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Rostiges Symbol von Kreuzberg. Seit 40 Jahren steht der Opel in der Schönleinstraße. Hanns-Lüdecke Rodewald überprüft regelmäßig, ob noch alles funktioniert.

© Verena Eidel

Berliner Originale: Mit Moos, Gelbflechte und Patina

Hanns-Lüdecke Rodewald ist Professor für Fahrzeugtechnik. Er kämpft dafür, dass sein Opel, den er seit 1977 in der Schönleinstraße parkt, bleiben darf, wie er ist.

Wenn der Professor den rundum verbeulten und verrosteten Opel ganz vorsichtig – auch wegen der Mäuse, die unter der Motorhaube leben – aus der Parklücke in der Schönleinstraße auf den Anhänger zieht, dann sagen die Leute, die vorbeigehen: „Och - jetzt geht er von uns!“ oder „Eine Ära geht zu Ende!“. Dabei fährt Hanns-Lüdecke Rodewald dann immer nur ein bisschen spazieren. Und das darf er nur außerhalb der Innenstadt. Denn eine Umweltplakette hat er nicht. „Das ist aber nicht wegen der Abgase so“, erklärt Rodewald. Denn schließlich bekämen ja auch andere Oldtimer das H-Kennzeichen für die Umweltzone und dürfen dann trotz älterer Motoren in der Innenstadt herumfahren. Es ist das Äußere, das hier stört. „Er ist einfach nicht schön genug“, sagt der Kreuzberger und betrachtet skeptisch das Moos, das wie ein kleiner Teppich aus grünen Farbtupfern aus den Ritzen des Wagens wächst.

Waschen und Polieren? Aber wozu denn?

„Wenn ich ihn wasche und poliere und den Rost entferne, dann würde ich auch die Plakette bekommen“, sagte Rodewald. Aber genau das möchte er eben gerade nicht.

Denn hier geht es um etwas anderes. Irgendwann, sagt Hanns-Lüdecke Rodewald, sei ihm klar geworden, dass er ab jetzt nicht mehr eingreifen würde in die Veränderung des Autos. Die Sache wandelte sich zum Experiment. Von da an blieben die Beulen, und der Lack ermattete. Gewaschen wurde das Auto zum letzten Mal 1977. „Es hat mich einfach interessiert, was passieren wird“, sagt er und versichert: „Ich will wirklich keinen Ärger machen.“ Aber das ist leicht gesagt. Denn ein ungewaschenes Auto scheint zwangsläufig zum Ärgernis zu werden.

Zahn der Zeit. Das passiert, wenn man ein Auto sich selbst überlässt.
Zahn der Zeit. Das passiert, wenn man ein Auto sich selbst überlässt.

© Stephan Wiehler

Die Polizei ließ den Opel zwangsstilllegen mit der Begründung: „Autowrack kraft Vermutung.“ Aber das Äußere täuschte. Der Wagen fährt bis heute einwandfrei. Und zwar fast komplett mit Originalteilen. Nur einige Schrauben und ein paar Bleche hat der Fahrzeugtechniker im Laufe der Jahre ersetzt. „Er ist eben ein echter Oldtimer“, sagt der Professor stolz. Er konnte die Zwangsstilllegung rückgängig machen, indem er einen Sachverständigen beauftragte, der befand: „Das Auto ist kein Schrott.“ Doch dann erhielt Hanns-Lüdecke Rodewald einen Bescheid vom Ordnungsamt: Der Wagen verstoße gegen das Abfallbeseitigungsgesetz und stelle somit eine „Beeinträchtigung des Straßenbildes“ dar. Das war wohl der Zeitpunkt, überlegt Hanns-Lüdecke Rodewald, an dem es für ihn kein Zurück mehr gab.

Mit den Behörden gab es wegen der Rostlaube schon öfter Probleme

„Wo steht denn geschrieben, dass ich mein Auto waschen muss?“ Plötzlich klingt der ruhige zurückhaltende Professor einen Moment lang richtig beherzt und beinahe kämpferisch. Doch dann wird er gleich wieder ernst und erzählt weiter: Die Umweltzone! 14 Strafzettel wegen fehlender Plakette hat er schon erhalten. Zahlen musste er keine einzige Strafgebühr, selbst ein Gericht hat befunden: Ein parkendes Auto verursacht keine Abgase.

Aber auch etwas Positives hat sich entwickelt: In seinem Labor für Fahrzeugtechnik tüftelten in der Zwischenzeit fleißige Studenten daran, das Experiment des Professors wissenschaftlich einordnen zu können. Neue Begriffe hielten Einzug in den Semesterarbeiten der HTW. „Untersuchung zur Patina an automobilem Kulturgut“, hieß es da etwa. Der Professor und die Studenten erarbeiteten eine Formel, um den Grad der Patina berechnen zu können: Lackwerte, Bremstüchtigkeit – all dies fließt als Wert mit ein und am Ende ergibt sich der Patinagrad. Ein Neuwagen bekäme immer einen glatten Wert: 0 Prozent. „Patina ist ja nichts Schlechtes“, sagt Hanns-Lüdecke Rodewald.

Auch Verfall hat seinen Wert. Schließlich kann der Besitzer zu jeder Beule seines Opels eine Geschichte erzählen. „Und ich schaue ihn mir eben einfach gerne an. So, wie sich vielleicht andere Menschen an ihrem Garten freuen.“ Er geht gedankenversunken um das Auto herum, hält inne und sagt erfreut: „Hier kommt jetzt wieder die Gelbflechte“. Und im Vorbeigehen prüft er den Außenspiegel.

Während rundherum in immer schnellerem Tempo Altes einfach verschwindet und durch Neues ersetzt wird, ragt der Opel in der Schönleinstraße hervor wie ein alter eherner Stein, der vom Lauf der Zeit erzählt. „Scheitern wird er eher an behördlichen als an technischen Restriktionen“, sagt der Professor noch mit Blick auf sein Auto. Er will weiter dafür streiten, dass sein ehemals veronagrüner Lebensmittelwagen in Würde auf Kreuzbergs Straßen altern darf.

Von Lucia Jay von Seldeneck und Verena Eidel erschien bereits: "111 Berliner, die man kennenlernen sollte“, Emons Verlag, 230 Seiten, 16,95 €. Nun begeben die beiden sich für uns auf die Suche nach noch mehr Berlinern. Bisher unter anderem erschienen: Lizzy Scharnofske, das lebende Schlagzeug - Andreas Zadonai, ein Bäcker der alten Schule - Sinan Simsek, der Buchhändler vom Kott - Daniel Roick, der Meister der spontanen Küche -Gudrun Schmidt, die Seifenmeisterin aus Friedrichshain.

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