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Eine Straße im jüdischen Viertel von Marrakesch. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2017.

© FADEL SENNA / AFP

Berliner Radtouristen gestrandet in Marokko: Fünf Wochen Corona-Zwangspause in Marrakesch

Die Radtouristen Uwe Carl und Petra Höppner wurden in Marokko von der Ausgangssperre überrascht. Das Auswärtige Amt wird helfen, dachten sie – ein Irrtum.

Sie haben jeden Bissen genossen. Sie saßen am Küchentisch in ihrer Wohnung in Kreuzberg, und das Essen fühlte sich kurz an wie ein Dinner in einem feinen Restaurant. Es stand nichts Spektakuläres auf dem Tisch, Petra Höppner hatte nur gebackene Hähnchenschlegel aus dem Ofen gezogen.

Aber an diesem Abend Anfang Mai, sagt Uwe Carl am Telefon, "haben wir uns etwas gegönnt, das wir als Highlight empfanden". Wer bis dahin fast fünf Wochen nur von Graupensuppe, gekochten Bohnen und Linsen leben musste, für den sind gebackene Hähnchenschlegel eine Leckerbissen. Sie hatten ja auch etwas zu feiern.

Das Ende einer Reise, die im Dezember 2019 als Fahrrad-Trip durch Marokko begonnen und am 29. März mit dem Rückflug abgeschlossen sein sollte. Eine fünfwöchige Zwangspause in einem kleinen spartanisch eingerichteten Hotel in Marrakesch war nicht eingeplant. Dort saßen die Beiden bis Ende April fest. Seitdem sind sie wieder zu Hause. Doch bis dahin fühlten sich die Beiden wie Gestrandete, vergessene Opfer der Coronakrise.

Doch bis dahin fühlten sich die Beiden wie Gestrandete, vergessene Opfer der Coronakrise. In einer Maschine der polnischen Fluggesellschaft LOT sind sie in Berlin gelandet. Ein Ausnahmeflug von Marrakesch, voll besetzt mit weiteren gestrandeten deutschen Urlaubern. Marokko hat sich hermetisch abgeriegelt. Uwe Carl und Petra Höppner hatten ihren Freunden zuvor geschrieben: „Wir kommen endlich nach Hause.“ Die Freunde holten sie auch vom Flughafen ab.

Petra Höppner und Uwe Carl.
Petra Höppner und Uwe Carl.

© privat

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Der Rückflug war für 29. März gebucht

Der Wandel von der mehrwöchigen Touristen-Tour zum nervenaufreibenden Marokko-Aufenthalt begann am 15. März. Die Nachricht vom Coronavirus hatte längst auch Marokko erreicht. An diesem Tag hörten Uwe Carl und Petra Höppner, er 60, sie 58 Jahre alt, beide erfahrene Radfahrer, dass viele Airlines Flüge von und nach Marokko streichen. Aber da ging es vor allem um Charterflüge von Pauschaltouristen. Betroffene, die in Marokko gerade Urlaub machten, würden mit einer Luftbrücke ausgeflogen.

Der Hausmeister Carl und seine Partnerin dagegen waren allein unterwegs, sie hatten für 29. März ihren Rückflug gebucht. „Die deutsche Botschaft“, sagt Carl, „hatte uns Individualtouristen auch dazu angehalten, an unseren Linienflügen festzuhalten.“ Noch blieben die Urlauber aus Berlin entspannt.

Sie wurden von der Ausgangsperre überrascht

Das änderte sich schlagartig fünf Tage später. Auf der Seite des deutschen Konsulats in Marokko lasen sie die Meldung, dass noch am gleichen Tag im Land Notstandsgesetze und Ausgangssperren in Kraft treten würden. Carl und Höppner waren in der Nähe von Marrakesch, sie fuhren sofort in die Stadt und versuchten, einen Rückflug zu bekommen. Zu spät. Der Flughafen war bereits geschlossen.

Also buchten sie sich erstmal in einem kleinen Hotel in Marrakesch ein. Dass die spartanische Unterkunft für fünf Wochen ihr Zwangsquartier werden sollte, ahnten sie natürlich nicht. Im Hotel trafen sie auf einen Belgier und einen Franzosen, ebenfalls gestrandete Individualtouristen. Der einzige Angestellte war ein Marokkaner namens Mohammed, er besetzte die Rolle des „Mädchen für alles".

Einkaufen war generell nur in unmittelbarer Umgebung ihres Hotels erlaubt. „Aber da gab es nichts Frisches“, sagt Carl, „nur Brot, löslichen Kaffee und Büchsen mit Ölsardinen.“ Wenigstens konnte man aus einem Bankautomaten in nächster Nähe zum Hotel Geld mit der Kreditkarte ziehen. Das Essen kochte Mohammed auf einem Herd mit einer Flamme, das tägliche Angebot war immer gleich: Graupensuppe, Bohnen, Linsen. Auf den Straßen herrschte Maskenpflicht.

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Die Liste des Auswärtigen Amts nützte nichts

Natürlich hatten sich Carl und Höppner zwischenzeitlich in die entscheidende Liste des Auswärtigen Amts eingetragen. Das Ministerium hatte sie für alle Touristen installiert, die während der Coronakrise im Ausland sind. Damit sollten notfalls Rückholaktionen organisiert werden.

