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Alte Schule. Werner Lehmann ist der einzige Schleifer in Berlin, der noch die Solinger Schleifkunst beherrscht, selbst in Solingen kann das kaum noch jemand.

© Garçon

Berliner Messerkunst: Der Schleifer von Schmargendorf

Keiner schärft besser als Werner Lehmann, Berlins Meisterköche vertrauen auf seine Kunst - und fürchten die Zeit nach seiner Rente. Am heutigen Freitag wird der Handwerker 85 Jahre alt.

Werbung macht er keine, mit der Presse will er nichts zu tun haben. Was will Werner Lehmann? Messer schleifen, so lange es geht. Am heutigen Freitag wird der von Legenden umwobene Schmargendorfer 85 Jahre alt – und seine Stammkunden machen sich langsam Sorgen für die Zeit nach ihm. „Wenn es ihn nicht mehr gibt“, sagt Koch Peter Frühsammer, „weiß ich nicht, wo ich unsere Messer in der gewohnten Qualität schleifen lassen kann.“

Frühsammer, der sein Restaurant am Flinsberger Platz hat, bringt seine Messer seit Gründung seines ersten Berliner Restaurants 1984 zu Lehmann und ist beileibe nicht der einzige Uraltkunde. Neben Köchen sind es vor allem Fleischermeister, die sich auf seine Arbeit verlassen. Der Meister ist der letzte Schleifer in Berlin, der die Kunst der Solinger Schleiferei beherrscht – selbst in Solingen kann das kaum noch jemand. Dabei arbeitet der Schleifer im Sitzen, der Stein dreht sich auf ihn zu. So kann er das Messer – nass – in zwei Richtungen bearbeiten, was an hochwertigen Messern einen perfekt ausgeformten, standfesten Grat ergibt. Das Messer ist und bleibt wirklich scharf und zerteilt Schneidgut allein durch sein Gewicht ohne zusätzlichen Druck.

Das kostet Zeit, ist nicht ganz billig, und es lohnt sich deshalb nicht für einfache Wegwerfmesser, die Lehmann folglich nicht in die Hand nimmt. Doch umgekehrt verkauft er kein hochwertiges fabrikneues Messer, ohne es selbst noch einmal auf höchstmögliche Schärfe zu trimmen, und der Kunde geht in der Regel nicht, ohne sich von ihm den Umgang mit dem Wetzstahl zeigen zu lassen, für den kleinen Schliff zwischendurch. „Wir müssen alle schlechte Arbeit hassen wie die Sünde“ ist sein Motto – es stammt von Goethe und ist im Schaufenster zu betrachten.

Der Betrieb in der Zoppoter Straße 11, den Lehmann in dritter Generation führt, existiert so seit 1949, ein kleines Museum. Der Chef ist vermutlich der letzte deutsche Handwerker, der seine Buchhaltung noch in Sütterlinschrift mit der Hand erledigt. Auch für neumodische Rasierklingen oder gar Rasierapparate hat er sich nie begeistern können. Außer dem alten, selbst in Form gehaltenen Rasiermesser lässt er nichts an seine Haut.

Einen Nachfolger für seine Werkstatt hat Lehmann zwar lange gesucht, aber nie gefunden. Wenn er sich zur Ruhe setzt, ist es also endgültig vorbei mit dem präzisen Solinger Schliff. Das wird man selbst oben im KaDeWe spüren, denn die Köche des Kaufhauses sind Lehmanns größter Kunde. Für sie verlässt er sogar seine Werkstatt: Die ARD-Jubiläumsreportage zum hundertjährigen Bestehen des Hauses zeigt ihn, wie er am Morgen noch vor Öffnung des Hauses mit seinem Messerkoffer nach oben fährt.

Das macht er nun auch schon seit 40 Jahren. Und hat dem KaDeWe längst verziehen, dass es mal irgendwann einen Versuch mit einem billigeren Trockenschleifer gewagt hat. Schlechte Arbeit war das, einfach eine Sünde. Die Köche haben es gemerkt und sind reumütig zurückgekehrt.

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