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Innensenator Andreas Geisel (SPD) fühlt sich von der Opposition durch Vorwürfe in der Schießstandaffäre diskreditiert.

© imago/Christian Ditsch

Berliner Polizei: Schießstandaffäre in Berlin: Dienstvergehen oder nicht?

Im Innenausschuss ging es um Berlins Generalstaatsanwältin Koppers und die Schießstandaffäre. Betroffene Beamte sind enttäuscht von Senator Geisel.

Irgendwann kommt auch Klaus Kandt herein. Ende Februar ist er von Innensenator Andreas Geisel (SPD) als Polizeipräsident von Berlin entlassen worden. In Saal 367 des Abgeordnetenhauses tagt der Innenausschuss, es ist eine Sondersitzung auf Antrag der Opposition, das Thema – wieder einmal – die Schießstandaffäre. Und die Frage, warum gegen Margarete Koppers wegen der Schießstandaffäre im Mai 2017 kein Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist. Sie war bis vor etwas mehr als einem halben Jahr Kandts Vizepräsidentin, ist nun Generalstaatsanwältin. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft sie – nach einer Anzeige wegen des Verdachts auf Körperverletzung durch Unterlassen – als Beschuldigte führt.

Die Opposition meint, es hätte wie vorgeschrieben zumindest geprüft werden müssen, ob gegen Koppers ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird – so wie es für jeden Polizeibeamten vorgesehen ist. Torsten Akmann (SPD) selbst hatte vor einem halben Jahr erklärt, die für die Einleitung des Disziplinarverfahrens zuständige Stelle müsse „eigene Prüfungen und Überlegungen“ vornehmen, um den Verdacht auf ein Dienstvergehen zu prüfen. Doch die Opposition kritisiert, nicht einmal das sei geschehen – um Koppers befördern zu können. Denn ein Disziplinarverfahren hätte den Aufstieg blockiert.

Generalstaatsanwältin Margarete Koppers
Generalstaatsanwältin Margarete Koppers

© dpa

Akmann: Ein Disziplinarverfahren keine Pflicht

Tatsächlich hatte Innensenator Geisel im Mai 2017 entschieden, kein Disziplinarverfahren einzuleiten – weil die Staatsanwaltschaft angeblich keine Akten herausgeben wollte. Deshalb müsse der Ausgang des Verfahrens abgewartet werden, hieß es damals. Im Juni 2017 teilte Kandt der Justizsenatsverwaltung mit, dass er kein Disziplinarverfahren gegen Koppers führe. Im Juli entschied der Senat auf Vorschlag von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), dass Koppers Chefermittlerin der Staatsanwaltschaft werden soll. 

Innenstaatssekretär Akmann und die Vertreter von Rot-Rot-Grün erklären, es sei alles rechtens gelaufen. Ein Disziplinarverfahren sei nicht Pflicht, wenn gegen Beamte ermittelt werde. Und der Aufstieg bei einem beamtenrechtlichen Verfahren sei auch nicht ausgeschlossen. Zudem habe die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht gegen Koppers noch gar nicht geprüft, der Fall sei komplex, sagt Akmann. 

Und dann legt der Innenstaatssekretär Zahlen vor, die die Vertreter der Polizeigewerkschaften stutzen lassen. Demnach seien von 2010 bis Mitte 2018 mehr als 8.095 Strafverfahren gegen Beamte, aber nur 1.612 Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Das zeige, laut Akmann, dass eben nicht zwingend durch die Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen auch gleich ein Dienstvergehen geprüft werde. 

Ein Beispiel: 2017 gab es 357„bekannt gewordene Strafverfahren“ wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizisten und drei Verurteilungen oder Strafbefehle. Allerdings sind 2017 nur 17 Disziplinarverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet worden.

Zahlen ohne Aussagekraft

Dazu haben die Abgeordneten noch Klärungsbedarf: Karsten Woldeit (AfD) und Benedikt Lux (Grüne) sagen, es entspreche nicht ihrer Erfahrung. „Es habe sich ein Automatismus eingeschlichen“, sagte Lux und meinte: Die Erfahrung der einfachen Polizeibeamten sei es eben doch, dass bei einem Strafverfahren sofort auch ein Disziplinarverfahren komme – und eine Beförderung dann blockiert sei. 

Tatsächlich sagen die von Akmann vorgetragenen Zahlen zunächst wenig aus. Denn aufgeschlüsselt ist nicht, in wie vielen Fällen ein Strafverfahren wegen einer Strafanzeige eingeleitet und dann wegen eines fehlenden Anfangsverdachts eingestellt wurde. Auch gibt es keine Aussage, in wie vielen Fällen die Staatsanwaltschaft von Amts wegen ermittelte. Zudem, so hatte Akmann bereits Ende Februar zugegeben, wird gar nicht statistisch erfasst, in wie vielen Fällen bei Ermittlungen zugleich auch Disziplinarverfahren eingeleitet werden. 

Zumindest räumt nun der Vize-Leiter der Staatsanwaltschaft, Michael von Hagen, ein. dass ein Verfahren bei einer Strafanzeige nicht eingestellt werde, wenn der Verdacht nicht völlig absurd erscheine. Selbst von Hagens Chef, Jörg Raupach, hatte gegenüber dem RBB zugegeben, dass der Anfangsverdacht bestätigt worden sei. Immerhin wird seit fast drei Jahren – erst gegen unbekannt, seit Mai 2017 gegen Koppers – ermittelt.

Innensenator Geisel verliest nach einer Weile eine vorbereitete Erklärung und empört sich darin, die Opposition würde die Schicksale der Schießstandopfer nutzen, um sich politisch zu profilieren und um ihm und Koppers „eins mitzugeben und zu diskreditieren“. 

Lux warnt vor dem Eindruck, "die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen"

Lux warnt davor, im Umgang mit den Gesundheitsgefahren in den Schießständen allein Koppers zur Schuldigen zu erklären. Es läge ein Staatsversagen vor – und das habe schon weit vor der Zeit von Koppers begonnen. Wichtig sei doch jetzt, dass Geld aus dem Entschädigungsfonds an die betroffenen Beamten fließe. Die neuen Einsatztrainingszentren müssten in Betrieb genommen werden. Und es dürfte künftig nicht einmal der Verdacht einer Gesundheitsgefahr aufkommen. Auch würde er gern das Disziplinarrecht flexibler gestalten. „Dem Gefühl, die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen, müssen wir entgegenarbeiten.“

Als die Sitzung vorbei ist, äußert sich auch Klaus Kandt, gegen den auch ermittelt wird, der die ganze Zeit hinter den von den giftigen Schießständen betroffenen Beamten saß und ihnen, viele wie er einst beim SEK, die Hände schüttelt. Er sei gekommen, weil das alles auch ihn betreffe. Er habe keine Disziplinarverfahren eingeleitet gegen Koppers, weil er kein Dienstvergehen gesehen habe. Dazu stehe er. Aber bei einer solch herausragenden Angelegenheit habe er sicherlich Rücksprache mit dem Innensenator gehalten. 

Der hat bei den betroffenen Beamten  keinen guten Stand. Vor einer Woche erklärte der Senator, er stehe in Kontakt mit dem Verein der Schießstandopfer. Die widersprechen: Ende Mai hätten sie Geisel per Brief um ein Gespräch gebeten, nachdem mehrere Versuche über Abgeordnete verpufft seien. Bislang hätten sie keine Antwort erhalten, sagen die Beamten. 

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