Doch die Liste nützte Carl und seiner Begleiterin zunächst nichts, vom Auswärtigen Amt, sagt der 60-Jährige, sei keine Reaktion gekommen. Auch die Website des deutschen Konsuls in Rabat sei keine Hilfe gewesen. Konkrete Lösungsmöglichkeiten? Fehlanzeige.

Aber nicht nur die Berliner saßen in Marokko fest, auch andere Individualtouristen mit deutschem Pass kamen nicht mehr heraus. Das bemerkten Carl und Höppner, als sie beim Surfen durchs Internet erfuhren, dass es eine gemeinsame Chatgruppe der gestrandeten Urlauber gab. Die Beiden traten der Gruppe bei.

„Wir haben tagsüber vor allem Informationen gesammelt, wie wir hier weg kommen“, sagt Carl. In der Chatgruppe vermischten sich mit zunehmender Verzweiflung Gerüchte und Fakten, niemand wusste am Ende, was stimmte und was schlicht Erfindung war. Aber dass weder vom Konsulat noch vom Auswärtigen Amt Hilfe kam, das war eine Tatsache.

Die Betroffenen im ganzen Land überfluteten das Auswärtige Amt mit Schicksalsberichten, aber die Reaktionen, sagt Carl, seien „enttäuschend“ gewesen. „Da kam nur die Standardantwort, dass man doch bereits so viele Kraftanstrengungen unternommen habe, um Touristen herauszuholen. Weitere Rückflüge seien erstmal nicht geplant.“ Das Auswärtige Amt beantwortete eine Anfrage des Tagesspiegel zu den Schilderungen von Carl nicht.

Petra Höppner in Marokko.
Petra Höppner in Marokko.

© privat

Anderen Touristen ging das Geld aus

Und zur Zwangspause waren in Marokko nicht bloß Touristen wie Carl und Höppner verurteilt, die wenigstens genügend Geld hatten und gesund waren. Es gab Leute, sagt Carl, denen das Geld ausgegangen sei und die von zu Hause mit Nachschub versorgt werden mussten. Es habe Studenten gegeben, die zur Uni mussten, und Menschen, die dringend bestimmte Medikamente benötigt hätten und jetzt nicht erhielten. In der Chatgruppe wurden die Schicksale ausführlich besprochen.

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In ihrem Hotel in Marrakesch hatten Carl und Höppner Zugang zum Internet, für sie die kommunikative Rettung. Im Fernsehen liefen nur arabische Sender, Nachrichten kamen oft auf Französisch, und das verstanden die Berliner Radtouristen nicht.

Anfang April dann der erste Lichtblick. Das Auswärtige Amt schrieb den Beiden in einer Mail, dass in Kürze ein Flug mit Air France nach Paris stattfinden werde. „Ausgezeichnet“, antworteten Carl und Höppner, „wir wollen mit.“ Doch dann, sagt Carl, „haben wir vom Auswärtigen Amt nichts mehr gehört.“


Der zermürbende Alltag ging weiter. Als der Ramadan begann, kochten die Berliner für wenige Tage selber auf dem kleinen Herd. „Wir wollten es Mohammed nicht zumuten, dass er auch noch am Ramadan für uns Essen zubereitet“, sagt Carl. Er kaufte ein, allerdings nun auf dem Markt, wo es frisches Gemüse gab. Eigentlich hätte er sich gar nicht so weit vom Hotel entfernen dürfen, aber der Markt war so voll mit Menschen, dass er nicht auffiel.

Der Hinweis auf den nächsten Rückflug beruhigte die Beiden nicht

Am 25. April meldete sich das Auswärtige Amt mit dem nächsten Hinweis auf einen Rückflug. Vier Tage später werde eine Maschine der LOT nach Berlin fliegen. Uwe Carl und Petra Höppner könnten mitfliegen. Doch so eine Nachricht kannten die Beiden schon, sie erinnerten sich noch gut an die Enttäuschung, als es beim ersten Mal nicht geklappt hatte. „Deshalb“, sagt Carl, „reagierten wir erstmal verhalten“. Innerlich habe er sich bereits darauf eingestellt, bis Ende Mai in Marokko bleiben zu müssen.

Doch dann klappte alles doch noch. Ein LOT-Mitarbeiter meldete sich telefonisch bei Carl und Höppner, prüfte deren Personalien, dann war mit den Tickets alles klar. Gleichzeitig bestätigte das Auswärtige Amt, dass die Beiden die Erlaubnis hätten, zum Flughafen Marrakesch zu fahren. Bei Kontrollen hätten Höppner und Carl das Papier vorzeigen können. Es fragte aber niemand danach.

Und dann endlich: Abflug nach Berlin-Tegel und nach der Landung auf dem kürzesten Weg nach Hause. Fest sitzen Uwe Carl und seine Partnerin allerdings auch weiterhin, diesmal nur in ihrer Wohnung in Kreuzberg. „Wir sind seit unserer Ankunft für 14 Tage in Quarantäne“, sagt der 60-Jährige. Anordnung des Gesundheitsamts.

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