zum Hauptinhalt
Tontechnikertraum. Das Acousta Elektronik 16-Spur-Mischpult ist nicht nur Deko.

© Thomas Wochnik

Berliner Kulturkaufhaus setzt auf alte Technologien: Die Schallplatte zum selber Einsingen

Musik aufnehmen, Schallplatten schneiden und Cover gestalten. Bei Dussmann in der Friedrichstraße können Kunden ihre Artikel nun selbst produzieren.

Die Entwicklung der Medienwelt ist eindeutig: Erzeugnisse der Künste werden zunehmend zu körperlosen Ideen aus digitalem Code. Wessen Geschäft auf alten Medien beruht, der versucht heute mit immer neuen Konzepten Anschluss an die Digitalisierung zu gewinnen. Anders im Kulturkaufhaus Dussmann. „Wir haben uns gefragt, wieso Menschen überhaupt in ein Kaufhaus gehen, wenn sie doch alles auch im Netz finden können“, sagt Geschäftsführerin Andrea Ludorf.

Zum Beispiel: Das Erlebnis, einen Gegenstand in der Hand zu spüren, den Geruch von Papier oder eine Schallplatte auf dem Plattenteller drehen zu sehen, die Nadel mit der eigenen Hand aufzusetzen. Fast paradox, dass gerade die Körper den Dingen eine Seele verleihen sollen.

Neu ist der Gedanke natürlich nicht. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts, als erstmals Bilder technisch vervielfältigt werden konnten, sprach Walter Benjamin vom Verlust der Aura der Kunst.

Schaut man Druckmeisterin Laureen Mahler bei der Arbeit mit der Presse zu, ist dieses Auratische wieder da. In der Kunstbuch-Abteilung steht die Letterpress-Maschine, das schwere Gerät braucht zum Betrieb keinen Strom.

Wenn Druckfarbe auf die Walzen aufgetragen und der gewünschte Text eingesetzt ist, wird ein dicker Papierbogen eingehängt, dann mithilfe einer massiven Kurbel von Hand durch die Mechanik gezogen.

Das Selbermachen beseelt die Dinge

Eine Etage tiefer schneidet Christian Winter, Mitarbeiter der Musikabteilung, gerade eine Schallplatte des Singer-Songwriters Max Prosa. Ein Vinylrohling dreht dabei in einem Schneidegerät, gleichzeitig wird die Aufnahme auf einem Zweitgerät, einem Tonbandgerät oder Laptop, abgespielt.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Sogar live einsingen ist möglich – ein Mikrofon, das aussieht, also hätte schon Elvis hineingesungen, ist angeschlossen. Die Übertragung erfolgt in Echtzeit, acht Minuten Musik brauchen acht Minuten, um auf der Platte zu landen.

Statt die Membran eines Lautsprechers auszulenken, werden hier die Messer des Schneidegeräts zu mikroskopisch feinen Bewegungen veranlasst, die wiederum die Rille der Platte erzeugen und später, beim Abspielen, von der Nadel abgetastet werden.

Ganze Symphonieorchester passen ins zarte Schlenkern dieser Mechanik. Winter steht daneben und wickelt mit der Hand den feinen Span, den die Messer abtragen, zu einem transparenten Vinylknäuel auf – wollte man die Musik wiegen, wäre das ihr genaues Gegengewicht.

Zum Anfassen. Mitarbeiter Christian Winter (li.) überreicht Musiker Max Prosa eine Schallplatte mit dessen Musik.
Zum Anfassen. Mitarbeiter Christian Winter (li.) überreicht Musiker Max Prosa eine Schallplatte mit dessen Musik.

© Thomas Wochnik

Musikaufnahmen mit dem Sound von früher

Die Aufnahme zur Platte von Max Prosa ist zuvor ebenfalls im Haus entstanden. In der Klassikabteilung steht ein 16-Spur-Mischpult nebst restaurierter „Studer“-Tonbandmaschine und einem original Goldfolien-Hallgerät, das Aufnahmen den Sound früher Pop-Produktionen verleiht.

Ganz zur Freude von Hannes Kraus, Leiter der „Category Lead Music“, wie es bei Dussmann heißt. „Diese Geräte sind die Vorbilder der virtuellen Imitationen, die am Computer arbeitende Musiker vor sich haben.“ Schlüge man etwa gegen das Gehäuse des Hallgeräts, entstünde in der Aufnahme ein Donnern.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Das schaffe eine ganz andere Beziehung zur Musik. „Ich finde, dass es sehr gut in unsere Zeit passt,“ sagt Max Prosa, „in der es wieder mehr darum geht, ein Live-Feeling auf der Aufnahme zu erzeugen. Mit dem Computer sind die technischen Möglichkeiten heute endlos. Darum hat es etwas Befreiendes, zu wissen, dass das Resultat einfach ist, was es ist.“ Druckwerkstatt, Aufnahmetechnik und Plattenschnittplatz sind aber nicht bloß Dekoration in den Verkaufsräumen.

Am Hebel. Mitarbeiter Hannes Kraus präsentiert das Mischpult.
Am Hebel. Mitarbeiter Hannes Kraus präsentiert das Mischpult.

© Thomas Wochnik

Wer sich selbst oder anderen ein Geschenk machen möchte, kann Plakate mit Stempel- oder Drucktechnik anfertigen, Notizbücher mit japanischer Bindung gestalten – an Ideen mangelt es Elisabeth Alexander, Kreativexpertin des Hauses, nicht.

„Das feinmotorische Arbeiten ist wie eine Meditation. Es gibt Leute, die hier regelmäßig nach der Arbeit vorbeikommen, um dabei zu entspannen.“ Auch die Musiktechnik soll für zukünftige Aufnahmen zur Verfügung stehen, sogar Schallplatten in Kleinserien sind möglich – die Cover können gleich in der Druckwerkstatt angefertigt werden.

Dussmann bietet Druckworkshops, musikalische Unterfangen werden nach Absprache und mit individuellem Kostenvoranschlag angegangen. Statt auf den letzten Hype, setzt das Programm auf Technikgeschichte. Wenn das mal nicht auch zum Hype wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false