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Der Musikbahnhof Annahütte in der Lausitz.

© promo/SimonBreth (3)/Annette Kögel

Update

Serie Landgang: Berliner retten Brandenburger Gebäude: Verwilderter Charme im Musikbahnhof Annahütte in der Lausitz

Ein Kreuzberger Architektenpaar erfüllt sich in der Lausitz einen Lebenstraum. Es baut den „Musikbahnhof“ aus – und belebt die Region mit einem neuen Festival.

Simon Breth hat sich mit 44 Jahren einen Kindheitstraum erfüllt, und er muss lächeln, als er ihn öffnet: Es ist eine Geheimtür, hinter einem Regalaufbau versteckt. Breth hat sich auch noch einen anderen Traum erfüllt. Seine Frau Rut de la Calle und er bauen einen alten Bahnhof in der Lausitz zu einem eigenen Kulturzentrum aus, den „Musikbahnhof Annahütte“. Das Haus soll ein Ort für Musiker werden, sie können dort Räume mieten, als eine Art Ferienhaus zum Proben, Komponieren oder Aufnehmen, Technik und Instrumente sind vorhanden.

Rund 130 Kilometer südlich von Berlin steigen die beiden Kreuzberger über alte Holzlatten vor dem noch maroden großen Zweitbau und streichen über die frisch bezogene Wäsche in den Gästezimmern im sanierten Bahnhofsgebäude.

Eine neue Gemeinschaft begründen

Das soll ein Treffpunkt für Musiker werden, aber auch eine von Fortzug geprägte Region neu beleben. Simon Breth sucht beispielsweise zusammen mit der Initiative "Kreativorte" weitere stadtmüde Vordenker, die verlassene, günstige Häuser mit innovativen Ideen neu bespielen wollen, für eine neue, sich gegenseitig helfende und bereichernde Dorfgemeinschaft.

Vor der Erfüllung der Träume, einen verschlafenen Bahnhof zu neuem Leben zu erwecken, stand pragmatische Recherche auf Immobilienseiten im Internet. Dann sahen sie ihn plötzlich, den alten Bahnhof. „Alleinlage, aber nicht so abgelegen, Wasser, Strom, Internet, und dann der tolle Industriecharakter, das war perfekt“, erzählt der Cellist und Bassgitarrenspieler der Band „Riches of the Poor“ und Architekt Simon Breth.

Das etwa ein Hektar große Grundstück am Rande des Dorfes Annahütte in Brandenburg liegt mitten im Wald, nahe einem Gewässer namens Silbersee und bot neben der verwilderten Schienenanlage auch noch 400 Quadratmeter Platz im Hauptgebäude. Kostenpunkt 27 000 Euro. Seit Beginn des Ausbaus 2016 hat das Kreuzberger Paar aber inzwischen einen sechsstelligen Betrag investiert.

Das Berliner Architektenpaar Rut de la Calle und Simon Breth haben die Anlage zu einem Tonstudio mit Gäste- und Aufenthaltsbereichen umgebaut.
Das Berliner Architektenpaar Rut de la Calle und Simon Breth haben die Anlage zu einem Tonstudio mit Gäste- und Aufenthaltsbereichen umgebaut.

© promo/SimonBreth (3)/Annette Kögel

Schulden machen wollten sie nicht, lieber Schritt für Schritt vorgehen, mit Erspartem, Familienzuschuss, Fördergeldern. Auch für die moderne Heizung gab es was vom Staat dazu. Breth: „Wir dachten uns, wenn alles nicht gelingt und das Geld nicht reicht, dann beenden wir das Projekt.“ Aber das Gegenteil ist der Fall. Inzwischen ist das Ferienhaus für Bands mit fünf Schlafzimmern, zwei Bädern, einer Küche für Selbstversorger, dem Speiseraum und viel Weite gut gebucht.

Der Klang sei wärmer

In Berlin bauen die beiden Architekten, die sich bei einem Erasmus-Studienprogramm kennenlernten, Kitas. In Annahütte haben sie einen Aufnahmeraum mit Regie sowie einen schallisolierten Proberaum im Keller geschaffen. Im Tonstudio glänzt der versiegelnde Epoxyklarlackboden unterm Teppich, der Absorber an der Decke nimmt die Bässe etwas raus, verkleidet ist alles mit urigem Restholz. Der Klang sei wärmer, das sei besonders.

In Annahütte wurde ein Aufnahmeraum mit Regie sowie ein schallisolierter Proberaum im Keller geschaffen.
In Annahütte wurde ein Aufnahmeraum mit Regie sowie ein schallisolierter Proberaum im Keller geschaffen.

© promo/SimonBreth (3)/Annette Kögel

Bands wie „Caisaron“ haben seit der Eröffnung dieses Jahr schon Songs eingespielt. Die erste Band kam aus der Schweiz, „Perspective Shifts“, Perspektivwechsel, das passte, ihnen war die Anreise egal, „sie wollten sich einfach wohlfühlen“. Wie Rut de la Calle, die ursprünglich aus Spanien stammt und mit ihrem Partner und den beiden Kindern nächstes Jahr ganz nach Annahütte ziehen und dann wiederum nach Berlin pendeln will.

Freunde und Geschäftspartner aus Österreich und Portugal

„Meine Freunde finden das Projekt toll und kommen gern zu Besuch“, sagt die Wahl-Brandenburgerin, die am Dienstag ihren 41. Geburtstag feierte. Inzwischen gehörten sechs Personen zum Produktions- und Eventteam von „Slim Dog“ vom Annahütter Musikbahnhof, da haben sich auch Freunde und Geschäftspartner aus Österreich und Portugal eingefunden. Auf der Holzempore hat schon ein Improvisationstheater aus Wedding geprobt.

Drinnen hängen noch alte Bahnhofsschilder Richtung „Senftenberg“ und „Bad Freienwalde“. Der Zugverkehr ruht seit den neunziger Jahren. Die Häuser standen – wie etliche im Umfeld – leer und wurden von 2016 bis 2018 in viel Eigenarbeit ausgebaut. In der Nachbarschaft ist schon einiges Neues entstanden.

Vorbei an einem alten Trabant, durch den Äste wuchern, geht es zum zweiten Haus, es gibt noch viel zu tun. Aber hier werden Räume entstehen, in die man sich einmieten kann, als Refugium, um etwa ein Buch oder eine Platte zu schreiben. Künftig wollen die Berliner Kreativen auch mit dem „Kühlhaus Görlitz“ bei Events kooperieren. Im Musikbahnhof geht es um ein Miteinander aller Menschen- und das Vernetzen der gesellschaftlichen Projekte im Umfeld von Annahütte.

Mahnmal zu Juden, auf den Gleisen im Waggon ermordet

Auch über das zufällig entdeckte Mahnmal zu einem Zug, der in der Gegend zur Zeit von Hitler-Deutschland auf den Gleisen stehen gelassen wurde, damit die Juden dort drinnen verhungern und verdursten, informieren die Annahütte-Tonmeister ihre Gäste.

Anregungen zu unserer Serie "Landgang" auf der Donnerstagsseite zu gesellschaftlichem Engagement im Tagesspiegel "Menschen helfen" gern per Mail an: menschenhelfen@tagesspiegel.de, Stichwort Landgang.

Ale Infos und Kontakt unter musikbahnhof-annahuette.de

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