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Demonstranten gegen die staatliche Corona-Politik am Samstagabend vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.

© AFP/John MACDOUGALL

Berliner Landespolitiker zeigen sich entsetzt: „Die Bilder vom Reichstag hätte es niemals geben dürfen“

Innensenator Geisel wollte die Demo verbieten, durfte aber nicht. Dafür, dass der Protest am Reichstag aus dem Ruder lief, sehen ihn viele in der Verantwortung.

Von Ronja Ringelstein

Erschütternd, aber nicht überraschend: So sehen einige Berliner Landespolitiker den Versuch von Rechtsextremisten und Reichsbürgern, am Samstagabend den Reichstag „zu stürmen“. „Dass unter den Demonstranten auch gewaltbereite Rechtsextremisten sind, war vorher bekannt. Da muss man entsprechend vorbereitet sein – das war völlig unzureichend gestern“, sagt der Fraktionsvorsitzende der CDU im Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger dem Tagesspiegel. Der Einsatz müsse nun gut analysiert werden, damit man daraus für die noch folgenden Demonstrationen lernt. „Unsere Parlamente müssen besser geschützt werden“, sagte Dregger.

Eine große Gruppe aggressiver Demonstranten gegen die staatliche Corona-Politik hatte am Abend Absperrgitter am Reichstagsgebäude überwunden. Sie waren die Treppe hochgestürmt und hatten sich triumphierend vor dem verglasten Besuchereingang aufgebaut, schwenkten schwarz-weiß-rote Reichsflaggen und andere Fahnen. Dabei standen anfangs nur drei Polizisten bereit, um der grölenden Menge entgegenzutreten. Nach einer Weile kam Verstärkung und die Polizei drängte die Menschen auch unter Einsatz von Pfefferspray zurück.

Es müsse aufgeklärt werden, wieso nur drei Polizisten am Reichstag standen

Nun steht die Frage im Raum, ob womöglich angesichts der bekannten Gefahren nicht ausreichend Polizisten im Einsatz – und nicht richtig platziert waren. Selbst in Koalitionskreisen sieht man hier den Innensenator, Andreas Geisel (SPD), in der Verantwortung. „Der Innensenator ist dafür politisch verantwortlich, dass die Berliner Polizei den Reichstag ordentlich vor gewalttätigen Angriffen schützt“, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Benedikt Lux dem Tagesspiegel. „Es kann nicht sein, dass dort nur drei Polizisten eingesetzt werden.“ Es müsse nun dringend aufgeklärt werden, wie das angesichts der Anmeldungen und Aufrufe zu einem „Sturm auf Berlin“ der rechten Szene, passieren konnte.

Andreas Geisel (SPD), Senator für Inneres und Sport in Berlin, äußert sich auf einer Pressekonferenz zur Demonstration und Kundgebung gegen die staatlichen Corona-Auflagen in der Hauptstadt.
Andreas Geisel (SPD), Senator für Inneres und Sport in Berlin, äußert sich auf einer Pressekonferenz zur Demonstration und Kundgebung gegen die staatlichen Corona-Auflagen in der Hauptstadt.

© Fabian Sommer/dpa

Am Montag wird sich der Innenausschuss mit der Frage befassen. Für Andreas Geisel ist die Lage misslich. Schließlich hatte die Versammlungsbehörde die Demonstration zunächst unter Verweis auf zu erwartende Nichteinhaltung von Hygieneregeln und damit verbundene Gefahren des Gesundheitsschutzes verboten. Gerichte hatten das Verbot gekippt. Geisel hingegen hatte es zuvor begrüßt und politisch auch damit argumentiert, dass er nicht bereit sei, „ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird.“

Nun aber wurde der Reichstag genau zu dieser Bühne. Und wieder steht Geisel in der Verantwortung – der die Demo schließlich ohnehin gerne verboten gesehen hätte. Er ließ am Sonntag verlautbaren, die Ereignisse vor dem Reichstag seien „beschämend“ und dankte insbesondere „den drei Polizisten, die sich zuerst den Rechtsextremen in den Weg gestellt haben, bevor sie Unterstützung bekamen. Das war sehr mutig.“

Wurde die Lage nicht ernst genug genommen?

Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, sagt, er finde die politische Haltung von Andreas Geisel „völlig richtig“, die dürfe er auch nach außen zeigen. Aber erstens sei es unklug vom Innensenator gewesen, das direkt im Zuge der Verbotsverfügung zu tun, die sich schließlich auf Hygienemaßnahmen stützte. Zweitens sei es umso fraglicher, warum die „Polizei so schlecht aufgestellt war“, sagt Schrader. Schließlich habe man in Berlin Erfahrungen mit Großlagen. Es bleibe nun zu schauen, ob die Lage nicht ernst genug genommen worden sei. 3000 Beamte, teilweise aus anderen Bundesländern, waren in Berlin am Samstag im Einsatz gewesen.

Eine umfassende Aufklärung fordert auch Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen. Auf Twitter schreibt sie: „Die Bilder vom Reichstag jedoch hätte es niemals (!!) geben dürfen! Wir werden in den nächsten Tagen einiges auszuwerten haben und werden das auch tun.“ Es dürfte dabei auch in den Blick genommen werden, wie mit zu erwartenden künftigen Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen umgegangen wird.

Es braucht mehr Polizei für künftige ähnliche Demos

Auch diese werden aller Voraussicht nach genehmigt werden müssen, glaubt CDU-Mann Burkard Dregger, der von Beruf Rechtsanwalt ist. Er gehe davon aus, dass unterschiedliche Veranstalter die Demonstrationen anmeldeten. „Die Behörde darf nicht von der Unzuverlässigkeit des einen Anmelders auf die Unzuverlässigkeit des anderen schließen“, sagte Dregger dem Tagesspiegel. Das Versammlungsrecht sei ein besonders hohes Gut der Verfassung. Es werde auch in Zukunft darauf ankommen, es denen, die friedlich demonstrieren wollen auch zu ermöglichen.

Nach Schätzungen der Polizei hatten rund 40.000 Menschen aus ganz Deutschland insgesamt weitgehend friedlich gegen die Corona-Politik demonstriert. Am Rande kam es aber abgesehen von den Geschehnissen vor dem Reichstag allerdings vor allem vor der russischen Botschaft nahe dem Brandenburger Tor zu Angriffen von Reichsbürgern und Rechtsextremisten auf Polizisten.

[Mehr zum Thema: Corona-Demos auch am Sonntag in Berlin – verfolgen Sie alle aktuellen Entwicklungen im Liveblog]

Andreas Geisel zeigt sich in seinem Statement am Sonntag etwas angefasst, wenn er schreibt: Leider sei genau das eingetreten, was die Sicherheitsbehörden zuvor befürchtet hatten. „Ich höre jetzt auch Stimmen, die sagen, das hätte man verbieten müssen. Genau das haben wir deshalb im Vorfeld getan. Die Versammlungsbehörde hatte am 26. August auch für diese Versammlung ein Verbot ausgesprochen.“ Was das für künftige Demonstrationen heißt, sagt Geisel nicht.

Benedikt Lux von den Grünen fordert für die künftigen Demonstrationen dieser Art, zwar diese zuzulassen und die Versammlungsfreiheit zu ermöglichen, „aber unter den strengsten Auflagen unter Beachtung des Gesundheitsschutzes.“ Dafür und um gewalttätige Szenen wie die vor dem Reichstag zu verhindern, brauche es aber ausreichend Polizisten vor Ort. Warum nur drei von ihnen anfangs vor dem Reichstag standen, konnte sich am Sonntag keiner erklären. (mit dpa)

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