig ans Licht kämen.

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